Architektur

    Bachelor und Master

    Dekoratives grafisches Element

    Möglich machen, was unmöglich erscheint

    (11/19)Als Architektur-Student an der HTWG hat Uli Blum 1998 das erste komplett digitale Diplom erstellt, welches sein damaliger Betreuer, Prof. Klaus Hofmann, heute noch als „eine hinreißend gute Arbeit,“ beschreibt. Sein Diplom, „Mut zur Lücke“, für welche er das erste 3-D-gedruckte Modell fabrizieren liess, löste damals grundsätzliche Diskussionen aus, betreffend der zukünftigen Arbeitsweise des Architekten.

    Rückblickend sagt Uli Blum heute, dass es sich bei seiner Diplomarbeit sicherlich um ein schwer bewertbares Projekt gehandelt habe, da es damals so ungewöhnlich war. Und auch dieses Mal war sein Vortrag am vergangenen Mittwoch in der prall gefüllten Aula - ähnlich wie vor 21 Jahren - ungewöhnlich, visionär, aufrüttelnd.  „Nach so einer Diplom-Arbeit ist die Zukunft schon vorbestimmt, man kann da gar nicht mehr raus“, schmunzelte Uli Blum zu Beginn. So ist es nicht verwunderlich, dass er nach einem anschliessenden Studium an der Architectural Association in London für zahlreiche namhafte Firmen, wie z.B. OMA Asia und Gehry Technologies in Hong Kong und Zaha Hadid tätig war.

    Bei Gehry nutze Uli Blum Computerprogramme aus der Auto- und Flugzeugindustrie, um Gebäude zu planen und lernte, komplexe Gebäude und Formen mit Methoden umzusetzen, die heute als BIM Methode bezeichnet werden und immer häufiger angewendet werden. Gebäude wurden so zweimal gebaut: zunächst virtuell, dann in der Wirklichkeit. Seit 2012 ist er Associate bei Zaha Hadid Architects in London, wo er seit 2015 das ZHA workplace team (ZH Analytics and Insights) mit aufgebaut hat.  Seit 2017 lehrt Uli Blum als Professor für digitales Entwerfen und Konstruieren an der MSA in Münster.

    An diesem Abend sprach Uli Blum vor allem über die Einflussfaktoren der Digitalisierung und seine Arbeit im Analytics and Insights Team bei Zaha Hadid. „Geht es bei den Veränderungen um eine Evolution oder um eine Revolution?“ fragte er in den Saal.  Bei der Evolution würden sich die Dinge in kleinen Schritten weiterentwickeln, bei der Revolution würden nur agile und anpassungsfähige Kreaturen überleben.

    Die Beschleunigung, die die Digitalisierung mit sich bringt nimmt merklich an Fahrt zu. Während sich Veränderung zwischen 1990 und 2015 nur schleichend bemerkbar machten, befinden wir uns heute in einer disruptiven Phase. Laut Blum gibt es wegen dieser exponentiellen Entwicklung momentan enorme Transformationen, die für uns alle spürbar geworden sind. „Unsere Gesellschaft verändert sich gerade - schneller als den meisten lieb ist - von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft.“ Einer der Hauptveränderungsfaktoren spiele dabei Big Data, das inzwischen auch in der Bauindustrie angekommen ist. Ideen verbreiten sich schneller, indem man - ganz nach Prinzipien der Open Source Bewegung - Wissen teilt. Weitere Technologien, wie Machine Learning - die Fähigkeit von Computern, in Millionen von Bildern in kürzester Zeit Muster zu finden-, und die Nutzung vielfältiger Algorithmen tragen zu dieser enormen Beschleunigung bei.

    Wie beeinflussen nun diese Veränderungen die Zukunft der Architekten? „Wir erhalten „Superpowers“ “, sagt Uli Blum, „allerdings nutzen viele Architekten diese leider gar nicht.“ Parametrische Computerprogramme, wie Rhino/Grasshopper brachten seiner Meinung nach die größten Veränderungen in den letzten Jahren für Architekten. Mit diesen Softwaretools können Architekten mit Hilfe von generativen Algorithmen neue Wege in der Planung beschreiten. So lässt sich beispielsweise durch sogenannte Schieberegler (Slider) die Geometrie einer Gebäudeform dynamisch beeinflussen. Dadurch erzeugt der parametrische Entwerfer eine Vielzahl von verschiedenen Grundriss- und Gebäudevarianten - dieser Ansatz unterscheidet sich komplett von der herkömmlichen Herangehens- und Sichtweise anderer Architekten, die beispielsweise mit Skizzen und 2D Zeichnungen Gebäude entwickeln.

    In vielen Bereichen unseres Alltags sind Algorithmen schon ganz selbstverständlich geworden: „Heute kann man Bewegungsdaten der Spieler eines Fußballspiels nachträglich mit Hilfe von Heatmaps visualisieren und analysieren. Solche Algorithmen werden nur selten auf Gebäude angewendet, z.B. wissen wir nicht, wie die Mitarbeiter in einem Büro zusammenspielen,“ stellt er fest. „Beim Aufrufen einer Website wird jede Mausbewegung getrackt und jeder Nutzer bekommt eine personalisierte Webseite präsentiert. In Gebäuden sind wir hingegen nicht in der Lage, Arbeitsumgebungen zu generieren, die sich den Bedürfnissen der einzelnen Mitarbeiter anpassen.

    Selbst in der Landwirtschaft werden, wie unter dem Begriff „precision farming“ zusammengefasst, Resourcen, wie Wasser oder Düngemittel nur dort eingesetzt, wo sie benötigt werden, in Gebäuden hingegen heizen oder kühlen wir unabhängig davon, ob es den Menschen zu warm oder zu kalt ist. Wo bleibt diese Präzision in der Büroorganisation?“ In Anbetracht dessen, dass bei den Gesamtlebenszykluskosten die Baukosten grob 1%, Energie- und Wartungskosten etwa 9%, aber die Lohnkosten bis zu 90% ausmachen, liegt es auf der Hand, dass mit einer Optimierung der Gebäude und der Arbeitsumgebungen der gesamte Output eines Unternehmens nachhaltig verbessert werden könnte.

    Anhand von Beispielen zeigte Herr Blum dem Publikum, wie im Analytics Team bei Zaha Hadid mit Hilfe von Analysen und Daten gewonnene Erkenntnisse Grundrisse optimiert werden. Mit Hilfe von speziellen Algorithmen werden unzählige Grundrissvarianten und Gebäudegeometrien analysiert und verglichen, um die ideale Balance zwischen Kommunikation, Sichtbeziehungen und Lichtverhältnissen zu finden. Hier stellt Herr Blum die Frage: Braucht es in Zukunft noch Architekten? „Natürlich ja, weil wir mit Hilfe unserer kognitiven Fähigkeiten noch jeden Supercomputer schlagen“, sagt Uli Blum. Durch unsere Intuition können wir auf absehbare mehr erreichen als heutige KIs, welche sich - verglichen mit dem menschlichen Gehirn - Momentan auf dem Stand eines Taschenrechners befinden. Wir können aber eben nicht in Sekundenschnelle eine Million Bilder nach Katzen absuchen oder Billionen von Textstellen vergleichen. Der zukünftige Architekt wird mit diesen Supertools ausgestattet dennoch entwurfliches Neuland betreten.

    In seinen vorgestellten Beispielen von Bürogebäuden erkennt man eine gewisse Tendenz zu größeren zusammenhängenden Büroflächen. Uli Blum ist überzeugt, dass eine Organisation in der Horizontalen besser funktioniert, als wenn man Menschen in Bürohochhäusern übereinanderstapelt. Die Vorstellung, dass innerhalb eines Geschosses mit tausenden von Mitarbeitern kleine stadtähnliche Strukturen entstehen können, ist visionär und veranschaulicht, wie der Arbeitsplatz der Zukunft aussehen könnte. Wie jedes Dorf, jede Stadt zeigt, können  Menschen auf der horizontalen Fläche in hoher Anzahl zusammenleben. In einem Bürogebäude, das wie eine Mikrocity strukturiert ist, gibt es Straßensysteme und Nachbarschaften, Sitzbereiche und Cafés gliedern die Grundrisse und es gibt eine Unterscheidung zwischen öffentlich und privat. Die Möglichkeit seine Kollegen immer wieder auf der „Strasse“ zu treffen führt zu besserer Kommunikation und zu informellem Informationsaustausch. Das gemeinsame Raumerlebnis, wie wir das aus städtischen Strukturen gewohnt sind trägt zur Identitätsbildung bei.

    Immer wieder stellt Uli Blum den Zuhörern Fragen: Wie smart sind unsere Gebäude? Warum bestehen unsere Gebäude nur aus Hardware und nicht aus einer integrierten Kombination aus Hardware und Software, wie wir das bei anderen menschlichen Errungenschaften, wie dem Smartphone kennen? Wird es in der Zukunft lernende Gebäude geben, die sich auf die individuellen Bedürfnisse der Nutzer anpassen?

    Mittels Algorithmen lassen sich schon heute personalisierte Nutzerwünsche verarbeiten, die dann Einflüsse auf Umweltparameter und Möbelkonfigurationen erzeugen kann. Was wäre, wenn wir Gebäude planen würden, die sich ständig selbst verbessern während sie genutzt werden, statt sie alle 10-15 Jahre aufwändig umzubauen? Im Analytics Team bei Zaha Hadid London und als Professor für digitales Entwerfen und Konstruieren forscht und arbeitet er stetig an solchen und ähnlichen Visionen.

    Mit einem Zitat von William Gibson schließt er seinen Vortrag: the future is already here – it’s just not evenly distributed

    (Text: Conny Lurz)