Zurück zur Übersicht

Technik für die Tierforschung

02.02.2022

Kooperation von Biologie mit Elektro- und Informationstechnik: Studenten der HTWG unterstützen das Max-Planck-Institut dabei, Tierverhalten besser zu verstehen.

Die Verbindung von Biologie sowie Elektrotechnik und Informationstechnik drängt sich nicht direkt auf. Moritz Koschorke aber hat genau nach dieser Verbindung gesucht. „Mich hat es gereizt, etwas für die Natur zu machen, etwas, das nicht nur technisch ist“, sagt der Bachelor-Student. Als er zufällig von einem Freund erfahren hatte, dass Biolog*innen der Universität Konstanz die Unterstützung von Ingenieur*innen brauchen können, wurde er neugierig. Er signalisierte per E-Mail sein Interesse. Heute steckt er in der Abschlussphase seiner Bachelor-Arbeit für das Elektrotechnik- und Informationstechnik-Studium. Er entwickelt für das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPI) einen batteriegetriebenen Wildtier-Sender mit einem integrierten Mikrofon, damit die Biolog*innen künftig auch anhand der Laute von Tieren deren Verhalten analysieren können.

 

Sein Kommilitone Arne Schäfer absolviert derzeit sein Praxissemester am MPI. Er war über einen privaten Kontakt zu Institutsdirektor Prof. Dr. Martin Wikelski auf die Möglichkeit aufmerksam geworden. „Die meisten verbringen ihr Praxissemester in einem Unternehmen. Mich hatte die Neugier gepackt zu sehen, wie so ein Forschungsinstitut arbeitet“, sagt Schäfer, der bereits vor seinem Studium in der Industrie gearbeitet hat.

„Fahrtenschreiber“ für Tiere mit modernster Elektronik

Die Wissenschaftler*innen des MPI erforschen, wie sich Tiere untereinander abstimmen. Sie sind in diesem Bereich weltweit führend. Ziel ist es, ein quantitatives und vorhersagendes Verständnis der Entscheidungsfindungen und Bewegungen von Tieren in ihrer natürlichen Umwelt zu entwickeln. Dabei verfolgen die Forscher*innen einen fachübergreifenden Ansatz und integrieren physiologische, neuronale, ökologische und evolutionäre Blickwinkel, Fragestellungen und Methoden in ihre Forschung. Das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie ist 2019 aus dem MPI für Ornithologie am Standort Radolfzell hervorgegangen.
Für seine Forschung setzt das MPI „Fahrtenschreiber“ für Tiere ein, die mit modernster Elektronik ausgestattet sind. Diese Sender sollen so intelligent sein, dass sie die Aktivität und das Verhalten der Tiere automatisch interpretieren und somit auch den Gesundheitszustand oder Stress für Tiere erkennen. Darüber hinaus verfügen die Sender über neueste Kommunikationstechnik wie IoT-Protokolle (Internet der Dinge) und/oder Satelliten-Verbindungen. Und nicht zuletzt sollten die Sender so klein und leicht wie möglich sein, damit die Tiere sie im besten Fall kaum wahrnehmen.

Herausforderung: Sender müssen leicht und klein sein

In der begrenzten Größe liegt eine der Hauptherausforderungen für Moritz Koschorke. Er entwickelt ein Modul, das die Sender ergänzen wird. Eine flache Erweiterungsplatine mit einer Größe von 1,5 auf 2 Zentimeter soll für die Aufnahme und Speicherung von Geräuschen auf bestehende Sender „aufgesetzt“ werden können. Sie muss also ebenso leicht und klein sein, aber möglichst viele Daten speichern können. Die Funktion muss je nach Fragestellung zusammengestellt und programmiert werden.

Die Aufgabe für seine Bachelorarbeit hat Moritz Koschorke mit seinen Betreuern Prof. Dr. Burkhard Lehner von der HTWG und Timm Wild vom MPI definiert. Wild entwickelt am MPI Prototypen von Wildtier-Sendern mit verschiedenen Sensoren. Er hat die Hardware und Grundstruktur der Software erarbeitet, auf der aufbauend Moritz Koschorke das Aufnahmemodul programmiert. Prof. Burkhard Lehner, Leiter des Studiengangs Elektrotechnik und Informationstechnik, begrüßt die Initiative der Studenten. „Das zeigt beispielhaft die vielfältigen Möglichkeiten, die ein Studium der Elektrotechnik und Informationstechnik eröffnet. Die Arbeit für das Max-Planck-Institut fördert nicht nur die Kompetenz zur interdisziplinären Zusammenarbeit, sondern eröffnet auch interessante Einblicke in ein international tätiges Forschungsinstitut.“

„Am Ende muss es funktionieren“

Coronabedingt trifft sich Moritz Koschorke mit seinem Betreuer regelmäßig online zum Austausch. Immerhin erlaubten es die niedrigen Infektionszahlen zu Beginn der Arbeit, dass Timm Wild ihm in einer Führung vor Ort in Möggingen Einblicke in die Räumlichkeiten, die hervorragende Ausstattung und die Projekte des MPI geben konnte. „Ich habe mich sehr über die Kontaktaufnahme von Moritz Koschorke gefreut“, erinnert sich Timm Wild. Er selbst promoviert an der ETH Zürich am Department of Mechanical and Process Engineering und schätzt die Zusammenarbeit mit Studierenden und Absolvent*innen von Hochschulen für angewandte Wissenschaften. „Die Interdisziplinarität und die starke Praxisorientierung sind sehr ertragreich“, hat der Forscher beobachtet, schließlich stehe über der Arbeit das Ziel: „Am Ende muss es funktionieren“.

Sender für Löwen, Zebras, Giraffen

Der Informatiker ist für die Prototypen-Entwicklung der Tiersender verantwortlich. Bevor er ans MPI wechselte, hatte er in der Automobilindustrie an eingebetteten elektronischen Systemen gearbeitet. Am MPI war er bereits an der Entwicklung eines Ohren-Senders für große Säugetiere in Afrika beteiligt, z. B. an Nashörnern, Löwen, Zebras, Giraffen oder Büffeln in Kenia, Namibia und Südafrika. Mit Hilfe der Tierwanderungen und der Umweltdaten ließen sich zum Beispiel die Übertragung von Krankheiten oder Wetterdaten analysieren.

Jeden Tag neue Herausforderungen

Auch sein Kollege Bernd Vorneweg schätzt die Zusammenarbeit mit der HTWG. Der Elektrotechnik-Ingenieur hat vor dem Wechsel ans MPI bei Siemens in Konstanz gearbeitet und schon dort mit Werkstudenten zusammengearbeitet. Nun betreut er Arne Schäfer. Aus den Feldversuchen ergeben sich für die Ingenieur-Studenten am MPI ganz andere Aufgaben als sie sich in der Industrie stellen würden. „Man sucht eigentlich jeden Tag nach neuen Lösungen“, erzählt Arne Schäfer, der vor Ort in der Werkstatt plant und seine Entwicklungen direkt umsetzt.

Im Praxissemester konnte Arne Schäfer die Wissenschaftler*innen nicht nur bei allgemeinen Laborarbeiten unterstützen, sondern zum Beispiel auch Adapterplatinen entwickeln, ein Gehäuse zur Aufnahme von Tiersender-Elektroniken in ein (Hunde-)Halsband konstruieren und mit dem 3D-Drucker produzieren und testen und ein Konzept für die Entwicklung von Vogelringen mit integrierter Elektronik erstellen.

Wegen des beschränkten Speicher- und Batterievolumens muss das Programm Daten „klug aufzeichnen“. Eine denkbare Weiterentwicklung wäre zum Beispiel eine „Sensorfusion“, nämlich die Erweiterung, dass Geräusche nur ab einer bestimmten Amplitude gespeichert werden oder dass nur Geräusche aufgenommen werden, die das Tier von sich gegeben hat, während es sich bewegt hat. Die Forscher arbeiten zudem daran, wie die gespeicherten Daten übertragen werden. Dies sei zum Beispiel möglich, indem die Sender Daten an Stationen „abgeben“, an denen die Tiere vorbeikommen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit motiviert

Letztlich bleibt die Arbeit der Elektrotechniker auch am MPI natürlich sehr technisch. Doch Arne Schäfer schätzt den Kontakt zu den Biolog*innen, die in internen Vorträgen ihre Arbeit mit „Tieren von der ganzen Welt“ vorstellen. „Und zu wissen, dass die Arbeit den Sinn hat, das Leben von Tieren zu erforschen und dass ich einen Beitrag dazu leisten kann, motiviert sehr“, sagt Moritz Koschorke.
Übrigens: Das MPI hat noch viele weitere Aufgabenstellungen – auch für Ingenieur*innen. Interessierte können sich an Timm Wild wenden. „Das wird hoffentlich nicht die letzte Zusammenarbeit mit der HTWG gewesen sein“, sagt er. Das stellt Prof. Dr. Burkhard Lehner in Aussicht. Er kündigt an, dass die Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik den Kontakt zum MPI ausbauen möchte.

Einsatz an Erdmännchen in Namibia?

Der Akustik-Sender, den der HTWG-Student Moritz Koschorke derzeit programmiert, könnte Ende des Jahres zum Einsatz kommen, zum Beispiel für die Erforschung des Sozialverhaltens von Erdmännchen in Namibia, blickt Timm Wild voraus. Davor wird das Programm eingehend getestet und die Konstruktion daraufhin überprüft, ob sie die Tiere beeinträchtigt. Unter anderem müssen auch ethische Fragestellungen beantwortet werden.