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Wirtschaftsrecht = €€ + §§ + Codes

08.11.2020

Auch das Rechtswesen ist von der Digitalisierung nicht ausgenommen. Deshalb spielt das Thema Legal Tech schon im Wirtschftsrecht-Studium an der HTWG eine Rolle.

Deutschland erlebt in der Corona-Krise einen Digitalisierungsschub. Das Rechtswesen ist davon nicht ausgenommen, vor allem Kanzleien und die Rechtsabteilungen von Unternehmen. Doch bereits vor rund sieben Jahren hat hier mit dem Schlagwort „Legal Tech“ ein Hype eingesetzt. Die hohen Erwartungen von damals konnten jedoch nicht so schnell umgesetzt werden wie erhofft. Umso mehr stellt sich die Frage: Wie können bei Rechtsdienstleistungen Effizienzsteigerungen durch den Einsatz von IT-Lösungen erreicht werden?

Diese Frage steht im Zentrum des diesjährigen, inzwischen dritten Legal-Tech-Days an der HTWG. Die Studiengänge Wirtschaftsrecht (Bachelor) und Legal Management (Master) laden Jurist*innen, Anwält*innen, Unternehmensvertreter*innen, Informatiker*innen, Vertreter*innen der Legal Tech Branche, Themeninteressierte und natürlich auch Studierende anderer Hochschulen zur Veranstaltung mit Vorträgen und Diskussionen ein. Der Legal-Tech-Day wird als online - Webinar durchgeführt, so dass der Teilnehmerkreis regional nicht eingeschränkt ist.

 

Das Programm des Konstanz Legal Tech Days am 13. November

Nachdem bei den Konstanz Legal Tech Days 2019 der Fokus auf der Markt- und Praxisfähigkeit von Legal Tech Anwendungen lag, widmet sich die diesjährige Veranstaltung den „Inhouse Matters“ von Unternehmensrechtsabteilungen und Kanzleien. Der Veranstaltungsschwerpunkt liegt dabei auf der Anwendung von Legal Tech-Lösungen im B2B-Bereich, mit dem speziellen Fokus auf der Frage, ob aus ökonomischer Perspektive eine tatsächliche Effizienzsteigerung mit dem Einsatz von Legal Tech einhergeht.

LEGAL TECH IM B2B-BEREICH WO STECKEN DIE GRÖßTEN POTENZIALE?

Programm des Legal-Tech-Days 2020

Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei. Der Legal-Tech-Day findet im Rahmen eines interaktiven Webinars statt.
Eine Anmeldung ist nötig. Die Zugangsdaten für das Webinar werden nach Anmeldung, spätestens am 12.11.2020 weitergeleitet.
Weitere Informationen auf der Seite des Legal Tech Day 2020
Veranstaltet und moderiert wird der Tag von Prof. Dr. Thomas Maier und Prof. Dr. Marc Strittmatter, unterstützt durch das Projektteam Dalia Wagner und Giulia Iacomino.
Kontakt: legaltechday2020@htwg-konstanz.de

Die Rache der Ökonomen an den Juristen

„Rechtsdienstleistungen sind teilweise unpräzise und meistens teuer“, stellt Prof. Dr. Marc Strittmatter fest, selbst Jurist, der viele Jahre als Anwalt und unter anderem als Leiter Recht Deutschland IBM gearbeitet hat. Damit sind sie ein Dorn im Auge der Ökonomen. Deshalb frotzelt der Professor, der seit dem Start des Bachelor-Studiengangs Wirtschaftsrecht an der HTWG im Lehrenden-Team ist: „Legal Tech ist die Rache der Ökonomen an den Juristen.“ Geschlagen geben will er sich den Ökonomen natürlich nicht. Gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Maier, Dekan der Fakultät Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften mit langjähriger Erfahrung als Jurist in der Rechtsabteilung eines Automobilzulieferers, hat er die Integration des Themas „Legal Tech“ in das Wirtschaftsrecht-Studium schon vor einigen Jahren vorangetrieben. Damit war die HTWG die erste Hochschule in Baden-Württemberg, die „Legal Technology“ in das Studium aufgenommen hat. Der Legal-Tech-Day bietet den Studierenden zusätzlich einen Einblick in das Themengebiet, um die Bedeutung von Legal Tech für sich selbst und die eigene Berufsplanung einschätzen zu können.

Treiber statt Getriebene

Der Studiengang Wirtschaftsrecht ist mit der Kombination von BWL und Recht seit jeher interdisziplinär aufgestellt. Inzwischen hat also auch die Informatik ihren Platz. „Wir wollen den Wandel aktiv mitbegleiten und Treiber statt Getriebene sein“, betont Prof. Dr. Thomas Maier. Seit drei Semestern ist das Thema Legal Tech in die Curricula des Bachelorstudiengangs Wirtschaftsrecht und des Masterstudiengangs Legal Management integriert. Die Studien- und Prüfungsordnung im Bachelor sieht Informatik als Pflichtfach vor. „Wir sehen darin einen Wettbewerbsvorsprung“, betont Strittmatter: Arbeitgeber*innen, die Absolvent*innen der HTWG einstellen, können sich darauf verlassen, dass sie eine Affinität und grundlegendes Know-how dem Thema Digitalisierung gegenüber mitbringen. „Schlecht ausgebildete Generalisten werden künftig Probleme haben. Dagegen werden gut ausgebildete Spezialisten gebraucht“, betont Strittmatter.

Schnittstelle zwischen Recht und BWL

Weshalb? Prof. Strittmatter gibt zur Erläuterung einen Einblick in ein beispielhaftes Arbeitsumfeld der Absolvent*innen: „In großen Rechtsabteilungen arbeiten Volljuristen, aber eben auch Wirtschaftsrechtler. Letztere verfügen zwar nicht über die juristische Breite von Jura-Absolventen, sie verfügen aber über Prozessdenken und Unternehmenskenntnis“, betont Strittmatter. Das heißt: Sie bringen die besonderen Fähigkeiten mit, Effizienzpotenziale in Unternehmensprozessen zu erkennen und entwickeln zu können. Sie bilden damit die Schnittstelle zwischen Recht und BWL ideal ab.

„Digitalisierung ist kein Selbstzweck“

„Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie dient in erster Linie der Kosten- und Prozessoptimierung“, stellt Prof. Dr. Thomas Maier klar. Deshalb könne eine Rechtsabteilung nur davon profitieren, wenn Kolleg*innen die Kosten kennen, die Prozesse verstehen und dafür Sorge tragen, dass IT-Tools angeschafft werden, die diese Kosten und Prozesse auch tatsächlich optimieren können.

Die Effizienzorientierung wie auch die Interdisziplinarität soll beim diesjährigen Legal-Tech-Day zu fruchtbarem Austausch führen. So wird Prof. Dr. Stefan Waitzinger, Professor für digitale Unternehmensprozesse im Studiengang BWL der HTWG, mit den Professoren Maier und Strittmatter sowie Prof. Dr. Burkhard Kahre, Professor für Invesitionsrechnung und Rechnungswesen, in einem Professorenpanel die Frage diskutieren: „Legal Tech aus ökonomischer Perspektive – Eine tatsächliche Effizienzsteigerung?“ Nicht nur die Grenzen der Disziplinen werden überschritten: Mit der School of management and law der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) sind auch Experten aus der Schweiz beim Legal-Tech-Day vertreten, die zu „Vergaberecht und Submissionsabsprachen: Neue digitale Ermittlungsinstrumente“ referieren. „Die HTWG bringt ihre interdisziplinäre, anwendungsbezogene Stärke und die ZHAW Winterthur ihre besondere Expertise im Bereich Governance und Wettbewerbsrecht ein“, erläutert Prof. Strittmatter.

Prof. Dr. Marc Strittmatter unterscheidet drei Grade der Digitalisierung im Juristenalltag:
1.    Verbesserung von Büroabläufen beispielsweise mittels Software zur Büroorganisation oder juristischen Fachdatenbanken zur Rechtsrecherche, Matching-Portale, die Kunden helfen, einen geeigneten Rechtsbeistand zu finden wie auch Tools zur Kommunikation mit Mandanten. Sie unterstützen Juristen.
2.    Zugangserleichterungen zu Rechtsdienstleistungen für den Endverbraucher. Auf dieser zweiten Stufe haben sich einige neue Geschäftsmodelle entwickelt, die Juristen mittels automatisierter Rechtsdienstleistungen zum Teil ersetzen. Ein Beispiel hierfür ist der Online-Dienst Flightright, der Entschädigungsansprüche von Flugreisenden anhand der von ihnen auf der Website eingegebenen Daten automatisiert prüft und eventuell festgestellte Forderungen u.a. mit automatisch generierten Schriftsätzen durchsetzt.
3.    Am tiefsten greift die Digitalisierung in die Arbeit von Juristen auf der dritten Stufe ein, den „legal operations“. Hier werden nicht bloß einzelne Arbeitsschritte oder einfache, eng abgegrenzte Rechtsdienstleistungen von Software oder KI bewältigt. Legal Operations können unter anderem Tools zum Risiko-, Technologie-, Wissens- oder auch Finanzmanagement sein und damit Juristen tatsächlich (teilweise) ersetzen.

Juristen werden nicht überflüssig

Auf den Hype vor einigen Jahren folgte Ernüchterung. „Es zeigt sich, dass noch viel Arbeit auf technologischer Seite nötig sein wird“, betont Prof. Dr. Thomas Maier und erläutert: „Der Erkenntnisprozess, Wertungen und Ziele des Vertragsschreibers zum Beispiel, sind im Kern nicht ohne Weiteres ersetzbar.“ Angst, überflüssig zu sein, wenn die Technologie dazu in der Lage sein wird, hat er nicht, ganz im Gegenteil: „Es werden täglich mehr Rechtsfragen geschaffen“, sagt Maier. Die Digitalisierung könne helfen, die Rahmenbedingungen für die Arbeit von Juristen attraktiver zu gestalten, wenn sie mehr Zeit für andere Aufgaben haben.

Viele Themen für Abschlussarbeiten

Das Themenfeld Legal Tech bietet im Übrigen viele Aufhänger für Abschlussarbeiten an der HTWG. Gerade der tiefste Grad der Digitalisierung, wenn IT-Lösungen die Arbeit von Juristen selbstständig erledigen, ist in den Augen von Prof. Marc Strittmatter aus wissenschaftlicher Sicht besonders spannend. „Wie lässt sich der originäre juristische Erkenntnisprozess durch IT besser machen?“, fragt er. So ließen sich zum Beispiel Prozessaussichten besser einschätzen, wenn es möglich wäre, Tausende von Landgerichts-Urteilen zu einer Norm mit Hilfe von Software auf Muster prüfen zu lassen. Eine der größten Herausforderung hierfür ist allerdings noch die juristische Sprache. Deshalb muss wohl noch eine vierte Disziplin beim Thema Legal Tech mitarbeiten, um das kontextbezogene Verständnis zu integrieren: Die Sprachwissenschaft.
Auf dem HTWG-Campus liegt die Zusammenarbeit mit der Fakultät Informatik im Nachbargebäude im ganz wörtlichen Sinne nahe. So gibt es bei Abschlussarbeiten Kooperationen. Beim letztjährigen Legal-Tech-Day hat Prof. Dr. Oliver Dürr in einem Vortrag „Grenzen der KI“ vorgestellt.

Ein anderes Thema der Legal Technology: Die Nutzung von NoCode-Plattformen wie BRYTER. Wirtschaftsrecht-Absolvent David Heieck, Preisträger des „The Quality Group Legal Tech Awards“ wird das Thema seiner Abschlussarbeit beim Legal-Tech-Day vorstellen: „Kartellrechtlicher Bußgeldrechner auf Basis einer NoCode-Plattform“. Eine NoCode oder LowCode-Plattform ermöglicht die Programmierung zur Abwicklung regelbasierter Arbeitsabläufe ohne spezielle Programmiersprachen wie Javascript oder Python.

Die Entwicklung geht weiter

Prof. Dr. Marc Strittmatter zählt viele mögliche Themen für die Zukunft der Legal-Tech-Entwicklung auf, aber: Rechtsabteilungen von Wirtschaftsunternehmen müssten immer auch die Verhältnismäßigkeit der Investition zum Nutzen im Auge behalten. Weshalb also wieder die Wirtschaftsrechtler*innen gefragt sind, die dank ihrer interdisziplinären Ausbildung einschätzen können: Kann Digitalisierung die Effizienz einer Rechtsabteilung steigern und somit helfen, das Renditeziel zu erreichen?