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Wie Wildcampen, nur erlaubt: Plattform für CO2-neutrales Reisen in den Alpen

31.03.2020

Übernachten in den Alpen ohne Overtourism und dabei noch lokale Betriebe unterstützen: Mit ihrem Startup „MyCabin“ wollen Studierende der HTWG, der Uni Konstanz und der Hochschule Darmstadt genau das möglich machen – durch erlaubtes Wildcampen sozusagen.

Ihre Online-Plattform soll es verantwortungsbewussten Outdoorsportlern/innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ermöglichen, naturverbunden in leerstehenden Hütten, Unterschlüpfen, Vorgärten, auf Pfaden oder Wiesen zu übernachten – ganz legal. Denn Wildcampen ist in den drei Ländern in vielen Gebieten nicht erlaubt oder lediglich geduldet. Einheitliche landesübergreifende Regelungen sind selten.

Der Student wurde beim Wildcampen erwischt

Finn Wilkesmann war das egal, als er für sein Lehramtsstudium an der Uni Konstanz von Hannover in die Stadt am See zog. Dem begeisterten Bergsteiger und Skifahrer waren die meisten Unterkünfte in den Alpen zu voll. „Viele Hütten sind überlaufen und werden immer luxuriöser“, sagt er.

Auf seinen Touren in den Bergen fielen ihm immer wieder leerstehende Übernachtungsmöglichkeiten auf. Die nutzte er auch – und wurde erwischt! „Der Bauer war natürlich erst total wütend. Im Gespräch über die Tourismusentwicklung in den Alpen merkte er aber schnell, dass wir gar nichts Böses wollen“, sagt Finn Wilkesmann.

Inhaber bieten leerstehende Hütten und Wiesen in den Alpen als Übernachtungsmöglichkeit an  

Es stellte sich heraus, dass der Landwirt eigentlich nichts dagegen hatte, die Wanderer auf seiner Wiese campen zu lassen, solange sie keine Spuren hinterließen. Er bot ihnen sogar an, sich das nächste Mal vorher bei ihm zu melden, wenn sie noch einmal bei ihm übernachten wollten.

„Ja und da hat es bei mir ‚klick‘ gemacht“, sagt Finn Wilkesmann. Die Idee für „MyCabin“, eine Online-Plattform, auf der Inhaber ihre leerstehenden Hütten, Vorgärten oder Wiesen als Übernachtungsmöglichkeiten anbieten können, war geboren. Und sie fand gleich großen Zuspruch im Freundeskreis des Studenten. Kommilitone Maximilian Schätzle sowie Mitbewohnerin und HTWG Studentin Sophia Hummler stiegen direkt in das Projekt mit ein.

Bei der Startup-Gründung lernt man auch Dinge, die so nicht im Studienplan stehen

Die beiden Studienkollegen sind an der Universität in Konstanz eingeschrieben, Finn Wilkesmann studiert Sport und Wirtschaft, Maximilian Schätzle Sport und Biologie. Sie kennen sich aus mit Outdoorsport, entwickelten das Businesskonzept für „MyCabin“, betreiben Akquise und Kommunikation. Sophia Hummler ergänzt das Team mit ihrem Know-how in Sachen Grafik und Gestaltung. Sie studiert Kommunikationsdesign an der HTWG.

„Finn hat mir am Küchentisch von seiner Idee erzählt. Ich war sofort Feuer und Flamme und weil man als Grafikdesigner gar nicht anders kann, hatte ich sofort ein Bild im Kopf. Ich kritzelte meine Idee auf das nächstbeste Blatt Papier. So entstand das 'MyCabin'-Logo“, erzählt sie.

Die HTWG Studentin gestaltet das Werbematerial für „MyCabin“, koordiniert den Social Media-Auftritt und ist an der Konzeption der Website beteiligt. „Das Tolle an einem Startup ist, dass man eine komplette Unternehmensstruktur kennenlernt und sie mitgestalten kann. Und man lernt natürlich auch Dinge, die so nicht im eigenen Studienplan stehen, zum Beispiel Pitch-Präsentationen halten, Netzwerken, sich mit sowas wie Businessplänen auseinanderzusetzen und so weiter. Zwar hat jeder in unserem Team seinen Hauptaufgabenbereich, es kann sich aber jeder überall einbringen und Neues kennenlernen“, sagt die Kommunikationsdesignerin.

Wie Airbnb oder Couchsurfing für Wandertouren in den Alpen

Was den drei Studierenden noch fehlte, war ein Web-Entwickler, der ihr Vorhaben umsetzen konnte. Über eine Ausschreibung fanden sie Michael Hendlich. Der Student von der Uni Darmstadt programmiert das Backend für „MyCabin“.  

Die Plattform wird ähnlich funktionieren wie Airbnb oder Couchsurfing: Landwirte in den Alpen können ihre Hütten, Wiesen oder andere Orte unkompliziert und gebührenfrei als Übernachtungsmöglichkeit anbieten. Wanderer und andere Outdoorsportler können sie mieten. Die Plattform soll aber persönlicher sein als Airbnb. Sie soll verantwortungsbewusste Reisende anziehen. Der Community-Charakter steht im Vordergrund.

Nachhaltiger Alpentourismus: Naturerlebnis ohne Overtourism – und manchmal auch ohne Toilette!

Wie das funktionieren soll, erklärt Finn Wilkesmann so: „Ich habe mal eine Hütte gemietet, als ich einen Workshop geleitet habe. Der Inhaber wollte von uns eine Stellungnahme zu seinen Alkoholregelungen haben. Wenn man so etwas selbst formuliert, kommt da ein ganz anderes Commitment auf.“

Unter anderem diesen Effekt wollen sich die Gründer von „MyCabin“ zu Nutze machen. Bevor Wanderer ihre erste Anfrage stellen können, müssen sie eine Stellungnahme zu den Regeln der Plattform formulieren. Sollte es doch einmal Probleme geben, greifen weitere Sicherheitsmechanismen wie zum Beispiel Finanzierungsverifizierungen. Anhand des Geldtransfers (per PayPal, Kreditkarte o.ä.) bei der Buchung lassen sich Personen, die Schäden verursacht haben, im Nachhinein sicher identifizieren. Da sich Gast und Gastgeber gegenseitig bewerten können, bleiben Übeltäter auch nicht anonym. Inhaber können zudem eine Kaution für die Übernachtung auf ihrem Grundstück verlangen.

Um Outdoorsportler beim nachhaltigen Umgang mit der Natur und den Übernachtungsmöglichkeiten zu unterstützen, dreht das Team von „MyCabin“ zudem How-to-Videos, die alle Nutzer erhalten, wenn sie ein Profil erstellen. Darin geht es auch um ganz grundlegende Dinge wie zum Beispiel das mögliche Fehlen von sanitären Anlagen an den Schlafplätzen.

CO2-neutral durch die Alpen ohne Luxus: Das Konzept ist bereits mehrfach prämiert

Heizung, WLAN, Strom – das alles gibt es bei „MyCabin“ natürlich auch nicht. Die Plattform soll naturnahes, minimalistisches Reisen in den Bergen ermöglichen, ganz ohne CO2-Emmissionen. „Die Idee ist simpel. Aber sie bietet tatsächlich allen Akteuren, inklusive der Natur, einen Mehrwert. Wir schaffen für die Anbieter die Möglichkeit brachliegende Flächen zu nutzen, Reisende bekommen die Chance mit und in der Natur zu übernachten. Wir wenden uns vom Massentourismus ab und möchten die Alpen wieder in ihrer ursprünglichen Form erlebbar machen“, sagt Sophia Hummler.

Mit diesem Konzept haben die Studierenden bereits jede Menge Wettbewerbe für Startups und Partner gewonnen, wie zum Beispiel „EUSALP“ oder „Appenzellerland Tourismus“, die sie organisatorisch, finanziell oder mit ihrem Siegel unterstützen.

Auch das Programm „Herausforderung Unternehmertum“ der Stiftung der deutschen Wirtschaft und der Heinz Nixdorf Stiftung unterstützt die jungen Gründer in unternehmerischen und rechtlichen Fragen. Solange sie das Projekt fördert, darf „MyCabin“ noch keine Gewinne verzeichnen. Erst ab November 2020 kann es daher richtig losgehen.

Im Mai wollten die Gründer eine spendenbasierte Pilotphase starten, während der Interessierte die Plattform hätten testen können. Aufgrund von Corona muss diese nun leider verschoben werden. Interessierte erfahren über den Newsletter des Startups (Anmeldung auf www.mycabin.eu), wann es weitergeht. Die Registrierung für die Pilotphase erfolgt über die Website von „MyCabin“.

Ab April 2021 soll „MyCabin“ nachhaltige Übernachtungsmöglichkeiten in den Alpen vermitteln.

Bereits über 40 Anbieter im DACH-Raum konnte das Team des Startups für sein Projekt gewinnen. Um noch weitere zu finden, suchen die Studierenden zurzeit nach begeisterten Outdoorsportlern, die bei finanzierten Outdoor- und Roadtrips gegen Provision Kontakte von interessierten lokalen Anbietern sammeln. Wann sie stattfinden, ist aufgrund des Coronavirus aktuell ebenfalls unklar.

Um im Frühjahr 2021 mit ihrem Projekt durchzustarten, sind die Studierenden aktuell auf Finanzierungssuche. Im Winter wollen zwei von ihnen hauptberuflich in das Projekt einsteigen. Über die kalten Monate wollen sie zudem noch eine eigene vielseitigere Website aufbauen, aktuell arbeiten sie noch mit einem Template. Dafür sucht das Team noch einen Frontend-Entwickler. Ab April 2021 sollen Interessierte die öffentliche Plattform dann für ihre Reisen in den Alpen verwenden können.

Titelbild: Das Startup „MyCabin“ will Alpentourismus im Einklang mit der Natur ermöglichen. Fotos: Felix Mittermeier/Pixabay (Gämse), Julius_Silver/Pixabay (Berg)