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Forschung für die Schlafmedizin

17.11.2020

Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der HTWG für drei Jahre mit bis zu 1 Million Euro. Kooperationspartner ist unter anderem die Charité.

Kann Informatik zur Steigerung der Schlafqualität beitragen? Denjenigen, die nun frotzeln, dass ihnen die Disziplin eher den Schlaf raube, kann Prof. Dr. Ralf Seepold Contra geben. Er forscht mit seinem Team und internationalen Partnern seit vielen Jahren daran, wie Informatik Medizinerinnen und Mediziner bei der Behandlung von Patienten unterstützen kann. Ein Schwerpunkt ist dabei das nicht-invasive Monitoring von Schlafenden. Das heißt: ohne den Einsatz von Untersuchungsgeräten unmittelbar am oder im Körper der Personen. Nun hat die Carl-Zeiss-Stiftung im Rahmen Ihres Förderprogramms Transfer einen Forschungsantrag von ihm bewilligt. Das interdisziplinäre Projekt trägt den Titel „Nicht-invasives System zur Messung schlafqualitätsrelevanter Parameter“. Über drei Jahre beträgt die Fördersumme bis zu einer Million Euro.

Schlafqualität beeinflusst allgemeinen Gesundheitszustand

„Rund ein Viertel der Deutschen hat das Gefühl schlecht zu schlafen, ab dem Alter von 40 Jahren steigt die Zahl weiter an“, weiß Prof. Seepold. Insbesondere ältere oder allein lebende Personen seien betroffen. Nächtliches Wachliegen ist nicht nur einfach lästig: Mangelnder Schlaf verringert die Leistungsfähigkeit, kann zu körperlichen Erkrankungen, psychischen Problemen und – im Extremfall – zu einem vorzeitigen Tod führen. Aber: Untersuchungen der Schlafqualität im Schlaflabor sind aufwändig und nur eingeschränkt möglich. Ziel des Forschungsprojekts an der HTWG Konstanz ist daher die Entwicklung einer Sensorbox, die zuhause bei Bedarf auch über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden kann und den Arzt bei der Patientenüberwachung und Diagnostik unterstützt. Die Sensorbox wird unter der Matratze platziert, eine Kameraüberwachung oder Verkabelung ist nicht notwendig. Neben der Entwicklung sollen im Laufe des Projekts der Einsatz der Box getestet und die Daten analysiert werden.

Vitaldaten werden von Sensoren erfasst

„Durch diese Förderung werden unsere Forschungen zur kontaktlosen Analyse von Vitaldaten, wie z.B. der Schlaf/Wach-Zustand, Atmung oder der Herzrate während des Schlafens, und die Diagnostik für die Schlafmedizin richtungsweisend gestärkt”, erklärt der Projektleiter Prof. Dr. Ralf Seepold.

 

Interdisziplinäres Projekt

Mit zum HTWG-Team gehören im Projekt Prof. Dr. Clotilde Rohleder und Prof. Dr. Markus Eiglsperger. Prof. Eiglsperger, ebenfalls aus der Fakultät Informatik, beschäftigt sich mit der Softwarearchitektur und der Entwicklung von mobilen Anwendungen und Webanwendungen mit besonderem Augenmerk auf Cloud Technologien und Software Testing. In diesem Forschungsprojekt übernimmt er die Entwicklung einer mobilen App. Sie soll für die unterschiedlichen Benutzergruppen, Patienten und Ärzte, anwenderfreundlich und für eine breite Palette von mobilen Endgeräten (Mobiltelefone, Tablets u.a.) unterschiedlicher Hersteller geeignet sein. Prof. Dr. Clotilde Rohleder aus der Fakultät Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaften wird ihre Expertise im Bereich Product-Lifecycle-Management (PLM) einbringen, was für das Projektmanagement sowie den Anschluss des Systems an externe Plattformen und somit für den späteren Einsatz wichtig sein wird.

Darüber hinaus werden weitere hochschulinterne Kooperationen angestrebt: Zum Beispiel mit dem Open Innovation Lab, dem Ubiquitous Computing Lab, aber auch dem ECOLAR-Home von den Studiengängen Architektur, mit dem Prof. Seepold bereits zu Fragen des intelligenten Wohnens im Sinne des Assisted-Living kooperiert.

Kooperation mit der Charité

„Das Thema ‚Schlafanalyse‘ ist aktuell hoch relevant, und es wird von mehreren einschlägigen Forschergruppen bearbeitet“, erläutert Prof. Seepold. Im Projekt der HTWG wird die Erfassung der Schlafdaten ins Zentrum der Analyse gestellt. Da das Schlafverhalten rein nicht-invasiv untersucht werden soll, birgt das zu entwickelnde System einige Herausforderungen für Hard- und Software. Schließlich soll es möglich sein, beispielsweise die Daten zur Atmung und Herzrate aus einem Signaldatenstrom herausfiltern zu können. In der Folge ist eine medizinische Auswertung der Daten möglich, hier werden auch Methoden der Künstlichen Intelligenz eingesetzt. Um die Entwicklung am Bedarf der Ärztinnen und Ärzte auszurichten, arbeitet das Team eng mit der Forschungsgruppe des interdisziplinären schlafmedizinischen Zentrums der Charité in Berlin, dem größten Universitätsklinikum Deutschlands, zusammen.

Neben der Charité gibt es weitere externe Partner wie die Hochschule Kempten und Reutlingen. Kooperative Promotionen sind beispielsweise mit den Projektpartnern Universitäten Ancona (Italien), Sevilla (Spanien), Sorbonne (Frankreich) und der Charité möglich. Partner aus den Bereichen für den praktischen Einsatz, wie zum Beispiel die AWO Kreisverband Schwarzwald-Baar e.V. oder der Verein SmartHome & Living Baden-Württemberg e.V. runden das Konsortium ab.

Einbindung in die Lehre

„Die HTWG legt besonderen Wert auf die Stärkung von Forschung und Transfer in der Digitalisierung“, erläutert Prof. Dr. Gunnar Schubert, Vizepräsident Forschung, Transfer und Nachhaltigkeit. Die Förderung der Stiftung erlaube zudem wissenschaftlichen Nachwuchs heranzubilden. Daran anschließende Promotionen und die Einbettung der Ergebnisse in die Ausbildung der Studierenden seien äußerst wichtig für aktuelle und künftige Berufsbilder. „Das Projekt bietet viele Themen für fakultätsübergreifende Studienangebote und Abschlussarbeiten“, sagt Prof. Ralf Seepold mit Blick insbesondere auf Gesundheitsinformatik Angewandte Informatik, Automobilinformationstechnik sowie BWL. Auch weiterführende Ideen, wie z.B. die Gründung eines Startups aus dem Projekt heraus, werden unterstützt. Schließlich hat das Projekt große gesellschaftliche Relevanz, so Seepold: „Eine verbesserte Diagnostik und therapeutische Unterstützung leistet einen wichtigen Beitrag zur Schlafgesundheit, und sie wird den Einsatz von personalisierter Medizin unterstützen, damit Lebensqualität, Gesundheit und Leistungsfähigkeit verbessert werden.“

Foto: Robin Higgins, Bella H./Pixabay

Über die Carl-Zeiss-Stiftung

Die Carl-Zeiss-Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, Freiräume für wissenschaftliche Durchbrüche zu schaffen. Als Partner exzellenter Wissenschaft unterstützt sie sowohl Grundlagenforschung als auch anwendungsorientierte Forschung und Lehre in den MINT-Fachbereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). 1889 von dem Physiker und Mathematiker Ernst Abbe gegründet, ist die Carl-Zeiss-Stiftung eine der ältesten und größten privaten wissenschaftsfördernden Stiftungen in Deutschland. Sie ist alleinige Eigentümerin der Carl Zeiss AG und SCHOTT AG. Ihre Projekte werden aus den Dividendenausschüttungen der beiden Stiftungsunternehmen finanziert.