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Frauen in der Wissenschaft

17.05.2018

Illustration: Wadim Petunin

Wie die HTWG Frauen ermutigt, sich auf eine Professur zu bewerben. Zwei Gastprofessorinnen berichten.

Die Wissenschaft ist weiblich. Allerdings nur im Hinblick auf das grammatische Genus. Die Realität: Studierende in Deutschland sitzen in Vorlesungen meistens Männern gegenüber. Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung ist derzeit nur etwas mehr als jede fünfte Professur in Deutschland mit einer Frau besetzt. An der HTWG ist das nicht anders. Wegen der starken Technik-Ausrichtung ist das Phänomen sogar besonders ausgeprägt: 22 der 167 Professuren waren im Jahr 2016 von Frauen besetzt.

Das soll sich ändern. Das Ziel ist so nicht nur im Gleichstellungsplan der HTWG verankert. Gleichstellungsbeauftragte Prof. Dr. Kerstin Schaper-Lang setzt sich auf vielen verschiedenen Ebenen dafür ein. Unter anderem beteiligt sich die Hochschule an Programmen sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene, um Frauen für den Professorinnenberuf zu begeistern und zu ermutigen. Zunächst aber müssen geeignete Frauen gefunden werden.

Fehlende Vorbilder

Warum so wenige Frauen Professuren mit technischer Ausrichtung besetzen, ist leicht zu erklären: Woher sollen sie auch kommen? Der Anteil von Frauen, die technische Fächer studieren, ist traditionell in Deutschland sehr gering. Von diesem sehr geringen Anteil wiederum geht nur ein sehr kleiner Teil in die Wissenschaft. Dadurch bedingt fehlen bereits den Schülerinnen Vorbilder für die Entscheidung für einen technischen Studiengang. Es ist ein Teufelskreis.

Ein Teufelskreis, der kulturell bedingt ist, glaubt Viktoria Kirjuchina, die im laufenden Sommersemester als Gastprofessorin an der Fakultät Architektur und Gestaltung lehrt. Sie hat einen Migrationshintergrund und staunt, wie stark in Deutschland das Geschlecht Berufswahl und Karriere beeinflusst. „Keine Frage, die Gesetzgebung sieht klar Gleichstellung vor, doch es sind die ungeschriebenen Gesetze, die über diese Lage entscheiden“, sagt Kirjuchina, die das Thema Gleichstellung unter anderem als Gestalterin für die Kampagne Equal-Pay-Day aus der wissenschaftlich-politischen Perspektive betrachtet hat. Ihrer Meinung nach fehlen für junge Frauen die Vorbilder in der Technik-Welt – und in der Wissenschaft.

Türöffner und Wegbereiter Gastprofessur

Viktoria Kirjuchina selbst ist durch ihre Neugier und mit Hilfe von Förderprogrammen in die Wissenschaft geraten. Zur Honorierung ihres hervorragenden Abschlusses an der Hochschule der Künste Berlin hat sie als Auszeichnung einen Lehrauftrag bekommen. Damit war der Kontakt zur Lehre und die Begeisterung dafür geweckt. Die Forschung kam für die Gründerin des Studio VK, einer Agentur für visueller Rhetorik, bald hinzu: Kirjuchina forscht in einem interdisziplinären Team T.R.A.C.E. über die Wirkung von Gestaltung und Rhetorik, über Kognitionsmechanismen, die notwendig sind, damit sich Überzeugung einstellt. Damit unternimmt Viktoria Kirjuchina den Versuch, eine anwendbare Theorie für ihr betont künstlerisches und praxisorientiertes Berufsfeld zu entwickeln.

Dass Viktoria Kirjuchina für ihre Sache brennt, ist unüberseh- und -hörbar, wenn sie ihr Forschungs- und Lehrgebiet beschreibt. Ihr Ziel: „Ich will meine fachliche Qualifikation beruflich verwirklichen!" Auf dem Weg dahin soll ihr die Gastprofessur helfen, betont die Gleichstellungsbeauftragte Prof. Dr. Kerstin Schaper-Lang: „Mit den Gastprofessuren für Frauen sollen bevorzugt Frauen angesprochen werden, die den (Wieder-)Eintritt in den akademischen Bereich planen. Die befristete Gastprofessur soll ihnen dabei eine bessere Ausgangsposition für den Bewerbungsprozess verschaffen und ihre Chancen auf dem akademischen Arbeitsmarkt steigern.“ Gastprofessur heißt: 50-Prozent-Professur-Stelle mit W2-Bruttovergütung im Angestelltenverhältnis und einem Lehrdeputat in Höhe von neun Semesterwochenstunden.

Halb im Job, halb auf der Professur

Die Fakultäten waren dazu aufgerufen, geeignete Frauen für das Programm vorzuschlagen. Die Kandidatin der Fakultät Informatik war Dr. Sonja Meyer. Sie lehrt nun im Sommersemester zum Thema Internet der Dinge (IoT) und Algorithmen.

Der Zufall hat sie zu Lehre und Forschung geführt. Als sie noch als einzige Frau in ihrem Semester an der TU Hamburg-Harburg Informatik-Ingenieurwesen studiert hat, hätte sie nicht damit gerechnet, dass sie selbst einmal an einer Hochschule lehren wird. Nach einem Trainee-Programm in der Software-Beratung bei SAP wechselte sie zu SAP Research nach St. Gallen.

Nebenbei ergab sich damit jedoch eine berufliche Neuorientierung: der Einstieg in ein Forschungsprojekt und das Angebot zu promovieren. Die Suche nach einem Professor, der sie in ihrem nebenberuflichen Promotionsvorhaben zur Modellierung und Ausführung von Geschäftsprozessen im Internet der Dinge betreuen würde, gestaltete sich nicht einfach, aber sie war erfolgreich. Nach einem Abstecher zur EMPA, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, wo sie zu Nachhaltigkeitsaspekten des Themas IoT arbeitete, wechselte Dr. Sonja Meyer zu Bosch Software Innovations nach Immenstaad. Hier verantwortet sie nun alle IoT-Projekte zum Thema „Smart Office“. Auch neben ihrer Gastprofessur.

Die Mutter einer eineinhalbjährigen Tochter arbeitet hier während der Gastprofessur mit 50 Prozent weiter. Die Doppelbelastung nimmt sie in Kauf: „Die Gastprofessur ist für Frauen eine tolle Chance. Wenn man aus der Wirtschaft kommt und nicht die klassische Wissenschaftskarriere eingeschlagen hat, kann man so gut Lehrerfahrung sammeln“, erläutert sie.

 

„Frauen haben zwei Widersacher: Männer - und Frauen“.

Gastprofessorin Viktoria Kirjuchina

Auch Viktoria Kirjuchina ist Mutter. Beide Frauen finden sich immer wieder in einer Rechtfertigungssituation – die Männern mit gleichen Rahmenbedingungen fremd ist. „Frauen haben eine Achillesferse: ihr schlechtes Gewissen der Familie gegenüber“, sagt Kirjuchina. Wodurch wird dies verursacht? Hier zeige sich, wie es um die Gleichstellung tatsächlich bestellt ist. „Mir reicht nicht, dass ich weiß, dass ich mich theoretisch für einen Traumjob eignen würde – ich will diesen auch ausüben. Ich liebe meine Kinder- und meinen Beruf“, betont Viktoria Kirjuchina.

Dr. Sonja Meyer rät Frauen dazu, sich gar nicht erst auf Vorwürfe oder Machtkämpfe einzulassen. Viktoria Kirjuchina räumt aber ein: „Frauen haben zwei Widersacher: Männer - und Frauen“. Sie ruft deshalb zur Solidarität unter Frauen auf und versucht auch selbst, Frauen zu fördern, wo es ihr möglich ist. Den Ansatz verfolgt auch die Gleichstellungsbeauftragte Prof. Dr. Kerstin Schaper-Lang. Dabei hilft das Programm „Traumberuf Professorin“ (Link), ein Mentoring-Programm, das promovierte Frauen aus der Wirtschaft begleitet.

Mentoring-Programm „Traumberuf Professorin“

Sieben baden-württembergische Hochschulen, darunter die HTWG, engagieren sich gemeinsam, um mehr talentierte Frauen für Lehre und Forschung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften zu begeistern. Dafür haben sie im April 2017 das Verbundprojekt „HAW-Mentoring – Traumberuf Professorin“ ins Leben gerufen, das für vier Jahre mit rund 300.000 Euro des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (MWK) gefördert wird.

Das Programm richtet sich gezielt an Frauen aus Wirtschaft und Verwaltung sowie an (Post-) Doktorandinnen verschiedener Hochschulen, die für eine spätere Berufung auf eine HAW-Professur in Frage kommen. Durch Tandems zwischen Mentees aus Wirtschaft/Verwaltung und Mentorinnen/Mentoren einer HAW findet die Vernetzung von Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft statt, die es erleichtert, bei zukünftigen Berufungsverfahren und Forschungsvorhaben gezielt Frauen zu erreichen, die entweder direkt am Mentoring-Programm teilgenommen haben oder Kontakte zu potenziellen Kandidatinnen haben. Ein weiterer Bestandteil des Programms ist ein einjähriges, qualifizierendes Begleitprogramm.

Unterstützung der Gleichstellungsarbeit: das Professorinnenprogramm

„Frauen machen heute häufiger Abitur als Männer, sie studieren häufiger, und sie verfassen fast die Hälfte aller Promotionen. Damit mehr Frauen sich für Berufswege in der Wissenschaft entscheiden, brauchen wir strukturelle Veränderungen“, so eine Forderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Solche strukturellen Veränderungen soll das Professorinnenprogramm fördern – ein Programm, das gleichermaßen vom BMBF  wie von den Ländern finanziert wird. Seit dem Start des Professorinnenprogramms im Jahr 2008 ist die HTWG mit dabei. Sie hat sich damit bereits zwei Mal erfolgreich für das jeweils über fünf Jahre laufende Programm beworben. Dabei ist die Teilnahme an hohe Anforderungen gebunden.

Teilnehmende Hochschulen wie die HTWG qualifizierten sich durch Gleichstellungskonzepte, die extern begutachtet wurden. Diese Konzepte umfassten unter anderem speziell auf die jeweilige Hochschule ausgerichtete gleichstellungsfördernde Maßnahmen. Hochschulen, die ein überzeugendes Gleichstellungskonzept vorlegen konnten, bekamen bis zu drei Stellen für weiblich besetzte Professuren als Anschubfinanzierung für fünf Jahre gefördert – so auch die HTWG. Die Mittel, die der HTWG dadurch zusätzlich zur Verfügung stehen, konnten für gleichstellungsfördernde Maßnahmen an der Hochschule eingesetzt werden. Darunter zum Beispiel die Möglichkeit, Frauen als Gastprofessorinnen den Weg zur Professur zu erleichtern.

Ziel der HTWG: Mehr Frauen auf Professuren

Die stark durch die Studiengänge im technischen Bereich geprägte HTWG hat sich zum Ziel gesetzt, langfristig einen Gesamtfrauenanteil von über 20 Prozent bei den Professuren zu erreichen. Dafür bleibt noch viel zu tun. 2017 lag der Anteil bei 13,94Prozent (landesweit lag der Anteil von Frauen bei Professuren 2016 bei 18,21 Prozent).

Den HAWs (Hochschulen für Angewandte Wissenschaft) dürfte es noch etwas leichter als den Universitäten fallen, den Frauenanteil zu steigern. Voraussetzung für die meisten Professuren sind eine Promotion und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung. Damit müssen sich Kandidatinnen und Kandidaten für eine Professur nicht der oft kräftezehrenden Wissenschaftslaufbahn mit vielen befristeten Verträgen und damit verbundenen Unsicherheiten auch noch in der Post-Doc-Phase stellen.

Und: Die Hoffnung, dass bald mehr Frauen mit einem Abschluss in einem Technik-Studiengang für die Wissenschaft zur Verfügung stehen, ist begründet: Vom Wintersemester 2012/2013 bis zum Wintersemester 2016/17 ist an der HTWG der Anteil der Studentinnen in den MINT-Studienfächern gestiegen: von 13,58 Prozent auf 17,86 Prozent.

Illustration: Wadim Petunin

Programme, die helfen, Frauen an Professuren heranzuführen:

Professorinnenprogramm

Als eine der Maßnahmen, mehr Frauen auch nach der Promotion im Wissenschaftssystem zu halten, haben Bund und Länder das genannte Professorinnenprogramm ins Leben gerufen. Für die erste und zweite Programmphase wurden insgesamt 300 Millionen Euro (150 Millionen Euro je Phase) zur Verfügung gestellt. Das Programm wirkt auf zwei Ebenen. Es erhöht die Anzahl der Professorinnen an deutschen Hochschulen und stärkt durch spezifische Maßnahmen die Gleichstellungsstrukturen an Hochschulen.
Mathilde-Planck- Lehrauftragsprogramm (LINK)
Über das Programm werden schwerpunktmäßig Teilnehmerinnen gefördert, die über einen staatlich anerkannten Hochschulabschluss verfügen und bei Beginn der Förderung mindestens eine der zwei weiteren Voraussetzungen erfüllen:
•    besondere Befähigung zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit (nachgewiesen durch Promotion oder künstlerische Auszeichnungen)
•    mindestens zweijährige Berufspraxis außerhalb des Hochschulbereichs und konkretes Promotionsvorhaben bzw. künstlerische Qualifikation

Traumberuf Professorin

Das Programm Traumberuf Professorin richtet sich gezielt an Frauen aus Wirtschaft und Verwaltung sowie an (Post-) Doktorandinnen verschiedener Hochschulen, die für eine spätere Berufung auf eine HAW-Professur in Frage kommen. Tandems zwischen Mentees aus Wirtschaft/Verwaltung und Mentorinnen/Mentoren einer HAW fördern den Kontakt der Mentees untereinander  eine Vernetzung von Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft statt, die es erleichtert, bei zukünftigen Berufungsverfahren und Forschungsvorhaben gezielt Frauen zu erreichen, die entweder direkt am Mentoring-Programm teilgenommen haben oder Kontakte zu potenziellen Kandidatinnen haben. Ein weiterer Bestandteil des Programms ist ein einjähriges, qualifizierendes Begleitprogramm.

Datenbank Professorin

Die Datenbank Professorin (HAW/DHBW) ist eine überregionale Vermittlungs- und Kontaktbörse für Professuren an Hochschulen für angewandte Wissenschaften bzw. Fachhochschulen und an Dualen Hochschulen. Sie unterstützt das Ziel, den Professorinnen-Anteil an diesen Hochschulen zu erhöhen.
Nach einem Eintrag können Akademikerinnen
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•    sich online zu unseren Veranstaltungen anmelden,
•    nach Mentorinnen suchen.