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Schaden Streaming & Co. der Umwelt? CO2-Rechner für Internetkonsum

05.08.2020

Weniger Fleisch, weniger Flugreisen, mehr Fahrradfahren: Viele bemühen sich darum, ihren CO2-Verbrauch zu reduzieren, um das Fortschreiten der Klimakrise aufzuhalten – und vergessen dabei ihren Internetkonsum. Ein interdisziplinäres Projekt der HTWG Konstanz und der ZHAW Zürich will dem entgegenwirken.

Der Treibhauseffekt erhöht die Durchschnittstemperatur der Erde, der Meeresspiegel steigt, in vielen Gegenden wird es immer trockener. Alle, die sich mit der Klimakrise beschäftigen, wissen: Wir müssen etwas tun! Das geht sowohl im großen als auch im kleinen Stil, zum Beispiel indem wir unseren persönlichen CO2-Verbrauch reduzieren.

Unser Internetkonsum beeinflusst unseren ökologischen Fußabdruck maßgeblich

Viele essen aus diesem Grund weniger Fleisch, fahren mehr Strecken mit dem Fahrrad als mit dem Auto oder versuchen, auf Flugreisen zu verzichten. CO2-Rechner im Internet helfen uns dabei, abzuschätzen, um wie viel wir unseren Verbrauch reduzieren sollten. Auf der Grundlage von Angaben zu unserem Fleischkonsum, unseren Fortbewegungsmitteln oder unserem Stromverbrauch berechnen sie unseren individuellen ökologischen Fußabdruck.

Aber was ist eigentlich mit unserem Internetkonsum? Auch die Herstellung der Geräte, mit denen wir im Internet unterwegs sind und die Daten, die wir mit ihnen verbrauchen, verursachen CO2. Die meisten Fußabdruckrechner vernachlässigen das aber. Ein interdisziplinäres Projekt der HTWG Konstanz und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW) will das Thema nun näher untersuchen.

Der Datenverbrauch von YouTube verursacht so viel CO2 wie ganz Luxemburg

Sonja Meyer, Informatik-Professorin an der HTWG, möchte gemeinsam mit Forschern der ZHAW und Studierenden einen Rechner entwickeln, der messen kann, wie viel CO2 wir tatsächlich durch unseren individuellen Internetkonsum produzieren. Denn der schlägt zu Buche: Eine Studie der Universität Bristol hat zum Beispiel ergeben, dass allein der globale Datenverkehr von YouTube jährlich mit 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten in etwa genauso viel CO2 verursacht wie das Land Luxemburg.  

„Als Professorin für Informatik gehören Themen der Umweltwissenschaften eigentlich weniger zu meinem Fachgebiet. In letzter Zeit ist aber ein nachhaltiger Lebensstil für unsere Studierenden zunehmend wichtig geworden und dies schließt natürlich auch Erkenntnisse über den eigenen Fachbereich Informatik mit ein“, sagt Sonja Meyer. Viele würden sich zum Beispiel vegan ernähren und sich Sorgen um die ökologischen Auswirkungen ihres Lebensstils machen.

Der Rechner soll den tatsächlichen CO2-Verbrauch durch Internetkonsum messen

Die Professorin überlegte sich deshalb, wie sie das Thema in der Informatik aufgreifen kann und kam auf die Idee den CO2-Rechner für Onlinezeiten zu entwickeln. Von ihren Kolleg*innen an der ZHAW kommt Unterstützung für den umweltwissenschaftlichen Bereich des Projekts. „Die Wissenschaftler der Hochschule können Ökobilanzen für fast alles auf der Welt entwickeln, haben aber auch schon Erfahrung mit der Bilanzierung von Produkten, die über das Internet kommunizieren, wie beispielsweise intelligente Entsorgungssysteme“, sagt sie.

Gemeinsam mit Studierenden wollen die Hochschulen nun einen Rechner entwickeln, der das Gleiche für die Internetnutzung macht. Die Internationale Bodensee-Hochschule (IBH) fördert das Projekt mit 120.000 Euro. Im Gegensatz zu herkömmlichen CO2-Rechnern werden die zukünftigen Nutzer*innen des Onlinezeiten-Rechners ihren Verbrauch aber nicht selbst schätzen und eingeben. Bei der Anwendung, die entstehen soll, handelt es sich um einen Tracker, der den tatsächlichen Verbrauch der Nutzer*innen misst.

Geräte wie Smartphones, PCs und Tablets werden viel zu kurz genutzt

„Ich lade mir dann einfach eine App herunter und registriere mich. Die Anwendung läuft im Hintergrund auf meinem Smartphone und zeichnet auf, wie viele Daten ich bei der Nutzung anderer Anwendungen verbrauche“, erklärt Sonja Meyer.

Auf diese Art und Weise soll das Projekt Nutzer*innen nicht nur für den CO2-Verbrauch ihres Internetkonsums sensibilisieren, indem es sie darüber informiert. Es soll auch erheben, was den Hauptverbrauch ausmacht. „Wir gehen davon aus, dass Geräte wie Smartphones, PCs oder Tablets viel zu kurz genutzt werden“, sagt Sonja Meyer.

Die Herstellung der Geräte produziert am meisten CO2

Im Verhältnis zu dem hohen CO2-Verbrauch, den zum Beispiel die Herstellung einer Smartwatch verursacht, so die Annahme der Wissenschaftler*innen, ist ihr jährlicher Verbrauch durch Datennutzung relativ gering. Würden wir unsere Geräte länger nutzen, würde unser individueller jährlicher Gesamtverbrauch an CO2 durch die Internetnutzung also sinken, so die Vermutung.

Die Anwendung der Projektteilnehmer*innen wird den Gesamt-CO2-Verbrauch der Geräte in seine Einzelteile zerlegen und feststellen, welches am meisten verursacht. In einem ersten Schritt entwickeln Informatik-Studierende der HTWG innerhalb ihrer Teamprojekte ein Rechenmodell für die Basissoftware des CO2-Rechners.

Teamprojekte: Wissen praktisch anwenden

Das sogenannte Teamprojekt, eine Projektarbeit, ist ein Baustein der praxisnahen Ausbildung an der HTWG Konstanz. Sie ermöglicht es den Studierenden, ihr gelerntes Wissen anzuwenden. In Kleingruppen erarbeiten sie eine komplexe praktische Aufgabenstellung. Dabei arbeiten sie selbständig mit ihren Kommilitonen*innen zusammen. Ein*e Betreuer*in steht ihnen beratend zur Seite. Zum Abschluss präsentieren sie ihre Ergebnisse. Ziel des Teamprojekts ist es, dass sich Studierende im Team erfolgreich mit einer fachlichen Fragestellung auseinandersetzen und eine praktische Lösung erarbeiten.

Mehr Informationen gibt es auf
www.htwg-konstanz.de/master/informatik/studium/teamprojekt oder
www.htwg-konstanz.de/bachelor/angewandte-informatik/studium/studierende/teamprojekt

Basis für die Berechnung des CO2-Bedarfs: Die Entfernung zwischen Standort und Zieladresse

Die Basissoftware ist eine VPN-Anwendung, mit der sich Nutzer*innen später auf allen ihren Geräten anmelden können. Sie verfolgt und speichert erst einmal nur, wie viele Daten sie an welche Zieladressen schicken und wie viele Daten sie woher empfangen. So wird sie den kompletten Datenverbrauch der Nutzer*innen verfolgen können.

Das Modell für die Berechnung des CO2-Bedarfs des Datenverkehrs basiert auf der Entfernung der Zieladresse vom Standort der Nutzer*innen. „Jede Adresse im Internet hat eine IP, anhand derer wir identifizieren können, wo sie liegt, also zum Beispiel in den USA an einem bestimmten Ort“, erklärt Sonja Meyer.

Auf Grundlage der Entfernung zwischen der Zieladresse und der Adresse der Nutzer*innen können die Wissenschaftler*innen den CO2-Bedarf für eine bestimmte Menge an Internetverkehr schätzen. Hier gibt es bereits erste wissenschaftliche Erkenntnisse, die angewandt und erweitert werden können. Die ZHAW forscht an CO2-Rechnern und hat Erfahrung mit Modellen zur Berechnung von CO2-Äquivalenten auf persönlicher Basis. So können die Erkenntnisse später in Relation zu anderen Lebensbereichen gestellt werden.

Das Projekt bringt Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen

Das Projekt bringt Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen grenzüberschreitend zusammen, die unterschiedliche Fachsprachen sprechen. „Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit lernen sie, sich mit Experten anderer Fachrichtungen auszutauschen und im Team ein gemeinsames Ziel zu verfolgen“, sagt Sonja Meyer.

 

Titelbild: Der CO2-Rechner des Forschungsteams rund um Prof. Sonja Meyer soll den tatsächlichen Verbrauch an CO2 des individuellen Internetkonsums von Nutzern tracken. (Fotos: Marianne Krohn / Unsplash, Hugo Jehanne / Unsplash)