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Preiswürdig: Denkmalschutz mittels Digitalisierung

17.03.2021

Bauingenieur-Masteranden untersuchten, wie moderne Methoden die Instandhaltung der Linachtalsperre unterstützen können. Dafür werden sie ausgezeichnet.

Die Bauarbeiter, die vor knapp 100 Jahren die Linachtalsperre bei Vöhrenbach im Schwarzwald errichtet haben, würden sich wundern. Sie könnten nun eine VR-Brille aufsetzen, um ihre inzwischen denkmalgeschützte Staumauer virtuell zu begehen und sie zum Beispiel auf Risse im Beton zu überprüfen – dank der Arbeit von Benedikt Geier und Sebastian Mattes. Sie haben in ihren Masterarbeiten zum Abschluss des Bauingenieur-Studiums die Digitalisierung von Bestandsbauten behandelt.

Die Absolventen haben damit Möglichkeiten aufgezeigt, den Bestand maßlich in hoher Auflösung zu erfassen, eventuell nötige Sanierungsmaßnahmen zu lokalisieren und Veränderungen an der Bausubstanz weiterzuverfolgen. Sebastian Mattes hat dabei die Möglichkeiten der Photogrammetrie im direkten Vergleich zum Laserscan betrachtet. Benedikt Geier hat mit Hilfe verschiedener Softwareanwendungen einen Workflow dazu erarbeitet, wie aus einer Laserscanning-Punktwolke ein BIM-fähiges CAD-Modell erstellt werden kann (BIM steht für Building Information Modelling).

Verband vergibt zwei Mal den zweiten Platz

Der Bundesverband Feuchte & Altbausanierung e.V. ehrt die beiden Absolventen für ihre Arbeit. Im Wettbewerb „Nachwuchs-Innovationspreis Bauwerkserhaltung” vergibt der Verband den zweiten Platz gleich zwei Mal, nämlich an Benedikt Geier und Sebastian Mattes. „Mit der Auszeichnung werden herausragende wissenschaftliche Leistungen im Bereich der Bauwerkserhaltung gewürdigt“, schreibt der Verband. Einen Fokus legt er auf „zerstörungsarme und -freie bauwerksdiagnostische Untersuchungsmethoden und praktische Einsätze am Beispielobjekt“.

Mit den Preisträgern freut sich ihre Betreuerin Prof. Dr. Sylvia Stürmer: „Die beiden haben wirklich hervorragende Arbeiten erstellt und aufgezeigt, dass Digitalisierung nicht nur bei Neubauten, sondern auch im Bestandsbau und im Denkmalschutz große Dienste leisten kann.“ Die Auszeichnung überrascht sie nicht wirklich: Der Enthusiasmus der beiden Studierenden habe ansteckend gewirkt. „Bei der Betreuung der Thesen habe ich mindestens so viel zurückbekommen wie ich bei der Betreuung gegeben habe“, erinnert sich die Professorin und sagt: „Herr Geier und Herr Mattes haben super an unsere HTWG gepasst. Sie sind regional verwurzelt, dem Handwerk zugetan, modern und neugierig auf alles Neue: Die Kombination aus High-Tec in Bezug auf Methoden und Geräte und der Wertschätzung gegenüber dieses reizvollen Ingenieurbauwerks - das war genau ihr Ding.“

 

Datenerfassung per Photogrammetrie und Drohne – oder doch besser per Laserscan?

Die Linachtalsperre ist ein komplexes Bauwerk mit einer langen Geschichte. Dementsprechend gibt es viele verschiedene Pläne, die jedoch nicht alle baulichen Veränderungen der Talsperre widergeben. „Keiner wusste, wovon wer spricht“, fasst Sebastian Mattes die Problematik zusammen. Mit seiner Arbeit wollte er ermöglichen, ein aktuelles, digitales Modell der Staumauer zur Verfügung zu stellen. Dies erlaubt den Zugriff auf alle Maße vom Büro aus. Voraussetzung dafür ist ein exaktes, maßstäbliches digitales Abbild der Originalsituation. Für die Erstellung wog Mattes mögliche Vorgehensweisen ab: Photogrammetrie per Drohne versus Laserscanning von verschiedenen Standpunkten.
Er macht anschaulich, dass mit den modernen Technologien schon in recht kurzer Zeit eine große Zahl von Daten erfasst werden kann: Bei einer Befliegung mit einer Drohne/Multikopter könne innerhalb einer halben Stunde eine Fläche von 500 Meter auf 700 Meter abgedeckt werden. Ein Laserscanner könne bis zu zwei Millionen Punkte pro Sekunde aufnehmen und einen 360°-Scan in unter zwei Minuten anfertigen.

Große Datenmengen

Sebastian Mattes hat sich schon während des Studiums mit der Erstellung von Aufnahmen per Drohnenflug selbstständig gemacht. Die Erfahrung hat er nun mit dem Einsatz eines Laserscanners aus dem Open Innovation Lab der HTWG ergänzt. „Der gesamte Scanner dreht sich nach dem Starten um die eigene Achse, während ein Spiegel auf dem Scanner vertikal rotiert. Er nimmt dabei das gesamte 360°-Panorama um sich herum auf. Um durch Verschattung verdeckte Bereiche in die Punktwolke aufzunehmen, ist ein Positionswechsel und ein weiterer Scanvorgang notwendig“, erläutert Mattes.

Das Zusammenrechnen der einzelnen Scannerpositionen bedarf gewisser Überschneidungsbereiche. Viel größer müssen die Überlappungen jedoch bei Aufnahmen der Photogrammetrie sein. Die Photogrammetrie befasst sich mit den Verfahren und Geräten zur Gewinnung, Verarbeitung sowie Speicherung von Informationen über Objekte und Vorgänge auf Grundlage von Bildern. Die hohe Bildüberlappung, in der Regel 70 bis 90 Prozent, ist nötig, damit jeder darzustellende Punkt auf mehreren Bildern zu finden ist. Eine höhere Bilderanzahl vergrößert aber auch die Datenmenge, was sich auf die benötigte Berechnungszeit auswirkt.

Per Photogrammetrie wären 3200 Bilder nötig

Mattes hat berechnet: „Die gesamte Talsperre kann mit ca. 85 Stationen des Laserscanners aufgenommen werden. Für die Photogrammetrie sind ca. 3200 Bilder nötig.“ In der Abwägung hat für ihn der Laserscanner durch seine unkomplizierte Verwendung, die geringe Anzahl an Stationen sowie die einfache Berechnung in der Software gepunktet. Bei der Planung können zudem die Positionen der Scans im Vorfeld bestimmt und der ungefähre Aufwand gut eingeschätzt werden.
„Bei einigen Bereichen wie den Draufsichten oder der wasserseitigen Sperrenkrone ist eine Aufnahme mit dem Laserscanner aber nicht möglich“, räumt er ein. Die Photogrammetrie in Verbindung mit einem Multikopter ist in der Lage, die Staumauer vollständig aufzunehmen. „Dabei sind umfangreiche Kenntnisse des Fluggerätes sowie der Funktionsweise und Weiterverarbeitung der Bilder notwendig, um an jedem Ort eine ausreichende Bildüberlappung zu gewährleisten.“ Den geringeren Anschaffungskosten im Vergleich zum Laserscanner stehe jedoch ein umfangreiches theoretisches und praktisches Wissen bei der Fotoaufnahme entgegen. Kosten entstehen auch durch die Verarbeitung der Daten.

Building Information Modelling (BIM)

BIM steht für das modellbasierte Planen, Realisieren sowie Betreiben von Bauvorhaben. Alle relevanten Daten werden über den gesamten Lebenszyklus digital erfasst, kombiniert und vernetzt. Das so entstandene Datenmodell stellt eine belastbare und transparente Informationsgrundlage dar, in der alle Modelle der Fachplaner verknüpft und auf eventuelle Kollisionen geprüft werden können.
Einen Schritt weiter geht die 5D-Methode, die den Bauteilen neben den geometrischen Maßen (Länge, Breite, Höhe) auch Informationen zu den Faktoren Zeit und Kosten zuweist. Das bedeutet: Ändert ein Planer etwas im Modell, so kann es der von diesem Planungsschritt abhängige andere Fachplaner in Echtzeit im Modell verfolgen. Durch Verknüpfungen der verschiedenen Bauteile und dadurch, dass jedes Bauteil im Modell mit Informationen wie bspw. Einbauzeit, Kosten, Aufwandswerte und vielleicht sogar dem „Bottleneck“ (langsamster Prozess nach dem sich alles richten muss) verknüpft ist, wirkt sich jede kleine Detailänderung durch alle Programme bis auf den Endpreis automatisch aus. Informationen gehen nicht mehr verloren und werden auf direktem Weg den jeweils zuständigen Personen zugeteilt.

Wie kommen all die Daten ins Modell?

Benedikt Geier hat in seiner Masterarbeit den Weg der per Laserscanning erlangten Punktwolken bis zur fertigen CAD-Zeichnung beschrieben. Dabei hat er verschiedene Softwaremöglichkeiten getestet und praxisorientierte „Workflows“ beschrieben. Geholfen hat ihm dabei das Softwareangebot im BIM-Labor der Fakultät Bauingenieurwesen. Geier, der nun auch beruflich im BIM-Bereich arbeitet, sagt rückblickend: „Das BIM-Labor bietet wahnsinnig viele tolle Möglichkeiten. “

Da die Digitalisierung im Bauwesen ein hochaktuelles Thema ist, wächst auch das Softwareangebot auf dem freien Markt rasant an. In seiner Arbeit hat Benedikt Geier zwei Wege untersucht und getestet, die im Rahmen der Softwaremöglichkeiten der HTWG durchführbar waren. Hierbei hat er Laserscans der Linachtalsperre aus den Jahren 2017 und 2019 überlagert, um Teile der Talsperre nachzumodellieren. „Ich wollte erheben, mit welchem Arbeitsaufwand ein detailliertes 3D-Modell, das auf der Grundlage einer Punktwolke basiert, erstellt werden kann“, erläutert er. Ziel war, eine Struktur zu erstellen, die es Bauwerksprüfern sowie den zuständigen Gemeinden oder Unternehmen ermöglicht, gemeinsam in einem Cloud-basierten Modell Materialkennwerte, Schadstellen und Ergebnisse bereits erfolgter und ggf. zukünftiger Sanierungen zu verlinken.

Anleitung für „Software-Neulinge“

Benedikt Geier hat für die sechs verschiedenen genutzten Programme im Sinne einer handbuchartigen Anleitung Workflows beschrieben, die die Einarbeitungsphase für „Software-Neulinge“ in die verschiedenen Programme vereinfachen soll. Dabei hat er sich einer Methode bedient, die ursprünglich aus dem Maschinenbau stammt: In der Fachwelt ist von „Reverse Engineering“ die Rede, um den Prozess zu beschreiben, der erforderlich ist, um Bauteile soweit vorzubereiten, dass diese wieder produziert werden können. Im ersten Schritt wird von dem zu rekonstruierenden Bauteil ein 3D- Laserscann erstellt. Die so entstandene Punktwolke muss zunächst segmentiert, also „zugeschnitten“ werden. „Hierbei findet ein Ausschneiden der unwichtigen Punkte statt“, erläutert Geier. Im Fall eines Bauwerks, das von außen aufgenommen wird, betreffe dies zuerst die Geländepunkte.

Erste Berechnungen dauerten 35 Stunden

Anschließend müsse die Punktwolke ausgedünnt werden. Dies ist notwendig, da die Datei sonst zu groß ist und jeder einzelne Berechnungsprozess sehr lange dauert. „Man arbeitet zunächst mit Millionen von Punkten. Im Fall der Linachtalsperre dauerten die ersten Berechnungsprozesse bis zu 35 Stunden“, erinnert sich Geier. Um dies zu vermeiden, wird ein „Mesh“ erstellt. Ein „Mesh“ wirkt wie ein Netz aus vielen Dreiecken, welches um das Bauwerk gelegt wird. Die Kantenlänge der vielen aneinander gereihten Dreiecke ist dabei frei wählbar. „Je kleiner die Kantenlänge gewählt wird, desto feiner und größer bleibt die Punktwolke“, macht Geier anschaulich. Alle im Inneren des Dreiecks liegenden Punkte werden dabei herausgelöscht. Hierdurch wird die Punktwolke etwas „luftiger“ und somit leichter bearbeitbar.
Mit der Erstellung eines „Mesh“ ergibt sich schließlich ein Polygonmodell - ein Modell, das das Negativ des Bauwerks abbildet. Die darauf folgenden Arbeitsprozesse führen schlussendlich zum CAD-Modell.

Vergleich von Regelwerken

Doch damit nicht genug: Benedikt Geier ergänzte seine Masterarbeit noch um einen weiteren Schwerpunkt. Darin hat er untersucht, welche Kriterien von behördlicher Seite gelten, um eine denkmalgeschützte Talsperre fachgerecht zu prüfen. Dazu hat er die geltenden Regelwerke in einer Infografik gegenübergestellt und verglichen. Abschließend hat er zur Unterstützung der Alltagsarbeit der Mitarbeiter*innen der Gemeinde auf Grundlage der Auswertungen der Thesis eine Handlungsempfehlung für die zukünftige Instandhaltung der denkmalgeschützten Talsperre erstellt.

Preisverleihung und Präsentation in Vöhrenbach

Eigentlich wollten die beiden Absolventen ihre Ergebnisse der Gemeinde Vöhrenbach vorstellen. Und eigentlich wären sie bereits bei den hanseatischen Sanierungstagen in Lübeck ausgezeichnet worden. Doch beide Anlässe sind wegen der Corona-Pandemie verschoben worden. Inzwischen sind Sebastian Mattes und Benedikt Geier im Berufsalltag angekommen. Für Sebastian Mattes spielt die Digitalisierung im Bauwesen nun auch im Berufsalltag eine wichtige Rolle.

Die Linachtalsperre

Die Talsperre wurde von 1922 bis 1925 im Auftrag der Stadt erbaut, um eine unabhängige Stromversorgung zu erhalten. Die Konstruktion als aufgelöste Gewölbereihenstützmauer beruht auf amerikanischen Vorbildern. Es ist eine sehr materialsparende Bauweise, für die nur rund 20 Prozent der Betonmenge einer herkömmlichen Gewichtsstaumauer benötigt wird. Der große Bedarf an Schalholz für diese erste Eisenbeton-Talsperre Deutschlands konnte aus den umliegenden Wäldern gedeckt werden.
Die Staumauer hat eine Länge von 143 m und ist in 13 Tonnengewölbe unterteilt, die wasserseitig geneigt sind. Die Wandungsstärke der Gewölbe beträgt 40 cm und steigt kontinuierlich auf 60 cm am Hufstück. Letzteres verbindet das Gewölbe mit der sogenannten Herdmauer, welche bis zu 12 Meter tief in den Untergrund eingebunden ist und die Abdichtung nach unten sicherstellt. Die Dammkrone ist für Fußgänger begehbar.
Mit einer Gesamthöhe von 25 Metern und einer Stauraumlänge von 1,1 km wird ein Stauvolumen von 1,15 Mio. Kubikmetern erreicht. Bei Vollstau beträgt der Abfluss 1,1 cbm/s, die damit erwirtschaftete Kraftwerksleistung beträgt laut Talsperrenbuch 1,35 GWh/Jahr.

2002 wurde die Talsperre als baugeschichtlich einzigartiges Bauwerk unter Denkmalschutz gestellt (technisches Denkmal). Im Jahr 1969 wurde die Stromproduktion nach 44 Jahren eingestellt, aufgrund einer bevorstehenden teuren Sanierung sowie dem günstigeren Atomstrom. 1988 wurde das Wasser aus Sicherheitsgründen abgelassen und die Staumauer gesperrt, um sie dem kontrollierten Verfall zu überlassen. Ende der 90er Jahre gründete sich der Förderverein Linachtalsperre e.V. mit dem Ziel "das Bauwerk nachhaltig und denkmalgerecht zu sanieren und der Nachwelt zu erhalten, somit in seiner vollen Funktionsfähigkeit die Voraussetzungen für die Wiederfüllung des Stausees, einer verbesserten Ausnutzung der Wasserkraft und in Folge eines naturnahen und attraktiven Freizeit- und Erholungsangebots zu schaffen".

Seit 2008 läuft das Kraftwerk in Normalbetrieb.
Weitere Informationen über die Linachtalsperre auf der Webseite der Gemeinde Vöhrenbach