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Frischzellenkur für Campus-Wissenschaftler

16.07.2018

Ohne sie würde etwas auf dem Campus der HTWG fehlen: Die orangefarbenen Figuren auf dem Forum zwischen Gebäude F und Bibliothek gehören zum Bild der Hochschule. Seit einigen Wochen sind sie unter Zelten versteckt. Doch was passiert unter den Planen?

Mehr als 15 Jahre standen sie auf dem Campus ihren Mann, bei Wind und Wetter, in der prallen Mittagssonne im Sommer genauso wie unter Schnee und Eis. Sie dienten als Sitzgelegenheit, Trampolin, Bühne, Klettergerüst, als Leinwand für Graffitikünstler. Dabei ist gar nicht so recht klar, ob es Männer sind, die da auf den Stab gestützt, Erlenmeyerkolben schwenkend und etwas depressiv-nachdenklich auf dem Schotter stehen und sitzen. Sicher ist, etwas Schönheitspflege tut den verwitterten Herrschaften gut. Doch sie einfach zur Restaurierung  wegzuschaffen, ist nicht einfach. Also kamen die Restauratoren auf den Campus.

Vorangegangen waren aufwändige Analysen. Magdalena Poray-Schäfer leitet das Restauratorenteam (Dipl. Restauratorin M. Poray-Schäfer VDR, U. Storz, Restaurator VDR, Dipl. Restauratorin V. Fernández Rodríguez SKR),  im Auftrag von Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Konstanz. Sie hat die Figuren vorab gründlich in Augenschein genommen, Materialproben genommen, Ablagerungen und Schäden untersucht. Das Ergebnis: Der Zustand der Figuren war noch schlechter als angenommen. „Die Oberflächen waren nicht nur der Witterung ausgesetzt, sondern wurden auch durch Aufkleber, Graffiti, Algen und Schmutz nachhaltig beschädigt, so dass eine umfangreiche und sensible Restaurierung notwendig wurde“, erläutert Norbert P. K. Müller, Architekt bei Vermögen und Bau Baden-Württemberg Amt Konstanz (VBA).

Ergebnis eines Bau-Wettbewerbs

Die Realisierung des Kunstwerks „The Scientists“ von Joep van Lieshout ist aus einem Kunst-am-Bau-Wettbewerb hervorgegangen, den die Kunstkommission bei der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vor 15 Jahren für den neu gestalteten Campus der  Fachhochschule Konstanz, heute HTWG, ausgelobt hatte. Das Großprojekt wurde dadurch ermöglicht, dass die gesamten Kunst-am-Bau-Mittel der einzelnen Fachhochschulgebäude gebündelt wurden, um einen Wettbewerb auszuschreiben. Zu diesem hatte die Kunstkommission Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Großbritannien und der Schweiz eingeladen. Die Kunstkommission entschied sich für den Vorschlag des Rotterdamer Künstlers. Wie für viele Arbeiten des Künstlers typisch, hat er auch bei den Konstanzer Figuren als Material mehrlagig glasfaserverstärktes Polyesterharz (GFK) mit Polystyrolschaum als Kern verarbeitet. Die orange Oberfläche ist Teil des Laminats, pigmentiertes Polyesterharz (Top Coat).

Ausgeklügelte Abfolge von Arbeitsschritten

Die Restaurierungsprozesse sind schwierig und müssen fein austariert sein. Magdalena Poray-Schäfer weist darauf hin: „Manche gewünschte chemische Reaktion ist nur innerhalb eines begrenzten Zeitraums und Temperaturspektrums möglich.“ Immer wieder müssen bestimmte Zeitabstände eingehalten werden, manche Schicht muss innerhalb von 24 Stunden zwei Mal aufgetragen werden, eine andere vier Wochen ruhen, bevor die nächste aufgebracht werden kann. Keinesfalls darf die Außentemperatur unter 15 Grad sinken. Zu heiß darf es aber auch nicht sein, weshalb das Arbeitsteam in den letzten Wochen oft nur in den Abendstunden arbeiten konnte. Die vielen Feiertage im Mai waren bei den Arbeitsschritten zu berücksichtigen und auch ein Sturzregen kann die Arbeiten ausbremsen.

Die Symbolik:

Die überdimensionale Skulpturengruppe soll die Entwicklung der Wissenschaften symbolisieren:
Am Anfang steht der Urmensch, der erste Erfinder, mit seiner Keule, die ihm als Waffe Macht über seine Feinde verleiht und bei der Nahrungsbeschaffung hilft. Am Labortisch sitzend, sehen wir den obsessiv arbeitenden Chemiker im Augenblick des Entdeckerglücks. Am Schluss kauert der nachdenkliche, etwas deprimierte Wissenschaftler am Boden, der sich seiner moralischen Verantwortung bewusst wird, dass seine Erfindung vom Menschen auch missbraucht werden kann.
„Es ist der offenen und durchaus mutigen Einstellung der Kommissionsmitglieder zu verdanken, nicht zuletzt auch der humorvollen und selbstkritischen Haltung des Nutzers, dass das Statement von Joep van Lieshout zur wissenschaftlichen Forschung und zur Verantwortung des Wissenschaflers auf dem zentralen Platz einer Hochschule realisiert werden konnte“, sagt Norbert P. K. Müller, Architekt bei Vermögen und Bau Baden-Württemberg Amt Konstanz.
Die Moral hat bei den Wissenschaften schon immer eine große Rolle gespielt. Alfred Nobel beispielsweise entwickelte Nitroglycerin und Dynamit zur Minensprengung. Das zerstörerische Potential seiner Entwicklung war ihm ursprünglich nicht bewusst. In einer späteren Lebensphase stiftete er den „Nobelpreis“ zugunsten der zivilen Wissenschaft, der Kunst und des Friedens.

 

Stetiger Austausch mit Künstleratelier und Materialproduzenten

Die Arbeiten werden von der Firma Sandeis ausgeführt. Die Restauratorin und die ausführende Firma stehen in engem Kontakt, nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Atelier van Lieshout und dem Materialproduzenten. Aufgrund der gründlichen Dokumentation ist es möglich, genau den gleichen Farbton wieder herzustellen, den die Figuren auch zum Zeitpunkt ihrer Aufstellung trugen. Das Beschichtungssystem wurde in Zusammenarbeit mit dem Künstleratelier und dem Hersteller der originalen Materialien festgelegt. Farbton und Glanzgrad werden exakt der ursprünglichen Beschichtung entsprechen. „Dennoch wird die Farbe anders, beziehungsweise intensiver sein als die, die man zuletzt gesehen hat“, räumt Poray-Schäfer ein, schließlich hatten Ablagerungen verschiedensten Ursprungs und die Verwitterung den Farbton getrübt.

Das Orange war beim Aufstellen eine Überraschung

Dabei war es ursprünglich gar nicht geplant, dass die Figuren orange leuchten. Norbert P. Müller ruft in Erinnerung: „Bevor die Figurengruppe überhaupt aufgestellt wurde, sorgte sie schon für große Aufregung. Der Tieflader traf mit bunter Fracht ein und nicht, wie im Entwurf dargestellt und vom VBA Konstanz beauftragt, silberfarben.“
Am 11. April 2003 übergab Joep van Lieshout persönlich sein Kunstwerk und konnte dem VBA, der Fachhochschule und Mitgliedern der Kunstkommission Rede und Antwort stehen. Auf die Frage, warum er von der ursprünglich angedachten Farbe Silber abgekommen sei und warum er einen veränderten Standort gewählt habe, antwortete er, dass diese warme Farbe die Skulpturen freundlicher aussehen lasse und andererseits das gesamte Ensemble des Campus, mit den vielen Grautönen, durch die gelb-orange Farbe zusammengefasst würde.

Nutzung des Werks ist im Künstler-Konzept vorgesehen

Besonders die Sitzelemente, die den Halbkreis vor den drei Figuren bilden, waren in sehr schlechtem Zustand. Kein Wunder, waren sie doch oft genug „Stein des Anstoßes“. Nicht nur Kinder sind auf ihnen herumgesprungen und haben sie als Mini-Trampolin genutzt. Dadurch sind in der nur wenige Millimeter dicken, laminierten Glasfaserschicht feine sowie größere, klaffende Risse entstanden, durch die Feuchtigkeit in das Innere vordringen konnte. Anfangs ging man davon aus, es sei mit dem Ausgleichen der Risse und der Hinterfüllung von Hohlstellen getan. Nach Absprache mit dem Atelier van Lieshout wurde jedoch entschieden, die Sitzgelegenheiten wie auch den Tisch mit zwei zusätzlichen Lagen Glasfasermatten zu beschichten.
Die Restauratorin macht nüchtern darauf aufmerksam, ohne emotionale Aufbrandung gegen die vermeintlichen Kunstschänder. „Die Nutzung ist im Künstler-Konzept vorgesehen. Stünde das Werk in einem Museum, wäre die Situation eine andere. Aber der Künstler begrüßt, wenn mit seinem Werk gelebt wird, das ist eben Kunst im öffentlichen Raum. Es bedeutet natürlich nicht, dass man die Skulpturen mutwillig beschädigt und mit Graffitis ‚verschönert‘“, erläutert Poray-Schäfer.

Auf dem Forum sollen die Skulpturen ein Bestandteil des täglichen Lebens für die Leute werden, die sich hier treffen und aufhalten, ohne dabei ihre Bedeutung zu verlieren, so der Wunsch des Künstlers. Ergänzend zur Kunst wurden noch Sitzelemente auf dem Platz installiert und Kugelahornbäume gepflanzt, um die Idee des Campus als kommunikativen Treffpunkt noch zu verstärken. „Nach Abschluss der Arbeiten wird das Kunstwerk wieder in neuem Glanz erscheinen und wir hoffen auf einen respektvollen Umgang, damit es uns noch lange erhalten bleibt“, wünscht sich Architekt Norbert P. K. Müller.

 

Im Rahmen der Pressearbeit des DonauHegau Kunstwegs erläutert Dr. Petita Rösch in einem kleinen Video das Werk aus kunsthistorischer Sicht (Passwort: konstanz).

Joep van Lieshout

hat sich in der internationalen Kunstszene mit unkonventionellen Ideen und Aktionen einen Namen gemacht. Seit 1985 beschäftigt sich der Bildhauer mit Arbeiten, die sich an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Design befinden. Es entstanden Arbeiten für Städteplanung, Räume und Maschinenbau. Mit Innengestaltungen für Rem Kohlhaas’ Bauten begannen seine stringenten und überaus komplexen Werke. Verschiedene prominente Museen beauftragten den früheren Rennfahrer mit der Produktion von Bartheken und Sanitäreinrichtungen aus Polyester. Dieses Material wurde sozusagen zu seinem Markenzeichen.
1995 gründete er das Atelier van Lieshout (AVL), eine Bildhauerwerkstatt. In Teamar¬beit wird hier entworfen, produziert und rationalisiert.
Sein bisher größtes Kunstwerk war die Errichtung des „Freistaates ALV“ am Rotter-damer Hafen. Zum Freistaat gehörten unter anderem eine eigene Fahne, Verfassung, Währung und Energie- und Abwasserversorgung. In mobilen Wohnungen, Alkohol- und Waffenfabriken, auf dem Biobauernhof und im Feldspital wurden die kommunalen Funktionen von einem Künstlerkollektiv erfüllt. Van Lieshout suchte mit diesem Kunstwerk nach einem alternativen Modell für eine autonome Kommune mit eigenen Lebensregeln.
Wie schon früher, gestaltet van Lieshout heute wieder vorwiegend Skulpturen, so auch seine Gruppe „Die Wissenschaftler“ für die Fachhochschule Konstanz, eine seiner, wie er selbst sagt, schönsten Arbeiten.