Architektur

    Bachelor und Master

    Dekoratives grafisches Element

    Momente der Überraschung

    (10/19)Das Unerwartete finden, Menschen berühren und sie emotional abholen. Das ist es, was Daniela und Markus Seifermann, Gründer von ÜberRaum Architects London, bei ihrer Arbeit antreibt. Die beiden Architekten fanden nach ihrem Studium an der HTWG und Mitarbeit in süddeutschen Büros schnell eine neue Heimat in London. Ein DAAD Stipendium ermöglichte es Markus Seifermann, an der Bartlett School of Architecture in London zu studieren. Er absolvierte seine Masterthesis „Lost Space of Stiller“ bei Simon Herron und diese Arbeit habe ihn sehr geprägt, sei sie doch nach deutschem Verständnis näher an der Kunst als Architektur.

    Daniela folgte ihm ein Jahr später nach London und beide arbeiteten in renommierten Büros in der britischen Hauptstadt. Aufgrund der Finanzkrise 2008 wurden die beiden Projekte, an denen sie arbeiteten, fast auf den Tag genau nicht weitergeführt. Markus nahm dies zum Anlass, seine Stelle bei Make Architects zu beenden und mit seiner Masterarbeit bei der ETH Zürich am Max Frisch Institut anzuklopfen. Dort bekam er die Chance, die Jahresausstellung in der Haupthalle der ETH zu gestalten. Zeitgleich arbeiteten Daniela und er an Umbauprojekten in London.

    Die Herangehensweise der beiden an neue Aufgaben zieht sich wie ein roter Faden bis heute durch. Mit einem knappen Budget und wenig Erfahrung beim Thema Denkmalschutz in England starteten sie mit einem Umbau des „Casa Roja“ in London. Anhand gebauter Beispiele verstanden sie, wie mit begrenzten Finanzen eine große Wirkung erzielt werden kann und arbeiteten sich Schritt für Schritt im Denkmalschutz ein.  „Wir sind mit unserem süddeutschen Pragmatismus an das Projekt herangegangen und es hat gut funktioniert,“ erzählt Markus, während er Fotos des fertiggestellten Objektes zeigt.

    So auch bei den ZDF-Fernsehstudios, welche die beiden Architekten aufgrund eines gewonnenen Wettbewerbs in London generalsanierten. Die Schwierigkeit, in das denkmalgeschützte Gebäude die notwendige Technologie einzubauen, verstanden die beiden als willkommene Herausforderung. Sie absolvierten einen „Crash-Kurs“ in Fernsehtechnik beim ZDF in Mainz und wendeten ihre Erfahrungen aus dem Denkmalschutz des Projekts Casa Roja. Dass Daniela und Markus ihre Arbeit immer als Kooperation mit anderen Menschen sehen, zeigt sich hier ganz deutlich:
    „Wir suchen uns bei jedem Projekt einen Partner, der etwas in das Konzept einbringt, was wir selbst nicht können,“ erklärt Markus und verweist auf das Beleuchtungskonzept der Innenräume. Das Haus sollte wieder einen Charakter bekommen und so zogen sie die Lichtkünstlerin Isabell Hamm aus Köln hinzu, welche mundgeblasene Leuchten eigens für das Gebäude entwickelte.
    Auch das sogenannte „Easter Egg“ gehört für sie zu jedem Projekt dazu, eine bauliche Überraschung, von welcher der Bauherr bis zum Tag der Übergabe nichts weiß. Bei den ZDF Studios war es eine Gästetoilette als pinke Höhle in einem ungenutzten Flur.

    Ein Anruf der Deutschen Regierung brachte einen erneuten Wendepunkt: Aus vorerst geplanten und beauftragten Malerarbeiten wurde eine aufwändige denkmalgerechte Fassadenrenovierung, die zwei Jahre andauerte, bisher eines der größten und wichtigsten Projekte von ÜberRaum.
    Das Folgeprojekt der Generalsanierung der „German Ambassador’s Residence“, Belgravia London war für ÜberRaum der logische nächste Schritt. Neben ihrer klassischen Architektentätigkeit waren sie vor allem Vermittler zwischen dem englischen Denkmalschutz und der deutschen Regierung.
    Bei der Generalsanierung der inneren Staatsräume holten sich die beiden Architekten externe Fachleute ins Boot - Historiker, die zusammen mit Daniela neue Farbkonzepte für die Staatsräume nach alten Vorbildern entwickelten. Das spannende an dieser Arbeit war unter anderem, mit den vorgegebenen Spielregeln eines politisch genutzten Gebäudes umzugehen. Entstanden ist eine Residenz, deren Räumlichkeiten heute nicht nur für politische Empfänge geöffnet werden, sondern dem Nutzer ein breites Angebot an weiteren Möglichkeiten der Gestaltung bieten. So finden dort inzwischen auch Veranstaltungen wie etwa Modeschauen, Vernissagen, Konzerte. etc. statt.

    Die Bereitschaft, etwas zu riskieren, ist sicher ein großer Faktor für den Erfolg der beiden. „Wenn wir nicht bereit sind, ein Risiko einzugehen, kommen wir nicht weiter“ so Markus. Dies zeigt sich in zahlreichen folgenden Arbeiten, beispielsweise bei Projekten in Aserbaidschan: hier war es wichtig, sich auf neue Kulturen einzulassen, und dennoch in der Architektursprache die eigene Haltung wieder zu spiegeln. Auch hier setzen sie wieder auf das Wissen und die Zusammenarbeit mit lokalen Projektpartnern.

    Das Team von ÜberRaum Architects besteht mittlerweile aus zehn Mitarbeitern. „Wir sind ein Familienbetrieb mit flexiblen Arbeitszeiten und hoher Frauenquote“, berichtet Markus. Die Gründer Daniela und Markus haben es geschafft, sich in einer Marktnische zu platzieren und als deutsche Architekten in London für deutschsprachige Unternehmen tätig zu sein. Zu ihren Kunden zählen unter anderem das ZDF, Degussa und Lidl. Obwohl sie bereits seit 16 Jahren in London wohnen, fühlen sie sich mit ihrer süddeutschen Heimat immer noch stark verbunden. So überrascht es nicht, dass das im Schwarzwald realisierte Einfamilienhaus „Cloud Cuckoo House“ eines ihrer meist preisgekrönten Projekte ist. Der Baukörper in Holzbauweise, der sich über mehrere Ebenen staffelt, bekam so viel Aufmerksamkeit, dass Daniela vor zwei Jahren als eine der besten 40 Architekten unter 40 („40 architects under 40“) ausgezeichnet wurde.

    Ihrer Linie bleiben sie bis heute treu: So sehen sie sich bei der Schaffung eines neuen Mediencampus in Tempelhof Berlin in der Rolle des Regisseurs, der am Schluss alle Inputs der beteiligten Partner zu einem großen Ganzen zusammenbringt: der schottische Regisseur Simon Hunter gehört ebenso zum Team wie lokale Architekten und Kinoplaner aus Deutschland. Markus selbst hat einige Zeit Film in London studiert. Hier ging es ihm vor allem um Konzeptschärfung, wie er sagt, was ihn als Architekt bereichtert und ihn viel über die Denkweise anderer Disziplinen gelehrt habe.

    „Dennoch ist die Qualität der Architektur nach wie vor abhängig vom Bauherren“, stellt Markus am Ende seines Vortrages fest.
    Eine Frage von Prof. Myriam Gautschi, an die sich Daniela und Markus gerne erinnern, habe sie beim Umbau eines Hauses in Portugal begleitet: „Wieviel braucht’s?“. Seiner Meinung nach nur so viel: einen guten Ort, menschlichen Maßstab und einen Moment der Überraschung. (Text: Conny Lurz)