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Nachhaltiges Bauen: Ein Haus wie ein Puzzle

18.11.2021

Lokale Materialien, ein paar wenige Personen, eine CNC Holzfräse und einen Transporter – mehr braucht es nicht, um ein WikiHouse zu bauen. Die HTWG forscht daran, den Prototyp zu einem fertigen Baukastensystem für nachhaltiges Bauen weiterzuentwickeln, zum Beispiel während eines Workshops mit Student*innen in den Sommersemesterferien.

Das System WikiHouse stammt aus einer Idee von Designer*innen und Architekt*innen für die Gwangju Design Biennale in Gwangju, Südkorea. Ihr Hauptanliegen: Vorgefertigte CNC-gefräste Bauteile, die die Konstruktion bilden, sollen es Interessierten ermöglichen, das eigene Haus möglichst demokratisch selbst zu entwerfen und zu bauen.

Kurze Transportwege und lokale Produktion: Ein WikiHouse kann überall entstehen

„Das WikiHouse ist ein anpassungsfähiges System. So einfach und logisch aufgebaut wie ein Legobaukasten besteht es aus Bauteilen mit standardisierten Fügungselementen,“ sagt Oliver Fritz, Professor für Digitale Medien und Architekturdarstellung, „alle Teile werden mit Hilfe digitaler Fertigungsprozesse hergestellt und können ohne Kräne von Hand aufgebaut werden.“

Ein weiterer Wunsch der Erfinder*innen war es, den Produktionskreislauf möglichst lokal und die Transportwege kurz zu halten. Lediglich die Daten für die Produktion müssen via Internet transportiert werden.

Die Grundidee für diese Art von Projekt basiert in der Regel auf dem Open Source Gedanken. Mit Hilfe der downloadbaren Produktionsdaten können Anwender*innen alle Teile für die Konstruktion auf einer digital gesteuerten Fräse an jedem beliebigen Standort herstellen und mit einem Transporter zur Aufbaustelle bringen.

Eine Gegenbewegung zu den aktuellen Entwicklungen des Immobilienmarktes

Mit mindestens einer weiteren Person kann die Grundkonstruktion an Ort und Stelle verbaut werden. So soll der Bau von Gebäuden demokratisch und kostengünstiger werden. Damit stellen WikiHouses eine Gegenbewegung zu den aktuellen Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt dar.

Das WikiHouse-System ist ein spannendes Forschungsprojekt für die HTWG: „In einigen Bereichen ist es mehr Prototyp als ein fertiges Baukastensystem. Es bietet also eine gute Grundlage, um zu forschen und interdisziplinär daran zu arbeiten. Offen sind zum Beispiel rechtliche Fragen bezüglich der Urheberschaft und der Haftung. Aber auch die üblichen Faktoren, wie Statik oder Bauphysik, die beim Bauen immer eine wichtige Rolle spielen, müssten vor einer Markteinführung geprüft werden“, sagt Prof. Oliver Fritz.

Studentisches Gemeinschaftsprojekt: Gelerntes in die Praxis umsetzen

„Die Anforderungen ans Bauen bezüglich Ressourceneffizienz und Digitalisierung werden in den kommenden Jahren wachsen. Das System des WikiHouses vereint diese Aspekte intelligent und kombiniert sie mit einem erfrischendem Produktdesign“, ergänzt der Professor.

Das WikiHouse-System biete sich zudem optimal dazu an, Gelerntes in der Praxis umzusetzen und sich als studentisches Gemeinschaftsprojekt zu etablieren. Das Open Innovation Lab (OIL) ist mit seinen computergesteuerten Maschinen (unter anderem einer CNC Fräse) ideal ausgestattet, um verschiedene Systeme, Materialien und Entwürfe dafür zu testen.

Forschung am Objekt: Student*innen bauen ein WikiHouse in einem Workshop des OIL

In den Sommersemesterferien bot das OIL den Kurs „How to build a WikiHouse“ an, in dem die Teilnehmer*innen selbst ein WikiHouse bauten. Die Systeme, die sie im Workshop untersuchten, bestanden aus Rahmen, die den Raum überspannen. Sie wurden über Platten miteinander verbunden und ausgesteift. In die Plattenelemente können Fenster und Türöffnungen integriert werden. Die Rahmenelemente können je nach Nutzen beliebig aneinandergereiht werden.

Do-it-yourself-Werkstätte: Das Open Innovation Lab

Das Open Innovation Lab (OIL) ist ein fakultätsübergreifendes, hochschulweit nutzbares Labor der HTWG Konstanz, das kontinuierlich erweitert wird. Angelehnt an sogenannte „Makerspaces“ und „Fablabs“, öffentlich zugängliche, moderne Do-it-yourself-Werkstätten, stellt es Hochschulangehörigen digitale Werkzeuge zur Verfügung. Mit ihnen können sie kreativ neue Produkte individuell erarbeiten, erproben und produzieren.

Die technische Infrastruktur des OILs besteht aus 3D-Scannern und Druckern, Maschinen zur CNC-Fertigung und Augmented- und Virtual-Reality-Systemen. Es orientiert sich an den sogenannten „Innovationsräumen“, die einige große Unternehmen betreiben, um innovative Produkte schnell über Design-Thinking-Methoden und Prototypen zur Marktreife zu bringen.

Mehr Informationen über das OIL gibt es auf www.htwg-konstanz.de/hochschule/einrichtungen/open-innovation-lab/das-oil

Der Workshop startete mit einer Recherche-Phase, in der sich die Teilnehmer*innen Systeme und Hintergrundwissen aneigneten. Im nächsten Schritt bekamen die Student*innen Einführungen an den verschiedenen Laserschneidern im OIL, um dann Modelle im Maßstab 1:4,5 bestehender Wiki-House-Systeme zu erstellen und ausschnittsweise aus MDF zu bauen. Anhand dieser Modelle konnten sie die Systeme miteinander vergleichen und die Vor- und Nachteile verschiedener Entwürfe gegeneinander abwägen.

Alles aus einer Hand: Vom Modell bis zum fertigen Modul machten die Student*innen alles selbst

Für die letzte Konstruktionsprüfung und um das System im Maßstab 1:1 begutachten zu können, bekamen die Teilnehmer*innen im Workshop eine Einführung in die große Dreiachs-Fräse des OIL. So konnten sie auch diesen Schritt auf dem Weg zum fertigen WikiHouse selbst durchführen.

Nachdem sie die Bauteile im OIL produziert hatten, war das System wie eine Art Puzzle fertig zum Aufbau. Innerhalb einer Stunde konnten sie vor dem Eingang des OIL ein 1,2 Meter breites WikiHouse-Modul zusammenfügen und aufstellen.

WikiHouse meets RE-USE: Integration recycelter Bauteile ins WikiHouse

Während des Workshops und der Überlegungen zur Umsetzbarkeit des WikiHouse auf dem Campus der HTWG, kam der Gedanke einer Kooperation mit dem Pilot Projekt RE-USE auf. Da dieses während der Pandemie ins Stoppen geraten war, bot sich ein Neudenken des Vorhabens in Kombination mit dem WikiHouse-System an.

Gemeinsam mit Dr. Ing. Thomas Stark, Professor für Energieeffizientes Bauen und Dr. Viola John, Projektleiterin des Forschungsprojekts RE-USE besichtigten die Teilnehmer*innen bereits recycelte Bauteile und bauten eines der Fenster aus dem Projekt in das Modul mit ein, um die Machbarkeit zu überprüfen.

Mobiles Heim: Das WikiHouse kann ab- und wiederaufgebaut werden

Das Modul durfte ins P-Gebäude der HTWG umziehen und bekam dort für einige Wochen einen Ausstellungsplatz im Foyer. Dabei konnten die Teilnehmer*innen zum Abschluss des Workshops auch den Ab- und Wiederaufbau erproben, der beinahe reibungslos verlief.

Während des zweiwöchigen Workshops, beschäftigten sich einige der Student*innen zudem mit der Forschung an einer weiteren Möglichkeit, die Einzelteile des WikiHouse zu verbinden. Dabei entstand ein auf Boxen basierendes System, das eine Abweichung von der Rahmentragstruktur der bisherigen WikiHouse-Konstruktionen möglich macht. „Es macht einfach Spaß dieses System weiterzudenken – und wir hoffen mit dem Workshop einen weiteren Schritt in die richtige Richtung gemacht zu haben“, fasst Prof. Oliver Fritz den Workshop zusammen.

Originaltext: Rebecca Müller

Fotos: Moritz Kleiner, Rebecca Müller, Maximilian Scheerle