Der Musikverein Wollmatingen gehört nach den Worten von Hermann Leiz, dem stellvertretenden Präsidenten des Blasmusikverbands Hegau-Bodensee, zu den größten und aktivsten Musikvereinen der Gegen und „er ist über die Verbandsgrenzen hinaus bekannt“, so Leiz.
Ingenieur mit Taktstock
15.11.2017
Quirin Kissmehl absolvierte neben dem Studium die Ausbildung zum Profi-Dirigent
Was wäre eine festliche Absolventenfeier ohne Musikbegleitung, die eine getragene Atmosphäre schafft? Was eine Trauung ohne berührende Klänge? Und was wäre das Oktoberfest ohne deutsche Schlager zum Mitgrölen? Feste und Feierlichkeiten stehen und fallen mit der Musik. Was für eine Verantwortung für Musikerinnen und Musiker! Was für eine Verantwortung für Dirigenten! Quirin Kissmehl stellt sich dem ganzen Spektrum von der Stimmungsmusik im Festzelt bis zu symphonischen Konzerten. Seit Januar dieses Jahres hat er die musikalische Leitung des Wollmatinger Musikvereins inne. Übernommen hat er das Dirigat als Student des Wirtschaftsingenieurwesens Maschinenbau.
Wer beim Namen „Wollmatinger Musikverein“ an eine schräge Blaskapelle denkt, muss sein Bild korrigieren. Die Literatur des Musikerinnen und Musiker ist vielfältig - von Blues und Jazz über Schlager und Festzeltmusik bis zur symphonischen Blasmusik. In erster Linie sind es 80 Individuen im Alter zwischen 70 und 80 Jahren, die es immer wieder zu begeistern und zu motivieren gilt, zu einem Klangkörper zusammenzuwachsen. Schließlich sind sie alle ehrenamtlich dabei. Die wöchentliche Gesamtprobe folgt für die meisten auf eine anstrengende Arbeitswoche.
Blick auf die Berliner Philharmoniker
Qurin Kissmehl hat an der Trossinger Bundesakademie für musikalische Jugendbildung gelernt, worauf es beim Dirigentenjob ankommt. Schon mit 17 Jahren hat er gemeinsam mit Vanessa Tschacher, die übrigens zwischenzeitlich Gesundheitsinformatik an der HTWG studiert hat, in seinem Heimatort Hilzingen die 35-köpfige Jugendkapelle übernommen. Neben der Schulzeit hat er alle möglichen Ausbilderstufen absolviert und nach dem Abitur in einem berufsbegleitenden Lehrgang während des Freiwilligen Sozialen Jahres die C-Qualifikation für Dirigenten in Staufen erworben. Sie ist die nötige Qualifikation, um auf Amateurebene Orchester zu leiten. „Das hat mir großen Spaß gemacht, aber bald nicht mehr gereicht. Ich wollte noch mehr wissen“, erinnert sich der heute 24–Jährige. Fasziniert hörte und schaute er in seiner Freizeit Konzerte der Berliner Philharmoniker unter Leitung von Sir Simon Rattle.
„Wie macht der das? Wie holt der immer noch etwas mehr aus den Musikern heraus?“, fragte sich Kissmehl mit Blick auf Sir Simon Rattle.
Also begann er die Ausbildung zum Erwerb der B-Qualifikation in Trossingen. Das bedeutete für ihn: Zweieinhalb Jahre lang – begleitend zum Studium an der HTWG - eine Präsenzwoche pro Quartal, viele Wochenenden und Abende Teilpräsenz. „Ich habe in Trossingen angefangen, ohne genau zu wissen, ob das wirklich etwas für mich ist und ob ich das überhaupt schaffe“, erinnert sich Kissmehl schmunzelnd. Heute sagt er: „Es war die Doppelbelastung auf jeden Fall wert.“ Er hat es geschafft und könnte nun ein Dirigentenstudium auf Masterniveau anhängen.
Interesse an Personalführung - im Orchester und im Unternehmen
Stattdessen hat er sich für den Master Unternehmensführung an der HTWG beworben. In der Personalführung liegt ein Hauptinteresse – was schließlich gar nicht so weit von der Dirigententätigkeit entfernt ist. Schon in seiner Bachelorarbeit behandelte Quirin Kissmehl ein Thema aus dem Bereich Leadership: „Führen ohne Autorität“. Die Themen Auftreten und Persönlichkeit, Körpersprache und Gesamtwirkung beschäftigten ihn schon während des Freiwilligen Sozialen Jahres, das er bei den Johannitern in Singen absolvierte. In deren Auftrag war er in Firmen unterwegs, um Mitarbeiter in Erste-Hilfe-Anwendungen zu schulen. „Da musste ich mir als 19-jähriger plötzlich in Anwaltskanzleien Respekt verschaffen.“ Auch die Anwälte mussten schließlich „mitspielen“, wie heute die Musiker vor dem Dirigentenpult.
Das Orchester lebt von dem Menschen, der vor ihm steht, seiner Mimik und seinen Bewegungen. Jeden Freitagabend steht Kissmehl bei den Proben vor dem Orchester, über das er mit großem Respekt spricht. „Die musikalische Kompetenz ist hoch, da sind Topmusiker dabei“, betont er. Auf den ersten Blick sei Blasmusik für viele nicht so cool, räumt er ein. Das Repertoire sei aber gerade in den zurück liegenden 15 Jahren vielseitig geworden. Für Dirigenten habe sich daraus die Herausforderung ergeben, den Spagat zwischen Stimmungsmusik in Festzelten und symphonischen Konzerten zu schaffen, um alle Musiker unter einen Hut zu bringen und den Spaß am Musizieren zu gewährleisten.
Der Spagat ist auch vor dem Publikum zu schaffen, das je nach Anlass ganz unterschiedliche Erwartungen hegt – mal soll das Orchester mit musikalischer Kompetenz überzeugen, mal durch die musikalische Begleitung Atmosphäre schaffen oder aber auch - wie beim Oktoberfest - richtig einheizen. Da wird der Dirigentenstab zum Stimmungsmacher oder –töter.
Weitere Informationen
- Welche Instrumente sollte ein Dirigent spielen können?
Quirin Kissmehl hat als erstes Instrument Klavier gelernt. Ohne dies wäre er kaum Dirigent geworden, meint er. „Viel Wissen, wie die Harmonielehre, habe ich durch das Klavierspielen gelernt“, sagt er. Dann schlossen sich Trompete, Waldhorn und auch Schlagzeug und Klarinette während der Dirigentenausbildung an.
- Und neben Studium und Musik?
„Zum Ausgleich“ neben Studium und Dirigentenjob absolviert Quirin Kissmehl regelmäßig im Rettungsdienst der Johanniter Einsätze, im Schichtbetrieb am Wochenende oder auch bei großen Festivals wie dem Southside. Außerdem hat er mit Freunden die Firma „Perspektivwechsel“ gegründet. Er führt die Geschäfte am Schreibtisch, während die Mitgesellschafter aus den Studiengängen Bauingenieurwesen und dem Kommunikationsdesign der HTWG für die Produktion von Drohnenaufnahmen zuständig sind. Sie arbeiten mit je einer Mitarbeiterin bzw. einem Mitarbeiter für Grafikbearbeitung und Marketing Aktionen und für die Videoproduktion sowie mit einem freien Mitarbeiter, der Grafikmaterial mit der Drohne für den Raum Konstanz liefert, zusammen.