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Qualität statt Quadratmeter: Workshop entwirft neues Stadtquartier

Eine Gruppe Menschen sitzend und stehend vor zwei Präsentationstafeln voller Merkzettel und Grafiken: Ein Mann steht davor und spricht.

Drei Planungsteams, Akteure und Bürger entwickelten am Beispiel der Konstanzer Christiani Wiesen Konzepte für eine nachhaltige und soziale Stadtentwicklung. Wie sieht die Zukunftsstadt aus?

Die dreitägige Veranstaltung fand im Rahmen des Projekts „Zukunftsstadt" in der HTWG statt. Konstanz ist eine von 20 Kommunen, die beim Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die zweite Phase erreicht haben.

Der Werkzeugkoffer: ein innovatives Stadtplanungsinstrument

Zur Eröffnung des ersten Tages, der ganz im Zeichen der Planer und Akteure stand, skizzierte Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn die Herausforderungen des Projekts. Konstanz verzeichnet ein starkes Bevölkerungswachstum. Um die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum zu befriedigen, müssen die knappen städtischen Flächenressourcen deshalb besonders effizient genutzt werden. Mit der Verabschiedung des Handlungsprogramms Wohnen durch den Gemeinderat hat die Stadt das Thema 2014 offensiv angegangen. Konstanz soll attraktive, nachhaltige Stadtquartiere bekommen, die sozial durchmischt sind. „Die Zukunftsstadt ist dabei unser innovativstes Projekt", unterstrich Karl Langensteiner-Schönborn. Mit ihr soll ein Planungsmodell unter dem Motto „Smart wachsen - Qualität statt Quadratmeter" entstehen, das auf alle 44 ausgewiesenen Flächen im Handlungsprogramm Wohnen übertragbar ist.

Grundlage des Modells ist dabei der so genannte Werkzeugkoffer. 19 Fachgebiete der Universität und der HTWG haben in ihm Kriterien für eine nachhaltige, effiziente und soziale Stadtplanung zusammengefasst. „Da die HTWG einen ‚Wiki‘ daraus gemacht hat, ist es ein lebendiges Instrumentarium, das ständig erweitert werden kann und somit aktuell bleibt", lobte der Baubürgermeister. Für Lukas Esper, Projektleiter der Zukunftsstadt, war es besonders wichtig, dass die Bürger von Anfang an stark mit eingebunden werden. „Damit machen wir die Planung nachvollziehbar und sorgen für eine größere Akzeptanz."

Wichtige Kriterien der Quartiersplanung

Christopher Klages von der HTWG gab für die Akteure und Planer eine Einführung in die Systematik des Werkzeugkoffers, der eine beeindruckende Informationsdichte aufweist. Biodiversität, Flächeneffizienz, Smart Infrastructure, Barrierefreiheit, Umweltrisiken, Gewässer- und Bodenschutz - nur ein paar Beispiele für die verschiedenen Bedürfnisse und Themen, die bei der Stadtplanung auftauchen, und die der Werkzeugkoffer abbildet. „Der Werkzeugkoffer soll es auch erleichtern, sich in andere Rollen hineinzuversetzen, so zum Beispiel in die der städtischen Planer und anderer Akteure und so Verständnis für ihre Prioritäten wecken," erklärte Klages.

Akteure wie zum Beispiel Baugruppen, der BUND, Soziologen und auch städtische Planer waren von der Stadt eingeladen worden, den Werkzeugkoffer durch ihre Erfahrungen und Perspektiven zu ergänzen. Rund 50 Interessierte und Planer diskutierten am Vormittag, welche fünf Kriterien sie für die Stadtentwicklung am wichtigsten hielten und ergänzten inhaltlich den Werkzeugkoffer. Aufgeteilt waren die Gruppen in die Bereiche Planung, Raum und Stadt, Umwelt und Freiraum, Mobilität, Energie und Technik, Projektentwicklung und Baugruppen sowie Nutzer und Partizipation.

Drei Planungsteams arbeiten Konzepte aus

Mit dabei waren die drei Planungsteams Pool aus Zürich, Feld 42 aus Wien und Bogevischs Büro aus München. Ihre Aufgabe: mit dem Feedback der Akteure und dem Werkzeugkoffer ein städtebauliches Konzept für das neu entstehende Quartier auf den Christiani Wiesen zu entwickeln. „Es ist ein sensibler und besonderer Ort, für den wir auch eine besonders qualitätsvolle Bebauung wünschen", sagte Karl Langensteiner-Schönborn.

Zu diesem Zweck fand nachmittags eine Begehung des Geländes statt. Diese Eindrücke des ersten Tages nahmen die Architekten und Landschaftsplaner mit in die nächsten zwei Tage der Akteurs- und Planerwerkstatt.

Eine Frau sitzt mit anderen Menschen an einem Tisch voller Schreibutensilien, einem Laptop und Snacks. Der Betrachter schaut ihr über die Schulter. Sie markiert ein Gebiet auf einem Stadtplan, der auf ihren Beinen liegt.

Bürger konnten den Planern über die Schulter schauen

An Tag zwei und drei hatten Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, den Planungsteams bei der Konzeptentwicklung über die Schulter zu blicken. Diese Gelegenheit ergriffen viele Interessierte sehr intensiv, um sich über neue Formen und Ideen des Zusammenlebens zu informieren oder auch ganz konkret Punkte anzusprechen wie Mobilität, Infrastruktur oder soziale Durchmischung. Spannend war für die Anwesenden besonders, den kreativen Prozess im Entstehen zu erleben und die unterschiedlichen Herangehensweisen der Planerteams. Cluster-Wohnen, E-Mobilität, Energiegewinnung, Shared Economy, Dichte und Flächeneffizienz, Schutz des vorhandenen Biotops - die Vielfalt der Themen und Rahmenbedingungen verarbeiteten die Planerteams zu ersten Entwürfen. Diese wurden am zweiten Abend auf einer kleinen Führung von Büro zu Büro Interessierten vorgestellt.

Abschlusspräsentation und Bürgerfragen

Während des dritten Tages der Akteurs- und Planerwerkstatt feilten die drei Planerteams an ihren Entwürfen für die Christiani Wiesen, die sie abends öffentlich vor rund 80 Personen präsentierten. Karl Langensteiner-Schönborn betonte in seiner Einführung, wie wichtig der Stadt die soziale Durchmischung ist, um keine Brennpunkte entstehen zu lassen. „Aber wir müssen uns auch um die Mitte der Gesellschaft kümmern und ihnen bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stellen." 7900 Wohnungen sollen nach dem Handlungsprogramm Wohnen entstehen. Dafür brauche es Konzepte, die weiter in die Zukunft reichen. So gibt es Möglichkeiten, den individuellen Quadratmeterverbrauch durch Kompensationsangebote wie Gemeinschaftsräume zu senken. Auch ökonomisch rechnen sich Car-Sharing oder gemeinsame Büroräume.

Drei Planerteams - drei unterschiedliche Ansätze

Bogevischs Büro stellte das Biotop auf den Christiani Wiesen in den Mittelpunkt seines Konzepts. Um diese öffentliche Mitte gruppieren sich verschiedene drei- bis fünfstöckige Häuser, die rund 150 Wohneinheiten bieten. Sie sollen sich harmonisch in die umgebende Villensiedlung einfügen und einladend sein. E-Mobilität steht im Mittelpunkt mit Car-Sharing etc. Das flächeneffiziente Bauen sieht Kompensationen der verminderten Wohnungsgröße durch gemeinsam genutzte Flächen und Räume vor.

Feld 42, die Planergruppe aus Wien, stellten die Christiani Wiesen in den Kontext des Stadtgebietes Petershausen. Ihre Vision heißt „Urbanes Dorf". Ein Vorplatz leitet die Besucher, auch hier werden Wohn-Cluster geplant. Eine Nord-Südverbindung mit Freiraumtaschen soll das Areal prägen. Naturräume sollen sich nahtlos an die Wohn-Cluster anschließen, die Hightechfassaden aufweisen. Auch hier wird so autofrei wie möglich geplant und auf gemeinschaftliche Nutzung von Raum gesetzt. Das Motto heißt: Sharing & Caring.

Für das Planerteam Pool aus Zürich ist die Identität wichtig, die das neue Quartier entwickeln soll. Mit „Perlen im Park" umschreibt Pool das Konzept. Im Mittelpunkt stehen Nutzungsvielfalt für die Bewohner und Besucher und großzügige Freiräume. Weite Sichtachsen zur umgebenden Landschaft öffnen die drei Wohn-Cluster und verweben sie gleichzeitig mit der Landschaft. Unterschiedliche Plätze schaffen Begegnungsorte und somit auch Zugehörigkeiten. Ein kompakter ökologischer Fußabdruck wird angestrebt und viele gemeinschaftliche Nutzungen der Plätze und Räume. Denkbar wäre hier ein Quartiersplatz mit einem Café, Hofladen etc.

Eine Gruppe Menschen steht vor zwei Präsentationstafeln voller Merkzettel und Grafiken: Ein Mann steht davor, spricht und zeigt auf eine der Grafiken.

Lob und Kritik

Alle drei Planerteams erhielten viel positiven Zuspruch für ihre Konzepte durch das Publikum. Die vielfältige Bürgerbeteiligung bei der Zukunftsstadt wurde durch die Zuhörer sehr gelobt. Allerdings gab es auch Kritik. Vor allem anwesende Anwohner der Christiani Wiesen sahen bei den Entwürfen einen zu geringen Bezug zur Nachbarschaft und zur Verkehrsproblematik. Der Zufahrtsweg zur Therme und zum Hörnle führt direkt an den Christiani Wiesen vorbei, die Parksituation ist oft schwierig. „Wieviele Menschen verträgt das Gebiet und ist eine soziale Durchmischung aufgrund fehlender Infrastruktur auf diesem Areal überhaupt möglich?" Diese und andere Fragen gingen zurück an die Planer. Gäste konnten weitere Anregungen an eine Pinnwand anfügen.

Das direkte und ungeschminkte Feedback von Akteuren und Bürgern an die Planungsteams zeichnete für Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn das Projekt Zukunftsstadt aus: „Wir wachsen an Kritik. Unser Ziel ist es, Quartiere zu entwickeln, die einen größeren Mehrwert haben, als sie davor hatten. Jedes Quartier wird individuell geplant und soll den Menschen bezahlbaren Wohnraum bei hoher Qualität und Nachhaltigkeit bieten. Dafür schaffen wir mit dem Werkzeugkoffer das geeignete Instrumentarium, das idealerweise auch von anderen Kommunen übernommen wird."

Öffentliche Jurysitzung am 5. Juni 2018

Pool, Feld 42 und Bogevischs Büro haben nun Zeit, ihre Entwürfe zu überarbeiten. Am 5. Juni 2018 werden ihre Konzepte auf einer öffentlichen Jurysitzung durch Experten der HTWG und der Universität bewertet und der überzeugendste Entwurf wird Grundlage für die weitere Arbeit im Projekt. Damit bewirbt sich die Stadt Konstanz im Herbst für die dritte Phase des Wettbewerbs des Bundesministeriums.

Organisatorisch und beratend begleitet wurde die Akteurs- und Planerwerkstatt vom Frauenhofer Institut IAO (Stuttgart) und vom Büro nonconform (Wien).