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Im Epizentrum der Zeichnung

17.10.2018

Als Exotin fühlt sich Katrin Günther nicht zwischen all der Technik und den Zahlen an der HTWG. Denn ihr Interesse gilt gerade den Grenzsituationen, dem Überschreiten von Grenzen.

Die Professorin für Darstellen und Gestalten will Architekturstudierende an künstlerisch-experimentelles Schaffen heranführen. Das bedeutet für sie, konzeptionelles und strategisches Denken mit künstlerischen Verfahren zu verknüpfen und in architektonische Anwendungen zu übertragen. Technisches Wissen mit künstlerischem Gestalten zu vereinen – das reizt sie an ihrer Tätigkeit. Auch die permanente Selbstprüfung jedes Lehrenden ist eine Herausforderung und verlangt geistige Beweglichkeit: „Lehre ist stets ein aktiver Vorgang, schließt nicht allein Wissenslücken, sondern wirft bestenfalls neue produktive Gestaltungsfragen auf. Die Eindringtiefe in Problemstellungen ist nicht selten von der richtigen Methode abhängig. Speziell, wenn in innovativen Arbeitsstrukturen mit den Studierenden Zusammenhänge erschlossen werden. Die eigene kreative Flexibilität ist gefragt, wenn ich Erklärtes verstanden wiederfinde oder neue Fragen aufkommen, an denen Inhalte weiterentwickelt und formuliert werden müssen.“

Affinität zur Architektur

Neben der Lehre an der Hochschule Konstanz verfolgt Katrin Günther sehr erfolgreich ihre künstlerische Arbeit: In diesem Jahr wurde sie vom Berufsverband Bildender Künstler und Künstlerinnen Baden-Württemberg mit dem Förderpreis für Bildende Kunst ausgezeichnet. In seiner Laudatio hob der Kunst- und Kulturwissenschaftler Marcus Kettel ihre „konsequente, seriell angelegte künstlerische Forschungsarbeit mittels des Grundlagenmediums der perspektivischen Zeichnung“ hervor. Bereits auf den ersten Blick zeigen die meist großformatigen Zeichnungen die Affinität von Katrin Günther zur Architektur: Präzise Tuschezeichnungen voller Bauwerke, geometrischer Formen und Linien. Sie sind nicht auf einen Blick zu erfassen, zu opulent und detailgetreu ist die Darstellung. Sie laden ein, sich in den Raum zu versenken, ihn in all seinen geheimnisvollen Facetten und Ebenen zu erforschen.

Ausgetretene Pfade zu verlassen, den Blickwinkel zu verändern und dadurch die Wahrnehmung neu auszurichten – darum geht es der Professorin sowohl in ihrem künstlerischen Werk als auch in der Lehre. „Von Innovation und Phantasie getragene Projekte mit spürbarer Wirksamkeit nach innen wie nach außen sind die Grundbausteine für nachhaltige Lernprozesse“, sagt Günther, „ebenso wie praktische Vorstellungskraft und technische sowie gesellschaftliche Bildung. Die Fähigkeit zu handeln und der Mut, das Unmögliche zu wagen, führen zu grundlegend neuen Erkenntnissen.“  

Was sie für die Ausbildung junger Architektinnen und Architekten propagiert, hat sie selbst durchlaufen: Schon vor dem Abitur und der Maurerlehre arbeitete sie einige Jahre im Atelier eines Bildhauers. Dort erlernte sie die Grundlagen des Zeichnens und sammelte erste Erfahrungen im Umgang mit Materialien. Sie studierte Architektur an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus und dem Polytechnikum Mailand, arbeitete dann als künstlerische Assistentin an der BTU Cottbus. Während dieser Zeit war sie bereits als freie Künstlerin im eigenen Atelier in Berlin tätig und in internationalen Ausstellungen mit ihren Arbeiten vertreten. Auch lehrte sie an Wadi International University in Syrien, zu einer Zeit, als dort die Architekturfakultät von einem kleinen, internationalen Team aus sehr unterschiedlichen Disziplinen aufgebaut wurde. Dann folgten Stationen an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Berlin, der Leuphana Universität Lüneburg, der BTU Cottbus, an der Hochschule Rosenheim und der Alice-Salomon-Hochschule Berlin.

Neues künstlerisches Profil für die Hochschule

Seit 2013 entwickelt sie an der Schnittstelle von Architektur, Design und Kunst an der HTWG Konstanz ein neues künstlerisches Profil. Ausstellungen von Arbeiten Studierender in der Region, aber auch in bedeutenden Kunsteinrichtungen wie der Kestnergesellschaft Hannover, die konzeptionelle Überarbeitung der Semesterausstellung Werkschau Architektur und spontane Kunstaktionen tragen ihre Handschrift.

Dabei sind für die Professorin fachübergreifende Inhalte und die Zusammenarbeit mit anderen Wissensdisziplinen unabdingbar. „Gerade im methodischen Arbeiten und im inhaltlichen Durchdringen von komplexen Fragestellungen stellt die Integration von Spezialisten einen Schlüsselfaktor dar.“ Als Beispiel für diese Arbeitsweise kann eine Reihe von Licht- und Klanginstallationen dienen, die unter dem Namen „VOLUM“ auch in der Bundeshauptstadt viel Beachtung fand. Sie wurde gemeinsam mit dem Atelier der Klangkünstler Korinsky erstmalig 2014 im Berliner Dom realisiert, fand dann in den Folgejahren ihren Fortgang im Großen Historischen Wasserspeicher Prenzlauer Berg und in der Schinkelschen Bauakademie. In diesem Kunstprojekt, das Lehre und Forschung koppelt, galt es, Raum nicht nur visuell wahrzunehmen, sondern die Umgebung auditiv zu erforschen und zu gestalten. Es ging also darum, das vertraute Verhältnis von Auge und Architektur zu hinterfragen und eine komplexere sinnliche Wahrnehmung anzuregen.

Neue Impulse bringt sie in die Lehre aus ihrem Forschungssemester an der Universität der Künste Berlin ein. Gemeinsam mit Robert Patz forschte sie im Sommer am DFG- Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“. Dabei stand die Frage im Zentrum, wie sich der Entwurfsprozess von Raum durch Virtual Reality-Anwendungen verändert. Denn räumliche Tiefe kann durch künstlerische Zeichentechniken erzeugt werden, das Raumempfinden ist in der Virtuellen Realität aber von dieser dargestellten Zweidimensionalität gelöst. Möglicherweise werden VR-Brillen an der HTWG also zukünftig nicht nur im OIL eingesetzt, sondern finden auch im Fachbereich Architektur Anwendung. Man darf gespannt sein, was in diesem Semester beispielsweise aus dem Institut für Kunstruktion zu erwarten ist. Das Institut hat Katrin Günther gemeinsam mit Fachkollegen im letzten Jahr ins Leben gerufen. Es widmet sich dem interdisziplinären Austausch zwischen Konstruktion und künstlerischer Arbeit.