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Tüftler der anderen Art

04.03.2019

Zwischen Herd und Schreibtisch, zwischen Unternehmenschefs und Kommilitonen, zwischen Konstanz und Metropolen: Jakob Rittmeyer ist Privatkoch. Und Student.

Eine Ausbildung vor dem Studium? Das ist nicht so ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist die Ausbildung jedoch, die Jakob Rittmeyer absolviert hat: Er ist Koch. Seine Ausbildungsstätte war das 5-Sterne-Superior-Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn, der langjährigen Wirkungsstätte von Harald Wohlfahrt, der hier über mehr als zwei Jahrzehnte durchgehend 3 Michelin-Sterne erkochte. Wer hier gelernt hat, der bewegt sich in eigenen Welten, in der gehobenen, luxuriösen Spitzengastronomie. Jakob Rittmeyer ist nach wie vor in dieser Welt tätig. Und parallel BWL-Student an der HTWG. Sein Studium finanziert sich der 27-Jährige als „Jakob Rittmeyer - Privatkoch“.

Dabei scheint es ihm leichtzufallen, beide Welten unter einen Hut zu bringen: „Ich profitiere sehr von diesem praxisnahen Studium. Was ich hier lerne, kann ich unmittelbar umsetzen“, sagt Rittmeyer. Bereits zu Beginn seines Studiums an der HTWG im Jahr 2015 machte sich Rittmeyer mit einem Gewerbe als Einzelunternehmer selbstständig. Eben als Privatkoch. Gourmets können ihn buchen: für ein Abendessen bei sich zuhause, für einen Kochkurs in der heimischen Küche, für ein Geschäftsessen – oder auch für das Feriendomizil im Urlaub.

Sechs Wochen Koch auf einer Privatyacht

Zwischen Ausbildungsabschluss und Studienbeginn hatte sich ihm zum ersten Mal eine solche Möglichkeit eröffnet: Sechs Wochen verbrachte Jakob Rittmeyer mit einer Unternehmerfamilie auf deren Yacht vor der französischen Mittelmeerküste. Im Rückblick sagt er: „Eine Riesenchance. Ich hatte absolut freie Hand, vom Einkauf bis zur Erstellung der Menüs.“ Während mancher, der vom Urlaub an der Cote d’Azur zurückkehrt, von den Stränden, der Sonne und den Städten erzählen mag, schwärmt der Koch von den Düften und Eindrücken jener südfranzösischen Märkte. Von der Qualität des frischen Gemüses über die Einzigartigkeit der Meeresfrüchte. Koch aus Leidenschaft? Die Frage stellt sich erst gar nicht, wenn er davon erzählt. Oder von der Terrine mit Portwein-Gelee und einem Kern von konfierter Perlhuhnbrust, ummantelt von blanchierten Mangoldblättern. Oder von den Saucen, Schäumen und Jus (franz. Saft), welche teils über mehrere Tage hinweg gekocht und gepflegt werden, um schließlich wahre Geschmacksexplosionen zu erzeugen.

Koch aus Leidenschaft

Kein Wunder, dass sich Jakob Rittmeyer nach dem Abitur an einem ernährungswissenschaftlichen Gymnasium zunächst für die Ausbildung entschieden hat, obwohl ihm schon immer klar war, dass er diese auch um ein Studium erweitern will. In drei der deutschlandweit renommiertesten Häusern hat er sich beworben, darunter auch das Berliner Adlon. Die Ausbildung machte er schließlich im Schwarzwald, wo er als Abiturient auch noch die Möglichkeit hatte, neben der eigentlichen Lehre die Zusatzqualifikation Küchen- und Servicemanagement zu erwerben. „Hier waren dann auch betriebswirtschaftliche Aspekte, gesundes Führen sowie zwischenmenschliche Fähigkeiten ein Thema“, erinnert er sich – eine Bestärkung, nach der Ausbildung, die er mit einer Auszeichnung abschloss, ein Wirtschaftsstudium zu beginnen.

Stressresistenz und effiziente Arbeitsweise

Dass er nun den fordernden Beruf mit dem ebenfalls fordernden Studium vereinbaren kann, liegt unter anderem an den Qualifikationen, die ein Koch nicht nur in Sterne-Küchen vorweisen muss: Er hat gelernt, mit körperlicher Belastung, anstrengenden Arbeitszeiten und hohem Druck umzugehen sowie effizient zu arbeiten. Eine Charaktereigenschaft, ohne die man wohl nicht den Weg in die Spitzengastronomie schafft, dürfte ihm seinen Alltag jedoch nicht leichter machen: Das Streben nach Perfektion. "Ich will beruflich gesund wachsen und im Studium überzeugen“, sagt er. Ein Grund, weshalb das Studium in Prüfungsphasen oberste Priorität genießt und potenzielle Aufträge hinten anstehen müssen.

Studentenleben? Das ist nicht drin

„Ich werde später einmal nicht auf meine Studienzeit zurückblicken und mit einem leicht sehnsüchtigen Schmunzeln sagen können: „Was für ein Lotterleben!‘“, sagt Rittmeyer - ein wenig Wehmut schwingt mit, wenngleich er diesen Weg immer wieder so einschlagen würde. Auch sein Tag umfasst schließlich nur 24 Stunden. Und die will er nutzen. „Freundschaften zu pflegen, blieb während der Ausbildung fast komplett auf der Strecke“, gesteht er. Doch seinen langjährigen und vielseitigen Freundeskreis will er nicht missen. „Ich bin auf ein ehrliches und klares Feedback angewiesen. Da musst du auch einmal einstecken können, wenn dir deine besten Freunde die Meinung geigen.“ Auch seine Kommilitoninnen und Kommilitonen sind ihm wichtig, auch wenn Lebensalter und berufliche Erfahrungen teils auseinanderklaffen mögen. Er ist ihnen nicht nur für verpasste Unterlagen dankbar, sondern "auch für die beneidenswerte Unbekümmertheit des Studentenseins. Sie hilft mir gelassener und mit anderen Augen auf neue Aufgaben zu blicken.“

Ein Rezept auch für Studierendenküchen: Gazpacho Andaluz mit Ciabatta

Gefragt nach einem Tipp für seine Kommilitoninnen und Kommilitonen hat Jakob Rittmeyer ein Rezept für "Gazpacho Andaluz" vorgeschlagen. Er schreibt: "Aus dem Süden Spaniens stammend ist die Gazpacho Andaluz eines der Nationalgerichte, welche sich wunderbar an heißen Tagen für eine mittagliche Mahlzeit eignen. Einfach in der Herstellung, bekömmlich und leicht für den Körper ist diese eine absolute Erfrischung für heiße Sommertage.

Verfeinert wird diese passend zur Jahreszeit durch die Zugabe von Kirschen, welche der Kaltschale eine liebliche Note verleiht und durch die frische Säure von Tomaten und Gurken unterstrichen wird. Klassisch gebunden durch Brot ist dieses Gericht ebenso stärkend und sollte eiskalt serviert werden."
Hier geht es zur Liste der Zutaten und den Tipps zur Zubereitung auf die Website von Jakob Rittmeyer

 

Rittmeyer ist überzeugt: „Hier an der HTWG schlummern viele Talente.“ Das besondere Auswahlverfahren des Studiengangs BWL fördert eben auch Querdenker und Gegen-den-Strom-Schwimmer. Auch wenn nicht jeder seiner Professoren von seinem speziellen Gewerbe weiß, fühlt er sich gut unterstützt. Diese Unterstützung erfährt er gerade auch im Praxissemester, das er in seinem eigenen Unternehmen absolvieren darf. Er nutzt es, um seine Angebote auszubauen und Neues auszuprobieren.

Jakob Rittmeyer Privatkoch – eine Marke?

Dazu gehört auch, am Auftritt und Verständnis seiner eigenen Marke zu arbeiten. Rittmeyer versteht es, sich für sein personal branding zu inszenieren, ohne sich verstellen zu müssen. Er geht souverän mit Presseanfragen um (z.B. Süddeutsche Zeitung und Handelsblatt oder auch die Magazine Landlust oder Schrot und Korn) und geht erste Schritte auf Social-Media-Kanälen: Etwas Food-Porn auf Instagram, Kochtipps auf Youtube , hin und wieder ein Einblick in seinen Alltag auf Facebook. Das wichtigste Marketing-Werkzeug ist seine Website. Über sie erreicht er regional unabhängig seine Kunden.

„Das Berufsbild Koch hat nicht das Image eines Intellektuellen“, fasst Jakob Rittmeyer Erfahrungen zusammen. Er sei jedoch schon während der Ausbildung als „der Professor“ geneckt worden, wohl nicht nur aufgrund seiner Brille. Er ist einnehmend im Umgang mit Menschen, auffallend eloquent und höflich. Zu den gepflegten Umgangsformen gehört auch absolute Diskretion. Rittmeyer ist sich seines Könnens bewusst und tritt dementsprechend auf: „Wenn jemand mit der Frage kommt, was noch am Preis möglich sei, überlege ich gut, ob ich das Feilschen mitmache.“

Und er beweist Menschenkenntnis: „Mal eher Dienstleister, mal Kumpel, mal Geschäftspartner, mal Berater. Ich muss darauf eingehen, was mein Gegenüber von mir erwartet“, sagt der Jungunternehmer Rittmeyer. Die Kundenakquise in seinem Markt erfordere zudem Stilsicherheit: Vor einem Kundentermin stelle sich deshalb auch ihm zwangsläufig die Frage nach einem angemessenen Auftreten. Schließlich vermittle nicht nur ein Auto oder eine Uhr eine gewisse Botschaft, sondern allen voran die eigene Haltung und Mimik. Die persönliche Ausstrahlung entscheide letztlich über Erfolg oder Misserfolg.

Gast in fremden Küchen

Als Privatkoch muss er sich das Vertrauen seiner Auftraggeber erarbeiten, ist er doch oft in deren privaten Küchen zugange. Die einzige Voraussetzung: „Ein Herd mit vier Platten und einer Backröhre“, sagt Rittmeyer. Und: „beste Produkte. Lieber spare ich etwas an der Gewinnmarge.“ Nicht nur bei den Produkten, sondern auch beim Material setzt er auf Perfektion. Sukzessive hat er sich aus seinen ersten Einnahmen hochwertiges Werkzeug gekauft. Das bringt er zusammen mit den Zutaten und Getränken zum jeweiligen Einsatz mit. Wenn nötig, recherchiert er für Kunden auch geeignete Lokalitäten vor Ort: Von einer eleganten Goldschmiede in Wiesbaden über das Segelboot auf dem See bis hin zur rustikalen Almhütte in den Bergen. In Konstanz hingegen setzt er lediglich auf eine einzige Location, die seinem Wortlaut nach in Gänze zu dem passe, was er sei und verkörpere. Das Esszimmer in Konstanz in Stromeyersdorf – klein, exklusiv, abseits und idyllisch gelegen.

Und wie sieht sein Alltagsessen aus?

In die Mensa geht Rittmeyer nicht, gibt er zu. Doch ist er der bodenständigen Küche aufgeschlossen und isst gerne auch einmal Rösti mit Spiegelei. Auch Nudeln gehören zur Alltagsküche – diese sind des öfteren dann auch selbst gemacht. „Ich mache regelmäßig Nudelteig auf Vorrat, den ich dann portioniert und luftverschlossen tiefkühle. Mit einer Nudelmaschine sind sie dann schnell zubereitet.“ Und als er vom Gulasch erzählt, das er seinen Gästen bei seiner eigenen Geburtstagsfeier gekocht hat, wird es sehr speziell: Eine Sauce aus mehreren Ansätzen, welche zum Teil schon mehrere Tage vor dem Verzehr zubereitet wurden. Die klassischen Aromen aus Kümmel, Paprika, Zwiebeln, etwas gerösteten Koriandersamen, schwarzem Pfeffer, frischem Estragon und Majoran. Die Kalbsschulter über 28 Stunden bei 62 Grad Celsius im Wasserbad gegart, serviert mit ofenfrischen Seelen, einem Klassiker aus seiner Heimat aus Oberschwaben. Wer bei seiner nächsten WG-Küchenparty punkten will: Das Wasserbad-Verfahren nennt sich „sous-vide“.

Offenheit für neue Ideen

Der Koch will nicht stehen bleiben: „Es besteht ja immer die Gefahr, dass man beim Altbekannten bleibt“, räumt er ein. Reisen helfen ihm, neue Geschmacksrichtungen kennenzulernen, zum Beispiel in Südostasien. Was auf den ersten Blick aus europäischen Gesichtspunkten einem Härtefall für das Gesundheitsamt entspricht, entpuppe sich manchmal als der beste Laden der Stadt: „Ich bin ehrfürchtig in die Garküchen gegangen und habe Köchinnen und Köche nach ihren traditionellen Familienrezepten gefragt: Wie bereite ich den besten Sticky Rice zu und was ist das Geheimnis von einem guten Pad Thai?“ Diese Erfahrungswerte und jene aus anderen Ländern gibt Rittmeyer nun unter anderem in seinen privaten Kochkursen weiter.

Kochen als Teambuilding-Maßnahme

„In der Küche lernt man den Menschen hinter seiner Fassade kennen“, sagt der Koch überzeugt. Wie geht er mit Stress um? Wie schaut es mit effizientem Arbeiten, Zielstrebigkeit, Genauigkeit und der Auffassungsgabe aus? All das zeige sich beim gemeinsamen Kochen. Deshalb bietet er auch Teambuilding-Events für Firmen an. „Essen ist ein Magnet und Kochen schweißt zusammen, über Hierarchien hinweg“, ist er überzeugt.

Betriebliche Gesundheitsförderung

Neu in seinem Portfolio sind Beratungsangebote im Bereich der Betrieblichen Gesundheitsförderung im Themenfeld „Ernährung in der Arbeitswelt“ . Unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Konstanzer Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) bietet er verschiedenste Dienstleistungen für Firmen an – vom KMU bis zum DAX-gelisteten Konzern. Dabei geht es um die Erarbeitung von Konzepten für die Kantinenoptimierung, um Vorträge rund um Ernährung und Praxistipps für gesunde Snacks. „Damit öffnet sich noch ein anderes weites Feld, das sich nicht auf den privaten Rahmen beschränkt, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe erfüllt und wo man die Entwicklung noch vorantreiben kann. Das macht mir viel Spaß.“

Wie geht es weiter?

„Ich fühle mich als Privatkoch sehr wohl und möchte das Konzept noch weiter ausbauen“, blickt Rittmeyer voraus. Das lasse sich auch mit einem anschließenden Masterstudium vereinbaren. Was dann kommt? Da ist er offen. Nur eines ist ihm klar: „Ich schließe eine Anstellung im modernen Sinne nicht vollkommen aus. Aber dann will ich die Stricke selbst in der Hand halten. Ich habe Lust, Verantwortung zu übernehmen und Mitarbeiter zu führen.“ Auch das hat er in der Küche gelernt.