Architektur
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Bauen in planetaren Grenzen
(06/21) Zum letzten Vortrag der Reihe „Zukunft Entwerfen“ begrüßte Prof. Friederike Kluge den Architekten Eike Roswag-Klinge, Mitbegründer und Leiter von ZRS, ein Architektur- und Ingenieurbüro in Berlin, das seinen Schwerpunkt auf ganzheitliche und klimaangepasste Naturbauten legt und dabei versucht, weitestgehend auf Technik zu verzichten.
Zu Beginn der Vortragsreihe im Mai hatte Prof. Friederike Kluge mit der Frage begonnen: „Was kommt eigentlich in der Zukunft auf uns Architekten zu?“ Im folgenden Vortrag von Roswag-Klinge bekamen die Zuhörer nun ganz neue zukunftsweisende Bilder vorgestellt.

„Bauen in planetaren Grenzen“ war der Titel der Veranstaltung mit der zentralen Frage, wie Architektur zum Wandel beitragen kann. Eike Roswag-Klinge zeigte mit einem Zitat von Friedrich Schmidt Bleek zu Beginn auf, dass die Gesellschaft ihr bisheriges Verhalten ändern muss: „Weniger als 20% der Menschen konsumieren zur Zeit mehr als 80% der natürlichen Ressourcen. Die wohlhabenden Länder müssen ihre technischen Grundlagen des Wohlstands entstofflichen oder ihre Ressourceneffizienz im Durchschnitt um mindestens den Faktor 10 erhöhen.“ (Schmidt-Bleek, 2003)
Für Roswag-Klinge steht deshalb fest: „Wir müssen auf 10% unseres Ressourcenverbrauchs runter, wenn wir aus unserer Hochkonsumwelt in den Industrieländern zu einem fairen internationalen Ausgleich kommen wollen. Wir werden uns signifikant anpassen müssen an andere Verhältnisse.“
Aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und der schwindenden Ressourcen forscht er an baulichen Lösungen, die sich an die vorhandenen Ressourcen anpassen und sich an den planetaren Grenzen orientieren - jenseits des Glas-Stahl-Betonturmes. Anhand der UBA RESCUE-Studie zeigt er, wir hier in sechs Szenarien ganzheitlich gedacht wird: neben der Berücksichtigung der Energieseite und des CO2-Verbrauchs wird hier auch die Inanspruchnahme von Rohstoffen berücksichtig. Als wichtigste Ziele nennt er dabei die generelle Reduktion des Konsums, die klimaneutrale Energieversorgung sowie den Waldumbau hin zu Verdichtung, Vielfalt und Biodiversität und als CO2-Speicher und Verdunstungsgebiet. Auch gehören für ihn eine alternative Landwirtschaft dazu, sowie die Begrünung der urbanen Räume und Gebäude, beispielsweise durch Reduktion der Versiegelung der Landschaft, Dachbegrünung und Fassadenbegrünung.
Eines seiner zentralen Forschungsgebiete ist das sogenannte Low-Tech-Bauen, für das es nach seiner Erkenntnis gewisse Rahmenbedingungen braucht. Zunächst ist die Verwendung von feuchtesteuernden Materialien wie Holz, Lehm, Kalk und Naturfasern wichtig. Seiner Meinung nach können wir dann die Lüftungstechnik in jedem Fall reduzieren oder sogar in vielen Fällen weglassen. Unsere Innenräume seien heute oft zu trocken was wiederum das Wachstum von Viren und Bakterien fördere. „Auf Klimatechnik sollte in unseren Breitengraden ganz verzichtet werden“, so Eike Roswag-Klinge.

Interessant war die Gegenüberstellung der Kostenentwicklung eines konventionellen Hauses mit der Kostenentwicklung eines Naturbau-Hauses. Die Investitionskosten für ein Lehmbau-Haus sind momentan noch teurer als bei der konventionellen Bauweise. In einem zweiten Schritt rechnete er aber die Betriebskosten dazu. Bei einer Zeitspanne von 50 Jahre wird deutlich, dass aufgrund der Technik das konventionelle Haus sehr viel teurer ist, nach 18 Jahren ist bereits der Zeitpunkt, an dem das Naturbau-Haus aufgrund der fehlenden Technik günstiger wird. Sein Fazit: „Wir müssen klimaangepasst designen und Low-Tech bauen.“
Roswag-Klinge plädiert dafür, in Zukunft die Wohn- und Nutzflächen zu reduzieren und auf keinen Fall mehr neu zu bauen, sondern den Bestand zu transformieren und möglichst alles, was an Baumaterialien entfernt wird, wieder in das Gebäude zurück zu führen. Beton sollte in Zukunft so weit wie möglich reduziert werden, bei seinen Projekten sind das nur noch die erdberührenden Bauteile.


Wie das Bauen in Planetaren Grenzen in Zukunft aussehen kann, dafür hatte Eike Roswag-Klinge eine ganz klare Vision: Zunächst sollte kein neues Bauland mehr ausgewiesen werden, sondern wir sollten komplett zurück in den Bestand gehen, weg vom Neubau.
Die Verkehrsinfrastrukturen müssten reduziert und der urbane Raum sollte mehr begrünt werden. Außerdem plädiert er dafür, dass Siedlungsräume von der entmischten modernen Stadt wieder zu der durchmischten lebenswerten fahrradgerechten Stadt gemacht werden, wo die Menschen zu Fuß und mit dem Fahrrad das meiste ihres Alltags erleben können. Durch die neue Homeoffice-Situation besteht die Chance, Einfamilienhausgebiete zu durchmischten Gebieten zu machen - mit viel stärkeren ganztätiger Nutzung.
Durch den Vortrag von Eike Roswag-Klinge wurde den Zuhörern deutlich, dass wir zu ganz anderen Denkwelten kommen müssen, wie wir unsere urbanen Räume und Siedlungsräume in Zukunft entwickeln.
Roswag-Klinge fordert uns Architekten zu einer transdisziplinären Planungs- und Baukultur auf, in der wir täglich gegenseitig voneinander lernen. „Wir dürfen Häuser nicht mehr als Kunstobjekte und uns als Künstler ansehen, sondern als Moderatoren für eine Zukunft.“
Text: Cornelia Lurz