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Licht-Suffizienz für die Insel Reichenau

Das Foto zeigt in die Lichtstrahlung einer Pilzleuchte auf Straße und umgebände Bäume und Büsche. Die Lichtintensität wird durch unterschiedliche Farben dargestellt.

Der Einsatz von künstlichem Licht im öffentlichen Raum erfordert Sensibilität. Umso mehr, wenn der Raum Weltkulturerbe und Naturschutzgebiet vereint. Student*innen erarbeiteten Empfehlungen für die Insel Reichenau.

Umweltverschmutzung ist ein geläufiger Begriff. Aber Lichtverschmutzung? „Licht hat einen Einfluss auf Mensch und Natur, der nicht zu vernachlässigen ist“, betont Simon Wolf und führt als Beispiel aus: Eine „falsche“ Beleuchtung könne beim Menschen Kopfschmerzen verursachen, Insekten dagegen in Scharen in den Tod führen. Der Architekturstudent hat sich mit acht Kommiliton*innen aus den Master-Studiengängen Bauingenieurwesen, Elektrotechnik und Architektur ein Semester intensiv mit Lichtplanung beschäftigt. Nicht abstrakt, sondern konkret am dunklen bzw. hellen Objekt. Die Student*innen haben die Lichtsituation um die Kirche St. Georg und um das Münster St. Maria und Markus betrachtet. Zum Ende der Vorlesungszeit haben sie ihre Ergebnisse Interessenvertretern der Insel Reichenau inklusive dem Bürgermeister Dr. Wolfgang Zoll, des Bund Naturschutz und der Interessengemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg präsentiert.

Anforderungen des Naturschutzes und der Ästhetik

Ihre Empfehlung: Die Gemeinde sollte noch stärker auf das Thema Suffizienz setzen, um gleichermaßen den Anforderungen des Naturschutzes wie der Ästhetik gerecht zu werden. Das heißt: So viel Licht wie nötig, so wenig Licht wie möglich. Art und Typ der Lichtquelle, die spektrale Zusammensetzung, der Standort, Abstrahlungswinkel und viele Variablen mehr haben die Studierenden erhoben und ausgewertet. Das „Team Kamera“ zum Beispiel hat hierfür in Nachtaufnahmen vorhandene Lichtquellen dokumentiert, erläuterte Jakob Keilhofer. Anhand zahlreicher übereinandergelegter Fotodaten beurteilten die Teammitglieder im Anschluss die Leuchtdichte (Foto oben aus der Hermann-Conntractus-Straße). So stellten sie beispielsweise fest, dass die Baumkrone in unmittelbarer Nachbarschaft einer Pilzleuchte auch um 0:30 Uhr eine hohe Leuchtdichte aufweist, so dass das Blätterwerk kaum von Vögeln als Brutstätte genutzt werden wird. Eine mögliche Lösung: Ein anderer Leuchtentyp mit einem anderen Abstrahlwinkel, um flächiges Licht durch gerichtetes Licht zu ersetzen.
Das Team Insekten entwickelte in seinem Einsatzfeld weitere Lösungsmöglichkeiten. So könnte eine sehr starke Beleuchtung von öffentlichen Parkplätzen je nach Uhrzeit variiert werden oder die Intensität mit Hilfe eines Bewegungsmelders nach Bedarf reguliert werden. In die natürliche Dunkelheit hinein könne dann gerichtetes Licht Akzente setzen, um das Weltkulturerbe besser zur Geltung zu bringen. Willkommener Nebeneffekt sämtliche Vorschläge: die Senkung des Energiebedarfs.

Beitrag für einen Kulturwandel

In ihren Untersuchungen konnten sich die Student*innen auf die Arbeit der vorangegangenen Semester stützen. Schon seit mehreren Jahren lädt Prof. Dr. Bernd Jödicke Studierende ein, sich dem Thema Licht auf der Insel Reichenau zu nähern. „Ich bin froh, mit solchen Menschen wie Ihnen arbeiten zu können“, sagte Prof. Dr. Bernd Jödicke zum Dank an die Student*innen. Sie hätten mit ihren Untersuchungen einen Beitrag für einen Kulturwandel geleistet – weg vom „immer mehr, immer stärker“ hin zum überlegten Einsatz von Licht. Schließlich sei auch nicht jede Gartenleuchte, nur weil sie sich aus Solarenergie speist, ökologisch sinnvoll. „Ihre Arbeit ist wichtig und wertvoll, um das Thema noch weiter in die Breite zu tragen und noch mehr Menschen zu sensibilisieren.“

Bürgermeister Dr. Wolfgang Zoll würdigte die Präsentation der Studierenden als „eindrucksvoll“. Er freue sich über die zahlreichen Vorschläge der Studierenden. Er kündigte an, weiter daran zu arbeiten, in der Bevölkerung Licht zum Thema zu machen und freue sich auf die weitere Zusammenarbeit mit der HTWG. Allerdings machte er auch auf das Dilemma der Kommune aufmerksam, dass zunächst Investitionskosten zu leisten seien, bevor sich die niedrigeren Energiekosten auswirkten – und deshalb die Reduzierung des Lichtbudgets auch von der Erhöhung des Finanzbudgets abhängig sei.