Kommunikationsdesign

    Bachelorstudiengang

    Dekoratives grafisches Element

    Die Logik der Schönheit

    Sie hat die Konstanzer Designstudiengänge zu dem gemacht, was sie heute sind: Prof. Judith M. Grieshaber geht nach diesem Semester und bleibt doch. Ein Porträt …

    Yesterday is history,
    tomorrow is a mystery.
    But today is a gift –
    That’s why they call it
    PRESENT.

    Ab und zu bleibt Judith Grieshaber stehen beim Spaziergang rund um ihr wundervolles Haus in der Ardèche. Schaut. Zeigt. Greift nach einem Ast. Eine feine, von einem sehr fleißigen Insekt gezeichnete Maserung zieht sich rund um das Holz. Sie wird zu Hause einen Platz für den Ast finden, der nur auf ihn gewartet zu haben scheint. Er wird dort seinen großen Auftritt haben, wie viele andere Fundstücke. Dieser untrügliche und fast körperliche Instinkt für das Schöne gehört zu ihren Markenzeichen. Auf die Frage »Schlägt Schönheit Pragmatik?« antwortet Grieshaber lachend: »Natürlich.« Und als Gestalterin lebt sie genau das: den Dreiklang zwischen Idee, Konzept und visueller Umsetzung, den sie den Studierenden unermüdlich beibringt, und der ihr selbst so unvergleichlich harmonisch gelingt.

    Eine Tapete aus Nylon-Strümpfen
    Ihr Seminar im dritten Semester, offiziell »Entwerfen und Komplexität«, auf den Fluren »Die Sonderedition« genannt, ist für Viele ein Schlüsselmoment im Studium. Aufgabe: Verpackung und Kampagne für ein Musikalbum. Und genauso kam sie selbst zum Design: über legendäre Plattencover, den »Rolling Stone« und die von der älteren Schwester abonnierte »Twen«. Doch fürs Stuttgarter Gestaltungsstudium war die Bewerbungsfrist schon vorbei und so landete die damals 19-Jährige im Fach »Textildesign«, was ihr heute noch schallendes Gelächter entlockt: »Ich hasste Tapeten und Teppiche«. Was folgte, ist fantastische Anekdote: ein Wettbewerb der Marbacher Tapetenfabriken, eine gefrustete Jungstudentin, die einen Entwurf aus zerrissenen schwarzen Nylonstrümpfen abgibt, erst ein nationaler erster Preis, dann ein internationaler erster Preis – und der Rauswurf durch einen Professor, der sich gerne unbequemer Köpfe entledigte. Doch die junge Dame mit den dunklen Locken, die bereits als Kind im Weihnachtsgottesdienst ihr Lieblingslied »Der Mond ist aufgegangen« dem allgemeinen »Ihr Kinderlein kommet« entgegengesetzt hatte, wollte sich das nicht bieten lassen. Grieshaber setzte sich vor die Tür des Hochschulrektors, erkämpfte sich eine Mappenabgabe für das Designstudium und studierte, was ihre Bestimmung sein sollte: Grafikdesign.

    Lebensart und Riesenwaschkraft
    Als absolut prägend hat sie die kommenden Jahre empfunden, bei Gestaltungs-Größen und Vorbildern gelernt wie Manfred Kröplien, Wolf D. Rogosky, Milton Glaser und Seymour Chwast mit den Push Pin Studios, Karl Gerstner und Paula Scher. Bei Max Bense hat sie Semiotik und Philosophie gehört; und in all diesem Austausch eine Lebensart kennengelernt, die die ihre werden sollte: immer hungrig nach Neuem, immerzu lesend, offen für Philosophie, Bilder, Reisen und: »Spaß«. Die Leichtigkeit im Anspruch zu behalten, den Witz, das Augenzwinkern, das ist ihr wichtig. Die Bibliothek des Hauses ist groß. Der Esstisch für die Runde mit Freunden auch. Grieshaber hat ihre Diplomarbeit in der Toskana geschrieben, für das Ministero del Turismo Firenze, die Zeit außerdem für Studien der Kunstgeschichte genutzt. Und zu ihren Lehrern blieb der Kontakt, auch später, auf Augenhöhe. Mit Kröplien sind so die Bücher »Vom Bauhaus ins Land der Riesenwaschkraft« und »Die Philosophie der neuen Grafik«, in dem sie ihre eigene Gestaltungsmethode beschreiben, entstanden.

    »Das Herz erreichen«
    Doch die reine Theorie, das wäre ihre Sache nicht. Und der vielleicht abgedroschene Begriff der Vollblut-Gestalterin, bei ihr hat er seine Berechtigung. Sie zitiert Gertrude Stein, die über das Schreiben sagte: » … die Dinge, die wir wissen, fließen unseren Arm hinunter und werden auf dem Papier sichtbar.« Um diesen Moment geht es ihr. Wenn alle Überlegung sich bündelt und Gestaltung wird. Wenn eine Idee zündet, »wenn man das Herz der Menschen erreicht«. Wenn ein Satz, ein Zeichen, ein Bild plötzlich für etwas Größeres steht.

    Ideen für große Kunden
    Judith Grieshaber hat von Beginn an selbstständig gearbeitet, schnell auch international und für große Kunden wie die IBM, für die sie bei der GGK International in Paris unter anderem eine »Enzyklopädie der Datenverarbeitung« mitgestaltet hat. Mitte der 80er-Jahre gründete sie ihre Agentur für Innovative Problemlösungen, »United Ideas« in Stuttgart. »United Ideas«, schon der Name ist typisch für sie. Mit einem Schwerpunkt für Kampagnen, Corporate Identities, Geschäftsberichte, Mitarbeitermagazine, Buchgestaltung ist sie den Wandel zur digitalen Arbeitsweise von Anfang an mitgegangen, hat ganz früh den ersten Computer mit Drucker gekauft, für unglaubliche 20 000 Mark, und sich dennoch von der digitalen Schnelllebigkeit nicht die Liebe zum Handwerk nehmen lassen. Immer hartnäckig, immer auf der Suche nach der besten Lösung: »Wenn Du Qualität haben willst, dann musst Du an der Druckmaschine stehen«, erzählt sie. Und manchen Drucker hat sie überzeugt, dass es noch besser, präziser gehen kann.

    Weichenstellerin in Konstanz
    Und dann war da die Stellenausschreibung für eine halbe Professorenstelle in Konstanz, die Bewerbung gedacht als Versuch, die Zusage eine Überraschung: »Ich war geschockt«. Am »Institut für Kommunikationsdesign« in der Villa Prym hat sie Ende 1989 dennoch begonnen, zusammen mit nur drei Kollegen. Und nein, sich im Kreis dieser Männer durchzusetzen, das war für die damals 30-Jährige nicht immer einfach. Sie hat es geschafft und mehr als das: Als Studiendekanin hat sie die Weichen gestellt für das, was aus den Konstanzer Designstudiengängen geworden ist, von der Angliederung an die Fachhochschule bis zum Ausbau des Kollegiums auf letztlich neun Professorenstellen und der Planung des Neubaus, in dem die Studiengänge heute untergebracht sind. Das Konzept dieser Studiengänge vertritt sie bis heute, sich nicht zu spezialisieren, sondern breit aufgestellte Gestalter auszubilden: »Da steckt so ein Renaissance-Gedanke dahinter.« Und dass es gelungen ist, das L-Gebäude in der Fakultät zu planen, freut sie nach wie vor, auch wenn sie die Freiheit der Zeiten an der Villa manchmal vermisst: »Es war viel künstlerischer dort.«

    Freiheit, Ästhetik, Menschlichkeit
    Eine Kämpferin für die Freiheit ist sie nicht nur in eigener Sache: In Erinnerung bleiben werden Projekte, mit denen sie gezeigt hat, wie Gestaltung und Humanismus Hand in Hand gehen können. Seminare mit Geflohenen aus Syrien, eine Ausstellung mit traumatisierten jesidischen Frauen, eine mongolische Jurte im Garten der Villa. Daran glaubt sie, an die Verbindung von Menschlichkeit und Ästhetik: »Der Mensch ist genial, weil er kreativ ist.« Und in diesem Sinne fürchtet sie auch keine Künstliche Intelligenz. »Wir erzählen uns als Menschen unsere Welt in Sprache und Bildern. Damit wir uns verstehen.« Als großartige Geschichtenerzählerin wird sie auch künftig im Rahmen von Lehraufträgen an der Hochschule arbeiten. Ansonsten freut sie sich auf die Freiheit für eigene Projekte. Zum Abschied kommt sie mit einem Arm voller Lavendel und Immortelle aus ihrem Garten und bindet plaudernd einen Strauß, mit diesem untrüglichen Gespür dafür, wie er am schönsten sein könnte. Nicht nur dafür: danke, Judith.