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Was Frauen wollen

08.03.2018

Anlässlich des Weltfrauentages haben wir ein ausführliches Interview mit Vera Maier-Tragmann geführt zum Thema Gleichstellung, Frauenförderung, Diversity an der HTWG. Maier-Tragmann ist seit 2013 Koordinatorin für Gleichstellung und Diversity an der HTWG.

Frau Maier-Tragmann, wer kommt zu Ihnen und mit welchem Anliegen?

Das ist sehr unterschiedlich. Um die ganze Bandbreite zu zeigen: Ich bin auch gewählte Ansprechperson bei Vorfällen sexueller Belästigung, Diskriminierung oder Mobbing. Manche kommen natürlich hierher, weil etwas Schlimmes vorgefallen ist, manche kommen hierher um sich – quasi präventiv – zu informieren.  Es suchem uns aber auch Studentinnen und Mitarbeiterinnen auf, die ein Coaching- oder Beratungsbedarf haben. Da geht es oft um Vereinbarkeitsfragen, also beispielsweise für Studentinnen mit Kind. Oder Männer und Frauen, die eine Professur bekommen haben an der HTWG, die wissen wollen, wie die berufliche Situation in Konstanz ist und wie es mit Schulen und der Kinderbetreuung aussieht.

Welche Art Coaching bieten Sie an?

Das ist auch sehr unterschiedlich: Ich habe begonnen mit einem Coaching für Studentinnen in den MINT-Bereichen, ein Einzelcoaching bei Fragen wie: Ist das das richtige Studium für mich, ich weiß nicht, ob ich weitermachen soll, was kann ich mit dem Studiengang beruflich machen? Wir geben aber auch Seminare oder Workshops. Im vergangenen Sommersemester haben wir beispielsweise eine Veranstaltung organisiert zum Thema Prüfungsängste, um Professorinnen und Professoren für das Thema zu sensibilisieren und die Menschen, die an der Hochschule beratend tätig sind.

Gibt es Vorfälle von Gewalt gegen Frauen an der HTWG?

Ja. Man denkt immer, so etwas gibt es hier nicht, aber klar, das gibt es auch bei uns. Da ist die HTWG aber kein Einzelfall, da können Sie jede Gleichstellungsbeauftragte einer beliebigen Hochschule fragen. Mobbing zum Beispiel, das gibt es auf allen Ebenen, also nicht nur unter Studierenden.

Ganz wichtig ist, eine Ansprechperson zu haben, an die sich die Betroffenen wenden können, die ihnen hilft und sie berät. Das Landeshochschulgesetz sieht vor, dass es eine weibliche und eine männliche  Ansprechperson gibt, die gibt es selbstverständlich hier. Die HTWG hat 2016 zu dem Thema eine Satzung verabschiedet. Diese schafft einen klaren Rahmen, was erlaubt ist und was nicht und welche Maßnahmen es gibt, um dagegen vorzugehen.

Sprechen wir über Erfolge: Worüber haben Sie sich im Rahmen Ihrer Tätigkeit bisher besonders gefreut?

Bezogen auf die Gleichstellung fällt mir die aktive Rekrutierung ein. Die HTWG ist seit Jahren bemüht, den Anteil Professorinnen im MINT-Bereich zu erhöhen. Vor drei Jahren haben wir dann mit der aktiven Rekrutierung in der Industrie angefangen, also die direkte Ansprache geeigneter Frauen, damit sich überhaupt erst mehr Frauen auf Professuren bewerben. Denn es gibt Studien, die zeigen, dass Frauen vor dieser Aufgabe eher als Männer zurückschrecken, wenn sie die Voraussetzungen nicht hundertprozentig erfüllen. Auf persönliche Ansprache reagieren die Frauen aber sehr positiv. Am Anfang wurde das kritisch beäugt, das sei viel zu aufwändig, aber mittlerweile finden das alle richtig und wichtig. Wir müssen noch genauer herausfinden, welche Wege sich dazu am besten eignen.

Und mich freut es, dass das Thema Diversity anfängt, selbstverständlich zu werden.

Wie sieht es aus mit der Gleichstellung von Frauen an der HTWG?

Um mal nackte Zahlen zu nennen: 33 Prozent der Studierenden an der HTWG sind weiblich, in den MINT-Bereichen liegt der Frauenanteil bei 17,6 Prozent. Wir haben den Anteil in den Mintfächern seit dem Wintersemester 2011/12 von 12 Prozent auf knapp 18 Prozent erhöht – auch für die Professorinnen, da liegt der Frauenanteil bei 14 Prozent. Aber wir würden uns natürlich wünschen, dass sich da noch mehr tut.

Woran liegt der vergleichsweise geringe Frauenanteil in den MINT-Fächern Ihrer Meinung nach?

Es fängt ja nicht in der Hochschule an, sondern schon in der Schule, in der Familie. Nach wie vor schreibt man die MINT-Studiengänge eher den Männern zu. Im familiären Background findet die Ermutigung, auch mal an diese Studienfächer zu denken, noch zu wenig statt. Das weiß ich aus meiner beruflichen Praxis, ich habe z.B. Studentinnen aus der Elektro- und Informationstechnik befragt, aus welchen Gründen sie sich für das Studium entschieden haben. Fünf von sechs jungen Frauen haben gesagt, weil sie es aus dem Familienkontext kannten. Nur eine hat das Studium in Erwägung gezogen, weil es etwas ist, das nicht jede macht.

Es ist einfach noch nicht selbstverständlich, dass ein MINT-Studium für Frauen eine normale Alternative zu Germanistik oder einem Sprachenstudium darstellt. An das Geschlecht kann die Studienwahl jedenfalls nicht gebunden sein. Das wird deutlich, wenn man sich andere Länder, auch europäische Länder, ansieht, in denen der Anteil der Frauen in den MINT-Fächern viel höher liegt als in Deutschland.

Wie weckt die HTWG bei jungen Frauen das Interesse für ein technisches Studium?

Das Studierendenmarketing tut da sehr viel. Als ich 2011 angefangen habe, haben alle nur müde gelächelt und gesagt: „Ist ja wunderbar, dass Sie mit der MINT-Karriereberatung Schülerinnen gewinnen wollen, aber wir haben schon alles gemacht: Schulbesuche, Studieninfotage, Girls’ Day, Schnupperstudium etc. und trotzdem hat sich der Studentinnen-Anteil nicht signifikant erhöht.“

Ja, ich kann das Argument verstehen, dass die Studienwahl in der Schule anfängt und man als Hochschule nur sehr bedingt Einfluss nehmen kann. Man kann leider nicht davon ausgehen, dass die Schülerinnen, die bei den Infotagen einmal hier sind, dann auch ein MINT-Studium ergreifen. Ich versuche aber immer auch zu verdeutlichen, dass z. B. der Girls’ Day ein Bildungsauftrag ist. Keine Hochschule kann es sich heute leisten, in dem Bereich untätig zu bleiben. Aber man müsste sich ein hochschulweit noch besser abgestimmtes Studierendenmarketing-Konzept überlegen, damit nicht jede Fakultät alleine loszieht.

Sehr wichtig finde ich es auch, die Studiengänge so zu gestalten, dass sie für Frauen interessant sind. Das ist erfolgversprechender als das x-te Schnupperstudium. Im Bereich der Informatik gibt es an der HTWG ein sehr aufschlussreiches Beispiel: In der Technischen Informatik ist der Frauenanteil mit gerade einmal 11 Prozent sehr gering, in der Wirtschaftsinformatik liegt er bei 18 Prozent, aber in der Gesundheitsinformatik bei 54 Prozent. Es zeigt sich also: Sobald Themen angesprochen sind wie Umwelt, Gesundheit oder Internationalität vergrößert sich der Frauenanteil signifikant. Natürlich dürfen diese Angebote dann aber nicht nur leere Hüllen sein.

Gibt es eine Idee, die Sie in diesem Bereich gern verwirklichen würden?

Wir hatten mal für einen Projektantrag das Konzept der Mentoring-Kette entwickelt. Diese würde in der Schule anfangen mit einem Mentoring von Studentinnen für Schülerinnen und ginge im Studium dann weiter mit einem Mentoring für Studentinnen von Mentorinnen aus der Berufspraxis, der Verwaltung, der Industrie. Zusätzlich sollte es dann noch Vernetzungsmöglichkeiten für die Mentorinnen geben. So würde man an mehreren Punkten gleichzeitig ansetzen und eine durchgängige Betreuung gewährleisten. Leider konnten wir die Idee noch nicht umsetzen.

Eine andere Idee wäre, dass man verstärkt die Studentinnen, die an der HTWG erfolgreich studiert haben, in die Alumni-Netzwerke einbezieht und sie für Vorträge und Netzwerk-Veranstaltungen an die Hochschule bindet. Es gibt an den Fakultäten zwar bereits die Fachforen, aber wenn man in dem Bereich noch mehr Studentinnen gewinnen könnte, wäre das schön.  

Welche Förderung bietet die HTWG ihren Professorinnen?

Neben der schon angesprochenen aktiven Ansprache gibt es das Projekt „Traumberuf Professorin“ ein Mentoring-Programm, für das wir im Verbund mit sechs weiteren Hochschulen Baden-Württembergs den Förderzuschlag erhalten haben. Das richtet sich an Frauen, die berufungsfähig sind, d.h. die Berufserfahrung haben und die Voraussetzungen, hier eine Professur anzugehen, die aber noch keine Lehrerfahrung haben. Außerdem gibt es das Professorinnen-Programm, das ist ebenfalls ein sehr wichtiges Programm. Die Förderung von Professuren bedeutet für uns, dass wir in zusätzliche gleichstellungsfördernde Maßnahmen investieren. In dem Rahmen bieten wir Seminare, Workshops und Vernetzungsmöglichkeiten an für die Professorinnen der HTWG. Über das Professorinnen-Programm ermöglichen wir darüber hinaus eine Gastprofessorinnen-Stelle für jeweils ein Jahr.

Zudem gibt es Sensibilisierungsmaßnahmen in der Belegschaft. Wir müssen ja auch Kompetenzen aufbauen bei denjenigen, die später Professorinnen einstellen sollen. Es gibt z.B. im März einen Diversity-Kickoff-Workshop mit der Zielsetzung, ein Diversity-Profil für die HTWG zu erarbeiten und um unter anderem Diskriminierung und Stereotypisierung abzubauen hier an der Hochschule. Weitere Angebote sind der Tag des Lernens an dem wir solche Seminare anbieten, speziell für Professorinnen. Und wir machen auch alle zwei Jahre einen Professorinnen-Retreat.

Welche Angebote gibt es zum Thema Diversity auf studentischer Ebene?

Es gibt die Seminarreihe „Stark für Studium und Beruf“, die wir in Kooperation mit der Schreibberatung und dem interkulturellen Zentrum anbieten. In dem Rahmen gibt es 6-8 Veranstaltungen pro Semester und es können auch ECTS-Punkte erworben werden. Das ist ein sehr niederschwelliges Angebot und wird gut besucht. Dann gibt es die Diversity-Filmreihe, die ist auch sehr etabliert und gut nachgefragt. Und wir machen diverse Zusatzveranstaltungen, beispielsweise hatten wir im Herbst eine Veranstaltung zum Thema Studieren mit Behinderung im Rahmen der IBH (Internationale Bodenseehochschule) AG Gender und Diversity.

Sind Studierende für das Thema Diversity und Diskriminierung sensibler als früher?

Gute Frage. Ich könnte keinen Vergleich ziehen, dass sich da etwas verändert hat.

Ich erinnere mich aber, dass uns im Rahmen einer Studienorientierungswoche eine Gruppe Studierender in der Beratungsstelle aufgesucht hat. Die wollten gern wissen, wer wir sind und was wir machen. Wir haben ihnen unser Angebot vorgestellt, die Satzung, und verdeutlicht, dass sie hier eine Anlaufstelle haben, wenn Diskriminierung an der Hochschule stattfindet. Da haben sie ganz große Augen gekriegt und aus ihrem Schulalltag gleich mehrere Beispiele erzählt, in denen sie Diskriminierung unmittelbar erfahren haben.

Muss Gleichstellung von Frauen und Diversity immer zusammen gedacht werden?

Nicht notwendigerweise. Die Themen haben große Schnittmengen, aber Gleichstellung hat einen anderen Fokus und wenn man ihn zu eng fasst, wird nicht mehr berücksichtigt, dass es auch andere Diskriminierungserfahrungen gibt. Der Diversity-Ansatz hat insofern auch noch mal eine andere Charakteristik, weil er fragt, inwieweit muss man ein Umfeld schaffen, wo Vielfältigkeit gelebt werden kann und er bergreift Diversity nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Mehrwert. 

Apropos Mehrwert: Was für einen Mehrwert hat Frauenförderung für Hochschulen?

Interessant finde ich, dass die meisten Männer sagen: Es wäre gut, wenn wir mehr Frauen im Team hätten, das ist ein angenehmeres Arbeiten. Darum geht es ja, um eine gute Kommunikation, angenehmes Arbeiten. Messgrößen für einen Mehrwert, bei dem man ganz direkt auch eine Rückkopplung sehen kann, wäre zum Beispiel die Steigerung der Studierendenzahl oder die Attraktivität der Hochschule als Arbeitgeber. Oder auch Forschungsaufträge zu erhalten und den Zuschlag bei Drittmitteln, denn mittlerweile ist die Zugangsvoraussetzung dafür ja, dass die Hochschule Frauenförderung betreibt und Vielfalt wertschätzt.

Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter hat in Deutschland Verfassungsrang. Dennoch gibt bei dem Thema noch viele Ungerechtigkeiten. Gibt es ein persönliches Anliegen, das Sie auf politischer Ebene gern verwirklicht sähen?

Eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter. Was die Bezahlung angeht, aber auch hinsichtlich des Abbaus von Vorurteilen und der Zuschreibung von Eigenschaften und Geschlechterrollen. Ich würde mir wünschen, dass in diesem Bereich eine größere Sensibilität geschaffen wird. Denn niemand ist frei von Rollenklischees. Entscheidend ist, dass man sich dessen bewusst wird und sie gezielt abbaut. Das wäre eine wichtige Aufgabe für die Gesellschaft insgesamt.

Was sich ebenso ändern muss, ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und das Frauenbild. Hier steckt in den Köpfen immer noch die Vorstellung, dass die Frau nach der Familiengründungsphase zu Hause bleibt oder maximal in Teilzeit arbeitet. Ich will das nicht verteufeln: Wenn sich eine Frau ganz bewusst dafür entscheidet, es also eine freie Wahl ist, dann ist das wunderbar. Wenn die Entscheidung aber aufgrund von überlieferten Geschlechterstereotypen getroffen wird, dann finde ich es bedenklich.