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    Wirtschaftsrecht

    ... schließt die Lücke zwischen Jura und BWL.

    Legalneer

    Haben Sie schon einmal juristische Aufgaben mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz gelöst? – Dann werden Sie sicher festgestellt haben, dass es bei Tools wie ChatGPT zu zahlreichen Problemen kommt und die Lösungen fehleranfällig sind. Dies liegt unter anderem daran, dass allgemeine Trainingsdaten verwendet werden, keine Transparenz hinsichtlich der verwendeten Quellen besteht und die Systeme zu Halluzinationen neigen. Genau an dieser Stelle setzt das KI-Tool Legalneer an: Über die Anbindung an eine eigene Datenbank kann Fachwissen gezielt extrahiert werden, was die Ergebnisse signifikant verbessert. In diesem Beitrag möchten wir das Tool Legalneer vorstellen und dabei sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen beleuchten.

    Das Konzept von Legalneer entstand aus der Erkenntnis, dass Large Language Models (LLMs) im rechtlichen Bereich aufgrund von mangelnden Trainingsdaten sowie fehlender zeit- und kontextaktueller Informationen oft unzureichend sind. Im Rahmen des Konstanz Legal Tech Days 2023 wurde untersucht, wie die Antwortfähigkeiten von Modellen wie z.B. GPT-4 im rechtlichen Bereich verbessert werden können. Informatiker und eine Gruppe von Masterstudierenden des Studiengangs Legal Management haben verschiedene Ansätze erforscht. Eine Möglichkeit besteht darin, Anbieter von LLMs wie z.B. OpenAI, AlephAlpha oder Mistral an eine eigene Vektordatenbank anzubinden, in der rechtliches Fachwissen gespeichert werden kann.

    Legalneer basiert auf diesem Prinzip und ermöglicht Anfragen an einen eigenen fachspezifischen Datenbestand, indem neueste RAG-Techniken (Retrieval Augmented Generation) eingesetzt werden. Das allgemein trainierte LLM wird für die Sprachverarbeitung verwendet, während die inhaltlichen Informationen aus den hoch spezialisierten Daten stammen. Vereinfacht dargestellt werden die hinterlegten Daten in Vektoren gruppiert, die auf ihrer Ähnlichkeit basieren. Bei einer Abfrage erfolgt der Vergleich dieser Vektoren mit verschiedenen Such- und Ordnungstechniken, um relevante von irrelevanten Inhalten zu unterscheiden und die passenden Bausteine für die Antwort zu extrahieren, wobei der Hauptkompromiss zwischen Genauigkeit und Geschwindigkeit liegt.

    Nutzern von Legalneer stehen derzeit folgende Optionen zur Verfügung: (1) Über die Funktion LegalAnswer ist es möglich, juristische Dokumente zu durchsuchen und gezielte Antworten zu erhalten, die mit entsprechenden Quellenangaben versehen sind. Dabei können Nutzer den spezifischen Wissensbestand festlegen, auf den sich ihre Anfrage beziehen soll. (2) Mit LegalSummary können Daten mithilfe von KI zusammengefasst werden, wobei Texte sowohl manuell eingegeben als auch aus verschiedenen Quellen, wie Dokumenten oder Video-Transkripten, extrahiert werden können. (3) Die Funktion LegalOpinion ermöglicht es Benutzern, kleine und einfache Rechtsfälle einzugeben und dazu Fragen zu stellen. Nutzer können relevante Rechtsnormen angeben, die in das Gutachten aufgenommen werden sollen, sowie eigene Prüfungsschemata festlegen. Basierend auf den Eingaben erstellt das Tool eine Falllösung im Gutachtenstil, das durch ausgewählte Daten aus der Wissensdatenbank unterstützt wird. (4) Weiterhin steht die Funktion Legal Chat zur Verfügung, die eine direkte Interaktion mit der KI und das Stellen flexibler Rückfragen ermöglicht. (5) Darüber hinaus ist perspektivisch eine Funktion zur automatisierten Vertragsprüfung vorgesehen.

    Legalneer befindet sich derzeit in der Prototypphase und steht am Anfang seiner Entwicklung. Es ist wichtig zu betonen, dass die Ausgaben auf Wahrscheinlichkeiten basieren und LLMs kein echtes juristisches Verständnis besitzen. Dadurch sind die Lösungen teilweise fehleranfällig, die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse begrenzt, und es mangelt an Kontrolle über die interne Logik bei der Bearbeitung von Anfragen. Vor diesem Hintergrund ist eine kritische Überprüfung der generierten Ergebnisse unerlässlich, um die Richtigkeit und Qualität der Ausgaben sicherzustellen. Dennoch ermöglicht das Tool eine erhebliche Optimierung der Arbeitsweise. Juristen können sich verstärkt auf ihre Kernaufgaben fokussieren, da die KI routinemäßige Tätigkeiten automatisiert und entscheidende Vorarbeiten bei inhaltlichen Themen übernimmt.

    Derzeit testen Studierende das Tool im Rahmen von Bachelor- und Masterarbeiten und stehen in engem Austausch mit Informatikern, die uns dabei unterstützen, die KI weiter zu optimieren. Dabei wurden bereits verschiedene rechtliche Themenfelder und Bereiche untersucht, darunter bspw. das Produkthaftungsrecht, die Einkommensermittlung im Steuerrecht und Falllösungen zum BGB. Legalneer eignet sich im Status Quo besonders gut für die Zusammenfassung, Aufbereitung und Strukturierung von Informationen sowie die Informationsextraktion und Dokumentenanalyse. Es unterstützt auch bei der Einführung in Themen mit verschiedenen Darstellungsweisen, der Gegenüberstellung von Standpunkten und der Argumentation, dem Abhandeln von Checklisten sowie der Formulierung, Korrektur und Übersetzung von Texten. Vergleiche mit Benchmarks wie dem KI-Tool Harvey zeigen, dass Legalneer bereits konkurrenzfähige Ergebnisse erzielen kann. Zur Weiterentwicklung der KI suchen wir weitere interessierte Studierende, die im Rahmen einer Abschlussarbeit das Tool testen. Mögliche Themen umfassen die Bewertung der aktuellen Funktionen, Datenaufbereitung und -bereitstellung, die Entwicklung und Evaluation von Anwendungsfällen, die Verbesserung von Workflows sowie die Steigerung der Benutzerfreundlichkeit. Darüber hinaus gibt es auch Möglichkeiten im Bereich Tool-Marketing.

    Perspektivisch ist es das Ziel, dass Legalneer einerseits vorlesungsbegleitend eingesetzt werden kann und wie vorstehend skizziert das Studium unterstützt. Wir haben bereits positives Feedback von Studierenden erhalten, was unsere Überzeugung stärkt, dass wir einen wesentlichen Beitrag zur Modernisierung der Lehrmethoden an der HTWG leisten und den Lernprozess bereichern können. Andererseits soll das KI-Tool auch in der Praxis von Unternehmen eingesetzt werden können und auf deren spezifische Anwendungen spezialisiert werden.

    Beim diesjährigen Konstanz Legal Tech Day am 23. Oktober 2024 wurden die neuesten Entwicklungen zur Nutzung von LLMs in der Rechtspraxis vorgestellt sowie die aktuellen Fortschritte von Legalneer präsentiert. In einem Workshop erläuterten Prof. Dr. Thomas Maier und Informatiker Dr. Vincent Kuhn die technischen Hintergründe, schufen die Schnittstelle zu Legalneer und demonstrierten die Anwendung anhand anschaulicher Praxisbeispielen und Live-Tests.

    Die Auseinandersetzung mit dem Einsatz generativer KI zeigt, dass diese Technologie künftig kaum noch wegzudenken sein wird und eine innovative Arbeitsweise fördert. Legalneer zeigt vielversprechendes Potenzial, die juristische Arbeit durch die Anbindung an eine spezialisierte Wissensdatenbank zu verbessern. Dabei ist es wichtig, die Technologie verantwortungsvoll zu integrieren, um ihre Vorteile zu nutzen und gleichzeitig Risiken zu minimieren. Die jüngsten Entwicklungen machen deutlich, dass wir uns sowohl im Studium als auch in der Arbeitswelt einem Wandel gegenübersehen. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar war, lässt sich nunmehr durch KI-Tools abbilden und eröffnet neue Perspektiven.

    T. Maier und T. Nauthe