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„Hochschulen müssen das Studium prinzipiell flexibler gestalten“

Eine Frau (von hinten fotografiert) schreibt auf ein großes Blatt Papier, das an einer Wand hängt.

Eine internationale Fachtagung diskutierte an der HTWG, wie Studierende mit nicht sichtbaren Behinderungen erfolgreich den Hochschulabschluss erreichen. Ein Ergebnis: Ein behindertengerechtes Umfeld umfasst weit mehr als Lift und behindertengerechte Toilette.

Studierendenbefragungen in Deutschland und Österreich zeigten, dass elf bzw. zwölf Prozent der Studierenden gesundheitliche Beschwerden haben, die das Studium erschweren. Rund 65 Prozent der gesundheitlich beeinträchtigten Studierenden berichteten zudem, dass ihre Einschränkung nicht ohne weiteres für andere wahrnehmbar ist. „Nicht-sichtbare Behinderungen stellen folglich die Mehrheit der Behinderungsformen“, sagte Anna Blank, Referentin für Diversity und Beauftragte für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen an der Universität Konstanz bei der internationalen Fachtagung an der HTWG Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung. Rund 50 Beraterinnen und Berater verschiedener Hochschultypen waren zusammen gekommen, um ihre Erfahrungen auszutauschen, Lösungsansätze zu entwickeln und zu diskutieren. Initiiert worden war die Veranstaltung von der Arbeitsgruppe Gender und Diversity der Internationalen Bodensee-Hochschule.

Oft sind es schon scheinbar leichte Lösungen wie eine Veranstaltungsverlegung in einen anderen Raum, die Studierenden enorm helfen können: Wenn zum Beispiel eine Allergikerin in einem Gebäude besondere Probleme hat oder wenn ein Hörbehinderter durch die Architektur bedingt unter dem speziellen Schall leidet. Nur, wie können Studierende dazu ermutigt werden, auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen? Wie Dozentinnen und Dozenten für die Themen sensibilisiert werden? Neben Fachvorträgen zu psychischen Erkrankungen stand der Austausch der Beraterinnen und Berater, die gerade an kleineren Hochschulen oft als Einzelkämpfer agieren, im Mittelpunkt.

Besondere Modelle stellten die Universität Innsbruck und die Konstanzer Hochschulen vor: Sie binden Studierende in die Begleitung ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen mit psychischen Beeinträchtigungen ein. An der Universität Konstanz ist das Programm „Studis mit Studis“ seit 2014 etabliert, seit Beginn 2017 auch an der HTWG. Studierende sehen sich dabei nicht als Therapeuten, sondern als Begleiterinnen und Begleiter auf Augenhöhe, die nach entsprechenden Schulungen bei Bedarf die nötigen Beratungsangebote kennen und professionelle Hilfe vermitteln können.

Eine Frau auf einer Bühne. Neben ihr hängt ein großes beschriebenes Blatt Papier mit dem Titel "NIA in der Praxis"..

Für reichlich Gesprächsstoff sorgte das Thema Nachteilsausgleich, in der Arbeitsgruppe moderiert von Alina Wolf von der Zentralen Studienberatung der HTWG (Bild): Wie können Prüfungen organisiert werden, wenn Studierende durch eine Behinderung beeinträchtigt sind? Wo kann die Anwesenheitspflicht durch das Angebot von Vidoeübertragung gelockert werden? Wie sind Übungen im Labor bei körperlichen Einschränkungen machbar?

Eine entscheidende Voraussetzung für ein behindertengerechtes Umfeld: Die Haltung der Hochschule zu Studierenden mit Behinderungen. Alle Ebenen, von der Hochschulleitung bis zum Lehrbeauftragten, müssten das Grundziel fokussieren, allen Studierenden eine Ausbildung zu ermöglichen, was explizit Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen einschließe. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer stimmten dabei Prof. Dr. Oliver Haase, Vizepräsident Forschung der HTWG, zu. Er hatte bei der Begrüßung die Frage gestellt, ob es nicht angebracht sei, Sonderregelungen zur Regel zu machen, da sie auch Studierenden in besonderen Lebenslagen, wie zum Beispiel mit pflegebedüftigen Angehörigen, entgegen kommen. „Hochschulen müssen das Studium prinzipiell flexibler gestalten“, hatte Haase gefordert.
Dies unterstrich auch Dr. Annette Kahlen, Leiterin der Stabsstelle Diversity an der ZHAW Winterthur und Koordinatorin des Netzwerks Studium und Behinderung Schweiz. Sie betonte die Wechselwirkung von Umweltfaktoren und dem gefühlten Grad der Behinderung: „Wenn ich mich integriert fühle und keine Barrieren erlebe, fühle ich mich nicht behindert“, sagte Kahlen und erinnerte an den gesetzlichen Auftrag, Chancengleichheit für alle zu ermöglichen. „Hochschulen sind gefragt, kreativ und lösungsorientiert vorzugehen. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass die Festlegung des Regelfalls einst konstruiert wurde und er sich auf neue Anforderungen anpassen lässt“, resümierte Vera Maier-Tragmann, Koordinatorin Gleichstellung und Diversity an der HTWG.

Sechs Menschen auf einer Bühne vor Zuschauern

Weitere Informationen sowie die Dokumentation zur Tagung finden sich auf der Seite der Internationalen Bodensee-Hochschule IBH: www.bodenseehochschule.org/ibh-arbeitsgruppen/ag-gender-diversity/veranstaltungen-der-ag-gender-diversity