Wissen ist teilbar
05.04.2018
Ingenieure ohne Grenzen: Vom Brückenbauen und der Lust auf Technik
Die Organisationen „Ärzte ohne Grenzen“ und „Reporter ohne Grenzen“ kennt wohl so ziemlich jeder, weniger bekannt sind hingegen die „Ingenieure ohne Grenzen“. Das dürfte daran liegen, dass die 2003 gegründete Hilfsorganisation noch recht jung und der Verein mit 3500 Mitgliedern verhältnismäßig klein ist. Möglicherweise liegt es aber auch an ihrer Vorstellung, wie gelungene Entwicklungszusammenarbeit zu gestalten ist. Nicht die ganz großen Projekte, verbunden mit viel Geld, Prestige und medialer Aufmerksamkeit, sind das Metier von den „Ingenieuren ohne Grenzen“. Vielmehr planen sie ihre Projekte zusammen mit den Akteuren vor Ort, die häufig eher als Dorfgemeinschaften zu bezeichnen sind denn als NGO. Konkret geht es um die Stromversorgung eines Krankenhauses, die Elektrifizierung von Schulen, damit dort abends Erwachsenenbildung und Alphabetisierungskurse stattfinden können, den Bau einer Pumpe zur Wasserförderung, um die Installation einer Biogasanlage.
Für Gordon Appel, Ansprechpartner der Regionalgruppe Konstanz und stellvertretender Vorsitzender des Vereins ist diese Verankerung in den lokalen Communities essentiell. Nah am Menschen zu sein, seine Projektpartner gut zu kennen und mit ihnen Regionen zu entwickeln, indem man gemeinsam unterschiedliche Projekte an einem Standort durchführt: „Entwicklungshilfe? Das Wort mag ich nicht. Wir sehen uns nicht als Organisation, die eine Hilfestellung gibt. Wenn dann Hilfe zur Selbsthilfe. Wir arbeiten mit unseren Projektpartnern auf Augenhöhe zusammen.“
Anders gesagt: Nicht die Ingenieure ohne Grenzen denken sich Projekte aus und exportieren dann Technologie und Manpower. Sondern die Projekte entstehen immer im Kontakt mit den Projektpartnern, aus den konkreten Bedürfnissen der Bevölkerung heraus. Maximal stoßen die deutschen Ingenieure ein Projekt an. „Jedes Projekt hat eine Erkundungsphase, in der man ins das Land fliegt, zur Partnerorganisation und man sich die lokalen Märkte gemeinsam anschaut, gemeinsam die Pläne bespricht“, erläutert Appel. „Wir prüfen zum Bespiel immer, welche Materialien, die wir im Projekt verwenden wollen, vor Ort zu bekommen sind, damit wir sie nicht hinfliegen müssen.“ Ziel ist es, die regionale Wertschöpfung im Land zu stärken.
Vision: Ein Leben in Würde für alle
„Ingenieure ohne Grenzen“ machen Entwicklungszusammenarbeit vorrangig in Schwellen- und Entwicklungsländern. Der geographische Schwerpunkt der Projekte liegt in Afrika, rund zwei Drittel aller Projekte im Ausland werden dort umgesetzt. Inhaltlich geht es dabei häufig um Wasser- oder Stromversorgung entsprechend der Vision des Vereins. Die besagt, allen Menschen weltweit eine Grund-Infrastruktur im Bereich Sanitär, Energie, Wasser zur Verfügung zu stellen, um ein Leben in Würde zu ermöglichen. Durch Wind- oder Wasserkraft oder Photovoltaik mit kleinen Anlagen Energie dezentral bereitzustellen - das zieht sich wie ein roter Faden durch die Liste der bisher umgesetzten Projekte. Die meisten Vorhaben sind dementsprechend im ländlichen Raum angesiedelt. „Wir machen auch Forschung- und Entwicklungstätigkeiten“, sagt Appel. „Aber vor allem das Thema Ausbildung und Schulung hat bei uns stark zugenommen. Wir sind seltener in Projekten unterwegs, wo wir haptisch etwas bauen, oft liegt unser Fokus auf der Schulung. Und die Menschen bauen dann selbst.“ Deshalb ist der Organisation daran gelegen, Kooperationen mit Universitäten vor Ort zu etablieren – wie in Kigali, Ruanda, im Bereich Brücken- und Hochbau. Die Studierenden werden möglichst in die Bauprojekte involviert, so wird gleichzeitig noch Knowhow-Sicherung betrieben.
Und die Vision der „Ingenieure ohne Grenzen“ kommt an: Das Interesse an der Organisation wächst, jeden Tag gewinnt sie durchschnittlich ein neues Mitglied und deutschlandweit gibt es mittlerweile 30 Orts- bzw. Projektgruppen.
„Ich möchte gern wissen, was es für Möglichkeiten gibt, mit meinem Beruf etwas Sinnvolles anzufangen“, sagt Moritz, 22 Jahre, Elektrotechnik-Student. Seine Kommilitonin, Julie, 26 Jahre, Masterstudentin der E-Technik ergänzt: „Mir waren „Ingenieure ohne Grenzen“ bereits ein Begriff. Mir gefällt das Konzept, die Menschen vor Ort so zu unterstützen, dass sie sich selbst helfen können.“
Studierende der HTWG bei der "Ingenieure ohne Grenzen"-Infoveranstaltung
Die Konstanzer "Ingenieure ohne Grenzen"
Die Konstanzer Gruppe gründete sich Anfang 2015, angeregt durch einen Vortrag, den Gordon Appel in einem Seminar von Prof. Dr. Weber von der HTWG vor Studierenden gehalten hat. Inzwischen hat die Gruppe, die sich im zweiwöchigen Rhythmus trifft, zehn bis fünfzehn Mitglieder – übrigens nicht nur Ingenieure oder Studierende der Ingenieurswissenschaften. Denn zum Mitmachen eingeladen sind alle, die sich für die Entwicklungszusammenarbeit interessieren.
Aktuell besteht die Gruppe sowohl aus Studierenden wie aus Berufstätigen wie Gordon Appel. Der gelernte Wirtschaftsingenieur arbeitet als Leiter des Produktmanagements bei den Stadtwerken Konstanz. Diese Struktur ermöglicht es jungen Menschen, von dem Wissen von Fachleuten zu profitieren. Doch nicht nur der Wissenstransfer, auch die andere Herangehensweise eines Menschen, der im Berufsleben fest eingebunden ist, kann vorteilhaft sein. Denn wer wenig Zeit hat, will nicht bloß alle zwei Wochen auf einem Plenum über dies und jenes plaudern, sondern ein konkretes Projekt anpacken. So kommen Dinge in Bewegung.
Die Projekte können dabei ganz unterschiedlich sein. Denn was gemacht wird, hängt in erster Linie vom Input der Mitglieder ab. Diesen Aspekt hervorzuheben liegt Gordon Appel besonders am Herzen: „Bei den Ingenieuren ohne Grenzen hat man wirklich sehr viel Gestaltungsspielraum, jeder kann sich mit eigenen Ideen einbringen.“
Lichtblicke für Mosambik
Die Konstanzer Ingenieure realisierten im vergangenen Jahr im Ausland das Projekt „Lichtblicke für Mosambik“. Zusammen mit der Regionalgruppe Ulm/Neu-Ulm tüftelten sie Beleuchtungssysteme für 14 Schulen aus. An diesem Projekt zeigt sich beispielhaft, wie wichtig es ist die Bedingungen vor Ort genau zu kennen. „Es gab keinen Strom für Bohrmaschinen oder Akkuschrauber, da wurde noch mit Handbohrmaschinen gearbeitet, das mussten wir bei der Gestaltung der Leuchtmodule natürlich berücksichtigen, denn wir wollten ja, dass sie im Land gebaut werden können“, berichtet Appel. „Es geht also immer darum angepasste Lösungen zu finden.“ Ein entscheidender Teil des Projektes war dementsprechend die Schulung. Vermittelt wurden Grundlagen im Löten und in der Elektrotechnik, es wurde gezeigt, wie die Lampen gebaut und instand gehalten werden. Aktuell eruiert die Konstanzer Gruppe, ob sich in der Geimeinde an die Schulung anknüpfen lässt und man ein neues Projekt in Angriff nimmt.
„Mir gefällt an den Ingenieuren ohne Grenzen, dass ich hier soziales Engagement mit meinem Interesse für Technik verbinden kann“, sagt Benjamin, Student der Verfahrens- und Umwelttechnik an der HTWG. Auf die Frage, was er durch die Arbeit bei Ingenieuren ohne Grenzen gelernt hat, antwortet er: „Geduld. Man lernt an etwas dranzubleiben, auf lange Sicht an etwas zu arbeiten.“
Benjamin, 21, ist seit einem Jahr bei der Konstanzer Gruppe dabei.
Integration heißt gemeinsam - Sprache. Vielfalt. Technik
Aber auch hier in Konstanz lässt sich viel bewegen, so haben sich die Ingenieure ohne Grenzen in Konstanz beim Verein „Save me“ in der Fahrradwerkstatt engagiert. Angedacht ist außerdem ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit der HTWG und Uni Konstanz umgesetzt wird - im Rahmen des bundesweiten Programms „Integration heißt gemeinsam. Sprache. Vielfalt. Technik“. Dieses 2015 ins Leben gerufene Programm unterstützt Geflüchtete bei der Integration ins Erwerbsleben.
Die Ingenieure ohne Grenzen wollen Lust auf technische Berufe machen und den Geflüchteten, die momentan in Konstanz einen Sprachkurs absolvieren, die ingenieurswissenschaftlichen Fächer näherbringen. In Planung sind z.B. Workshops, in denen man gemeinsam einen Mikrocontroller aufsetzt und programmiert oder ähnliche technische Anwendungen praktisch realisiert. „Einige der Geflüchteten haben bereits studiert oder eine Ausbildung, die in Deutschland aber nicht anerkannt wird. Bei dem Projekt kann es darum gehen, wie sie an das Gelernte anknüpfen können. Gerade im naturwissenschaftlichen Bereich. Da wollen wir eine Hilfestellung geben“, sagt Gordon Appel. Der Projekttag wird am 21. April stattfinden.
Biogas support for Tanzania
Das Engagement bei den „Ingenieuren ohne Grenzen“ zahlt sich also in mehrfacher Hinsicht aus: Für die Menschen vor Ort, die ihre Lebensbedingungen verbessern können, für die Ehrenamtlichen, die das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun. Und manchmal wird das Engagement mit einem gut dotierten Preis belohnt. 2012 erhielt das Projekt „Biogas support for Tanzania“ den Innovationspreis für Klima und Umwelt des Bundesumweltministeriums und des BDI.
Zusammen mit dem lokalen Partner MAVUNO Project entwickelten die Ingenieure weltweit einmalige Kleinst-Biogasanlagen, die es ermöglichen, die Erntereste auf den Bananenplantagen in brennbares Gas umzuwandeln, das die Menschen nun zum Kochen nutzen. Da bisher Holz zum Kochen verwendet wurde, hatte das Projekt nicht nur den schönen Nebeneffekt, dass die großflächige Waldrodung für Feuerholz gestoppt, sondern auch der Gesundheitszustand der Lokalbevölkerung verbessert wurde. Denn jährlich sterben fast zwei Millionen Menschen an Krankheiten, die von der Ruß geschwängerten Luft in ihren Häusern auslöst werden. „Die Auszeichnung war eine tolle Sache“, erinnert sich Appel, der das Projekt damals mit geleitet hat. „Ein riesiger Motivationsschub für alle Leute, die an dem Projekt mitgearbeitet haben.“ Und das Preisgeld konnte in das Projekt reinvestiert werden.
Interesse mitzumachen?
Die Konstanzer „Ingenieure ohne Grenzen“ treffen sich immer am ersten und dritten Mittwoch im Monat um 18.30 Uhr in der HTWG, Raum A 320.
Mehr Informationen zu den Ingenieuren ohne Grenzen: