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Interkulturelle Fettnäpfchen im Blick

08.01.2018

Gelungene Kommunikation über Kulturgrenzen hinweg? Das erfordert Übung und ein paar besondere Kenntnisse

Prompt trat genau das ein: Die indonesische Kommilitonin kam zum ersten Gruppentreffen zu spät. Klar, die deutsche Pünktlichkeit ist nicht umsonst sprichwörtlich. Vorurteil bestätigt, Häkchen dahinter. „Ich will mich aber nicht von Vorurteilen leiten lassen und meine eigenen Erfahrungen machen“, sagt Florian Buchfink fast trotzig. Er studiert im zweiten Semester im Masterstudiengang Mechanical Engineering and International Sales Management (MMS). Der Studiengang öffnet die Türen zum internationalen Arbeitsmarkt, beispielsweise für eine Tätigkeit als Expat bei international tätigen Unternehmen. Hierfür sind erste Erfahrungen im interkulturellen Austausch unerlässlich. Genau das bietet die Pflichtveranstaltung „Kulturmodelle und interkulturelle Kommunikation .

Europäische Ingenieure und asiatische Tourismuswissenschaftler - wie geht das zusammen?

Denn: Die deutschen Masterstudierenden bleiben hier nicht unter sich, sondern die Veranstaltung findet gemeinsam mit Studierenden des Studiengangs „Wirtschaftssprache Deutsch und Tourismusmanagement“ (WDT) statt. Für diesen Studiengang, den es so nur an der HTWG gibt, sind nur Studierende aus asiatischen Ländern wie zum Beispiel China, Indonesien oder Malaysia zugelassen. So arbeiten in der Veranstaltung 16 Studierenden des Ingenieur-Studiengangs mit 15 asiatischen Studierenden zusammen. Beide Gruppen lernen nicht nur miteinander, sondern auch voneinander. Die Studierenden kommen nicht nur aus anderen Kulturkreisen, sondern auch aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Gute Voraussetzungen also, Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen.

Wann steht ein „Ja“ wirklich für Zustimmung?

Das heißt: Während die Dozentinnen Prof. Dr. Gabriele Thelen und Dr. Helena Obendiek die Theorie interkultureller Kommunikation vermitteln, leben die Studierenden die unmittelbare Umsetzung schon im Kurs. Ganz besonders, wenn es um die Bearbeitung von Fallstudien in der international zusammen gesetzten Gruppe geht. Was ist nötig, um mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus einem anderen Kulturkreis erfolgreich zu kommunizieren, wenn eine Firmenfusion erfolgen soll? Wie setze ich mich mit meinen ausländischen Kolleginnen und Kollegen über strategische Zielsetzungen auseinander? Wann bedeutet dann ein „Ja“ tatsächlich Zustimmung? Wann hilft das „Ja“, das Gesicht zu wahren und ein mühsam aufgebautes Vertrauensverhältnis nicht zu verlieren? Wann wird es als Respektsbekundung gegenüber dem Chef ausgesprochen und damit ein sachlich berechtigter Widerspruch heruntergeschluckt? „Es ist wichtig, sich Unterschiede in der Kommunikation bewusst zu machen“, sagt MMS-Student Ankido Soume. Erst dann lasse sich die tatsächliche Bedeutung einer Aussage erarbeiten. Fatal wäre es, vom eigenen Kommunikationsstil auf andere zu schließen. Zurück blieben dann bei den Beteiligten nicht nur Ressentiments gegenüber anderen Nationalitäten, sondern in Wirtschaftsbeziehungen auch ein hoher finanzieller Schaden.

Tipps für das Gelingen interkultureller Kommunikation:

  • „Normal“ ist immer relativ. Oft lohnt sich ein zweiter Blick auf die hinter einer Handlung liegenden Absichten. Denn eigentlich haben alle Menschen die gleichen Wünsche und Probleme, nur der Umgang mit diesen ist unterschiedlich.
  • Interkulturelle Kompetenz ist Selbstkompetenz: Wer die eigenen (negativen) Gedanken und Gefühle reflektieren kann, kann in Konfliktsituationen flexibler und sensibler reagieren.
  • Menschen denken in Stereotypen. Diese verhärten sich dann zu Vorurteilen, wenn man neue Informationen, die den Stereotypen widersprechen, ignoriert.   
  • Was die Deutschen als „ehrliche Art“ schätzen, wirkt auf viele andere respektlos. Mehr Höflichkeit ist deshalb selten verkehrt.
  • Was Deutschen besonders schwer fällt: indirekte Kommunikation. Nicht nur Worte, sondern auch Verhalten transportiert Botschaften. Auf diesem Auge sind die Deutschen ziemlich blind.
  • Hilft eigentlich bei jeder Art der Kommunikation, nicht nur der interkulturellen: vorher das eigene Anliegen klären, sich die Interessen des Gegenübers verdeutlichen und überlegen, wie wichtig es einem ist, die bestehende Beziehungsebene nicht zu schädigen.
  • Man muss nicht alles wissen. Oft hilft es in interkulturellen Situationen, jemanden um Rat zu bitten, der beide Seiten kennt.
  • Wir alle sind Mitglieder unterschiedlichster kultureller Gruppen. Deshalb ist letztendlich jede Kommunikation interkulturell.

 

Sensibilität und Offenheit nötig

„Wir wollen den Studierenden die Sensibilität und Fähigkeit zur Reflektion eröffnen und ihnen auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse konkrete Hilfestellungen vermitteln“, sagt Prof. Dr. Gabriele Thelen, Professorin für interkulturelle Kommunikation. Die Einbindung der WDT-Studierenden fand in diesem Semester zum ersten Mal statt. Damit wurde den Studierenden die Notwendigkeit interkultureller Kompetenzen ganz unmittelbar deutlich. „In der direkten Zusammenarbeit im Unterricht und in den studentischen Teams überprüfen die Studierenden ihre Stereotypen über „die anderen“. Aber noch wichtiger ist für uns: Der Blick durch die kulturelle Brille des Gegenübers ermöglicht es den Studierenden, die eigene kulturelle Prägung zu erkennen und in Frage zu stellen. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten des bewussten und flexiblen Umgangs mit Konfliktsituationen – nicht nur im interkulturellen Kontext“, sagt Dr. Helena Obendiek. Auch die Umstellung auf Englisch als Arbeitssprache macht für die Studierenden Sinn, nicht nur als Vorbereitung auf eine internationale Karriere. Sie ermöglicht auch die Teilnahme von internationalen Gaststudierenden aus anderen Regionen und dadurch die Erweiterung des interkulturellen Spektrums der Lehrveranstaltung über den Vergleich Deutschland-Asien hinaus.  

Aber: Die Beherrschung einer Fremdsprache ist noch lange kein Garant für gegenseitiges Verstehen. Der Mexikaner Marcelo Posada, der für sein MMS-Studium nach Konstanz gekommen ist, betont, dass immer auch die kulturelle Prägung eine Rolle spiele und man sich immer wieder die Frage „Warum denke ich anders?“ stellen müsse. Ein Beispiel aus seiner Heimat: In Mexiko seien Freundschaften unter Arbeitskollegen häufiger und viel enger als in Deutschland. Somit treffe ein Problem am Arbeitsplatz noch viel stärker eine emotionale Ebene. Folglich sei ein anderer Umgangston gefragt als in Deutschland nötig.

Geheimtipp Fernsehserien

Und wie würden sie sich nun vorbereiten, wenn sie in einem Monat zu einer Geschäftsreise aufbrechen könnten? „Ich würde die Erfahrungen meiner Kollegen, die schon vor Ort waren, erfragen, mich in Fachliteratur einlesen und, das wichtigste: offen sein, nichts als gegeben hinnehmen und nicht werten, keine Kultur ist besser als die andere“, sagt Florian Buchfink. Die Indonesierin Kurnia Rachmawati schmunzelt bei der Frage, schließlich ist sie bereits für ihr Studium in Deutschland in einer ihr neuen Kultur angekommen. Ihr Geheimtipp: „Spielfilme und Fernsehserien aus dem jeweiligen Land geben authentische Einblicke dazu, wie man im Alltag miteinander umgeht und miteinander spricht. Und sie sind unterhaltsam.“