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Ort des Dankes und des Gedenkens im Schwarzwald von Architektur-Studierenden

Eine große Gruppe von Menschen, die auf Holzbeigen oder davor sitzen bzw. stehen.

Die internationale Gruppe von Studierenden aus Brasilien, Frankreich, Uruguay und von der Fakultät Architektur der HTWG zusammen mit ihren Professor*innen auf der Baustelle der „Wall of contemplation“ in Göschweiler (© FlyingClassroom).

Im Rahmen des diesjährigen FlyingClassrooms, einer Summer School unter Leitung von Prof. Myriam Gautschi, haben Architektur-Studierende der HTWG in Zusammenarbeit mit der FADU Montevideo, der ENSA Lyon und der Escola da Cidade (Sao Paulo) in Göschweiler bei Löffingen die „Wall of contemplation“ geschaffen, die am 4. September feierlich eingeweiht wurde.

Zwei Wände, präzise Nord-Süd / West-Ost ausgerichtet, bilden zusammen mit einem bestehenden Wäldchen und sieben in Reihe gesetzten Eiben einen spirituellen Raum. Die verschieden langen Holzbeigen beziehen sich von außen auf das im Schwarzwald traditionell verankerte Element von aufgestapeltem Holz und bilden in ihrem natürlichen Erscheinungsbild gleichzeitig Lebensraum und Futtermöglichkeiten für verschiedenste Tiere. Im Innenraum laden Nischen und eine lange Bank die Besucher*innen zum Verweilen ein. Der Raum, zum Himmel geöffnet, definiert einen Ort der Ruhe und inneren Einkehr. Wie bei Kirchen ist die Konstruktion in Richtung der aufgehenden Sonne ausgerichtet.

Ein Ort, der an die Pandemie erinnert

Die Idee entstand auf Initiative von Georg Willmann, Unternehmer aus Löffingen, der aus einer schweren Covid-19 Erkrankung genesen, einen offenen Ort des Innehaltens erschaffen wollte. Willmann möchte den frei zugänglichen Raum mit allen jenen teilen, die nach Stille, Hoffnung, Vertrauen und innen Stärke suchen. „Es war kurz vor knapp“, so Willmann. Sollte er überleben, das habe er für sich auf der Intensivstation entschieden, würde er etwas bauen, das an die Pandemie erinnere. „Meine Idee war eine Kapelle. Und was man in schweren Zeiten verspricht, darf man hinterher nicht vergessen.“

Zwei Holzbeigen in West-Ost-Ausrichtung. Die längste der drei Seiten der „Wall of contemplation“ in Göschweiler (© FlyingClassroom).


Die internationale Gruppe von Studierenden aus Brasilien, Frankreich, Uruguay und der HTWG Konstanz hat das Projekt nicht nur gemeinsam entworfen und geplant, sie hat auch innerhalb von nur acht Tagen, zwischen dem 28. August und 4. September 2022, den Ort eigenhändig erschaffen. Dieser spiegelt die zuvor in Seminaren begonnene Auseinandersetzung mit Spiritualität wider und trägt Spuren der Begegnungen im Kloster Sainte-Marie de la Tourette, welches die Gruppe vor Baubeginn kennenlernen durfte.

Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort

„Willst du ein Schiff bauen, so lehre die Männer die Sehnsucht nach dem Meer, dann verteile die Werkzeuge.“ Frei nach Antoine de Saint-Exupéry beschreibt Myriam Gautschi, Architekturprofessorin an der Hochschule Konstanz, die Projektidee. Ohne die Hilfe und Expertise der Menschen vor Ort hätte sich das Projekt niemals realisieren lassen, betont Prof. Gautschi: „Wir waren angewiesen auf das Wissen und Können derer, die uns geholfen haben, diese Holzbeigen umzusetzen. Wir haben hier einen Raum erschaffen, an dem man zur Ruhe kommen soll, der spirituell ist. Wir hatten alle diese Sehnsucht. Das hat uns getrieben, über die Erschöpfung hinaus. Körperlich so zu arbeiten hat die Studierenden auch an ihre Grenzen gebracht. Jetzt lassen wir uns fallen und gehen. Aber die Bindung zu diesem Ort wird nie wieder verschwinden.“

Innenraum der „Wall of contemplation“ in Göschweiler (© FlyingClassroom).

Architektur out of the box: Unterricht als Lokaltermin

Die Ursprungsidee des FlyingClassrooms entstammt Erich Kästners Buch „Das fliegende Klassenzimmer“ und dessen Ansatz, den Unterricht zum Lokaltermin zu machen. Myriam Gautschi, die das FlyingClassroom gemeinsam mit Ciro Pirondi von der Escola da Cidade in Sao Paulo im Jahr 2011 ins Leben rief, beschreibt die Philosophie, Architektur out of the box zu lehren, so: „Wir gehen raus und lernen am Ort und vom Ort. Ziel ist es, durch die Augen des anderen sehen zu lernen. Den anderen zu verstehen, auf Augenhöhe zu begegnen, und daraus etwas Gemeinsames zu entwickeln. Wir reisen immer, wir sind also immer fremd. Dadurch brauchen wir den anderen, eine wichtige Erfahrung. Wir laden Gäste aus den verschiedensten Bereichen ein, die an diesen Orten zu unseren Lehrmeistern werden. Dann übersetzen wir das, was wir gelernt haben, in räumliche Interventionen.“