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Die Wachteln - eine Campussoap

25.02.2021

Zum ersten Mal hat die Schreibberatung der HTWG Studierende zum kreativen Schreiben eingeladen. Entstanden ist eine Erzählung mit überraschenden Wendungen.

Seit einem Jahrzehnt berät Dr. Monika Oertner Studierende der HTWG zu Fragen rund um das wissenschaftliche Schreiben. Tausende Studierende hat sie in Schreibkursen, Crashkursen und Beratungsangeboten im Einmaleins des wissenschaftlichen Arbeitens geschult. Sie vermittelt das Handwerkszeug, das für das Verfassen wissenschaftlicher Texte benötigt wird. Berichte und Abschlussarbeiten stehen dabei im Fokus.

Im Beruf sind Schreib-Skills gefragt

Nicht nur im Studium, sondern auch im Berufsleben werden Absolvent*innen mit dem Schreiben von Texten konfrontiert. Dies gilt für ausnahmslos jede berufliche Position. Die gefragten Textsorten werden dann ganz unterschiedliche sein – von einer verständlichen Projektbeschreibung für fachfremde Personen über die technische Dokumentation bis hin zur motivierenden Rundmail an das Team. Auf diese Schreibaufgaben sind die Absolvent*innen unterschiedlich gut vorbereitet. „Vielen fällt es schwer, ‚ins Schreiben zu kommen‘ und überhaupt etwas zu Papier zu bringen“, weiß Monika Oertner aus langjähriger Erfahrung. Als „Fingerübung im freien Schreiben“ lud sie deshalb im Wintersemester zu einem neuen Workshop ein: In der Reihe „Stark für Studium und Beruf“ (LINK) konnten Studierende sich im freien Schreiben üben, ohne jeden Erfolgsdruck. „Der wichtigste Ertrag sollte für die Studierenden in der Selbsterfahrung beim flüssigen Schreiben und beim akribischen Überarbeiten liegen, einer Form der praktischen Selbstoptimierung – oder anders gesagt, beim learning by doing“, erläutert die Schreibberaterin.

Woche für Woche eine Fortsetzung

Damit nicht jede*r Teilnehmer*in zusammenhanglos vor sich hin schreibt, hatte sich Oertner für ein kollaboratives Projekt entschieden. Jede*r im Kurs trug einige Absätze bei, sodass eine gemeinschaftlich verfasste Geschichte entstand. Woche für Woche wurde der Text weitergereicht, redigiert und kommentiert und um eine Fortsetzung erweitert. Als ehemalige Verlagslektorin begleitete Monika Oertner die Schreibfortschritte und versah sie mit Anfang und Schluss.

Den Auftakt machte sie mit einem Einstiegstext, der verschiedene Richtungen anbot, in die sich die Geschichte entwickeln konnte: Die Studentin Ina geht zwischen HTWG und Seerhein entlang. Was sie dabei nachdenklich macht, ist eine Schar ungewöhnlicher Vögel, die sie unter den Büschen entdeckt. ¬¬‒ Damit hatte Oertner die Leimrute ausgelegt. Würde die Vogelgrippe in die Geschichte Einzug halten? Oder wird ein Fall von Tierquälerei in Laborversuchen aufgedeckt? Dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ist der Erzählerin klar: „Plötzlich schoss ihr ein unheimlicher Gedanke durch den Kopf. Hatte der Gründer der Hochschule nicht Alfred Wachtel geheißen?“

 

Vegetarismus und Beziehungskisten

Eine geheime Wunschvorstellung der Schreibberaterin war, dass sich die Geschichte in Richtung Phantastik oder Science Fiction entwickeln könnte. Die Kreativität der schreibenden Studierenden ging jedoch in eine andere Richtung. Dabei prägten die ersten Ko-Autor*innen den Handlungsverlauf am stärksten. So lag zum Beispiel Inas Studiengang schnell fest, als die erste Fortschreiberin, eine Architekturstudentin, ihre Perspektive einbrachte.

Von Autorin zu Autor erfuhr die Story neue Wendungen. Dennoch ist sie in sich stimmig. Die Gruppe nahm immer wieder Fäden der vorangegangenen Textblöcke auf und führten sie zusammen. Nicht nur dank der Namenskürzel im Text ist erkennbar, wann ein Autorenwechsel stattfand. Vielfach wurden Cliffhanger eingebaut, die die Aufgabe für den oder die Nachfolger*in besonders spannend machte. „Der Verdacht liegt nahe, dass hier eine Erzählstrategie aus den Serien bekannter Streamingdienste abgeschaut wurde“, sagt Dr. Monika Oertner schmunzelnd.

Die Schreibberatung an der HTWG

2011 ist die „Schreibberatung“ auf Initiative des Instituts für professionelles Schreiben und hier führend von Prof. Dr. Volker Friedrich als erste Einrichtung dieser Art an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg eröffnet worden.
Die Schreibberatung der HTWG versteht sich als zentrale Serviceeinrichtung für Studierende und Lehrende. Sie möchte dazu ermuntern, die eigenen Schreibfähigkeiten auszubauen, vorhandene Ressourcen zu aktivieren, Regelwissen zu festigen und durch wiederholte Anwendung Stilsicherheit und Eloquenz im schriftlichen Ausdruck zu erlangen. Berufs- und fachtypische Textarten stehen ebenso im Fokus wie das akademische Schreiben. Der Absicherung des wissenschaftlichen Niveaus der Abschlussarbeiten dienen außerdem verschiedene didaktische Angebote zur Vermeidung von Plagiaten.

Zum Serviceangebot zählen Schreibkurse im Studium generale (Fit für die Thesis), Crashkurse zu den wissenschaftlichen Standards, Einzelsitzungen und Workshops in den Studiengängen, Individualberatung im wissenschaftlichen Schreiben, Bewerbungsberatung, freiwillige Plagiatskontrolle und Plagiatsgutachten für Lehrende.

Weitere Informationen auf den Webseiten der Schreibberatung der HTWG.

Ganz beiläufig erhält man beim Lesen Einblicke in die Lebenswelt der Studierenden, die fünf verschiedenen Fakultäten angehören und damit die HTWG-Studienlandschaft fast perfekt abbilden. Selbstverständlich sind sie in Konstanz mit dem Fahrrad unterwegs, brausen verkehrsregelwidrig durch die Fußgängerzone, Vegetarismus spielt eine Rolle, Partys, Freundschaften und Beziehungen, aber auch das Lernen und Recherchieren und die fachübergreifenden Angebote des Studium generale. Damit folgten die Autor*innen einem Rat der Schreibberaterin: „Schauen Sie auf die Welt durch Inas Augen.“

Willkommene Abwechslung zum wissenschaftlichen Schreiben

„Ein sehr interessanter Mix aus verschiedenen Ideen und Stilen ist zusammengekommen“, urteilt eine Studentin des Fachs Wirtschaftssprachen Asien und Management China. „Von den ersten Beiträgen an konnte man nicht abschätzen, wie die Geschichte weiter verläuft, aber ich wurde nicht enttäuscht. Mir gefällt das Konzept grundsätzlich, aus vielen Ansätzen einen sinnvollen Faden zu spinnen, der auch von allen Beteiligten sehr schön weitergeführt wurde.“ Geholfen dabei haben die Schreibtipps von Dr. Monika Oertner, wie zum Beispiel: „Das Netz weiterknüpfen (Kohärenz). Sie dürfen und sollen neue Aspekte, Personen und Wendungen einbringen, aber achten Sie darauf, dass keine Widersprüche entstehen.“

„Das Schreiben hat mir viel Spaß bereitet, zumal es eine Abwechslung zu dem eher strengen und enggefassten wissenschaftlichen Texten darstellt, die sonst im Studium verlangt werden“, sagt eine Ko-Autorin rückblickend. „Jedoch ist auch ein freier Text immer noch eine Herausforderung, da hier die Kreativität und Schlüssigkeit gefragt sind. Zwar kann man hier seine eigenen Ideen integrieren, aber wenn man es nicht gewohnt ist, überhaupt frei eine Story zu führen, dauert der Feinschliff doch sehr viel länger als erwartet.“

Hürde vor dem ersten Satz

Die meisten Kursteilnehmer*innen bestätigen, etwas über das Schreiben hinzugelernt zu haben. Ein Elektrotechnik-Student antwortet auf die Frage: „Definitiv. Vor allem durch die Schreiberfahrung selbst in Kombination mit den Tipps. Ich habe sehr lange gebraucht, um die ersten Sätze zu schreiben. Sobald man einmal ‚drin‘ war, lief das Schreiben flüssiger.“ Eine Mitautorin fügt hinzu, dass sie gelernt habe, ihre Prioritäten besser zu setzen, wenn beim ersten Entwurf zunächst „eine chaotische Grundstruktur“ entstanden sei.

Alle Studierenden haben intensiv an ihren Entwürfen gearbeitet, da ist sich die Schreibberaterin sicher. Kein Wunder, ihr Tipp war: „Feilen und Polieren. Schicken Sie Ihren Text erst zurück, wenn sie voll und ganz mit ihm zufrieden sind. Schon Hemingway wusste: „The first draft of anything is sh..”

Es habe ihr sehr viel Spaß gemacht, etwas Neues und Ungewöhnliches auszuprobieren, sagt eine Maschinenbaustudentin. „Es war eine schöne Abwechslung zu meinem ‚normalen Studentenalltag‘, in dem ich mich mit ganz anderen Themengebieten beschäftige“, erläutert sie und gesteht: „Ganz leicht fiel es mir nicht, da das kreative Schreiben überhaupt nicht in meinem Studiengang benötigt und gewünscht wird.“

Show, don’t tell

Ein großer Unterschied zum wissenschaftlichen und technischen Schreiben besteht nach Oertner darin, dass präzise Angaben beim literarischen Schreiben fehl am Platz seien. Beim Lesen eines Romans sei es interessanter, selbst Schlüsse aus dem Geschehen zu ziehen als Informationen vorgesetzt zu bekommen. Die Schreibstrategie „Show, don’t tell“ fiel im Workshop auf fruchtbaren Boden, wurde jedoch auch als neue Herausforderung wahrgenommen. Eine Masterstudentin aus dem Studiengang Unternehmensführung findet, „dass es nicht einfach ist, genügend Raum für Gedanken des Lesers zu lassen und nicht alle Schlussfolgerungen niederzuschreiben.“ Dennoch ist ihr frohes Resümee, „dass kreatives Schreiben Spaß machen kann“ und der Kurs „zur Horizonterweiterung“ gedient habe.

Interesse an kreativen Kursangeboten

Kreatives Schreiben – außerhalb der Kreativstudiengänge der HTWG durchaus etwas Exotisches. Doch sieht die BWL-Masterstudentin den Kurs als „ein lehrreiches und Freude bringendes Angebot, eine interessante Erfahrung und (für mich erstaunlicherweise) eine Ablenkung während der Vorbereitung der Prüfungsphase.“ Die Maschinenbaustudentin ergänzt: „Das Angebot ist etwas Besonderes, was die Bandbreite der bisherigen Angebote der HTWG sehr gut erweitern würde.“

Dabei war sich Oertner zu Beginn des Semesters gar nicht sicher, ob ein solches Projekt bei den oftmals wenig schreibaffinen Studierenden der HTWG auf Interesse stoßen würde. Sie wurde positiv überrascht. Zufrieden sagt sie zum Abschluss: „Das Experiment ist geglückt und das Ergebnis kann sich sehen lassen – Fortschreibung nicht ausgeschlossen.“

Hinter folgendem Link stehen „Die Wachteln – eine HTWG-Campusgeschichte“ zum Download.

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