Upgrade für Wissbegierige
16.07.2021
Das kooperative Promotionskolleg an der HTWG besteht seit zehn Jahren. Es hat bereits 20 Doktorand*innen auf dem Weg zum Doktortitel begleitet. Was hat sie motiviert – und wie ging es nach der Promotion weiter?
Eine Promotion ist ein Kraftakt - ein Lebensabschnitt, der von Höhenflügen und Durchhängern begleitet wird. Unterstützung bei den fachlichen und persönlichen Herausforderungen leistet das kooperative Promotionskolleg der HTWG. Vor zehn Jahren wurde es auf Initiative von Prof. Dr. Josef Wieland gegründet. Es wurde eine Erfolgsgeschichte: Arbeiteten 2011 noch zehn Absolvent*innen der HTWG an ihrer Doktorarbeit, sind es heute rund 50. Insgesamt 48 Nachwuchswissenschaftler*innen haben in der Dekade den Doktor-Titel erlangt, darunter Absolvent*innen von Hochschulen für angewandte Wissenschaften wie auch von Universitäten.
Kooperative Promotion - was ist das?
Die HTWG hat als Hochschule für angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg kein Promotionsrecht. In Zusammenarbeit mit einer Universität können Professor*innen der HTWG jedoch Doktorand*innen betreuen. Die gemeinsame Betreuung und Begutachtung durch eine*n Professor*in einer Hochschule und ein*e Professor*in einer Universität wird kooperative Promotion genannt. Solche kooperativen Promotionen bieten sich insbesondere bei anwendungsorientierten Fragestellungen und Forschungsthemen an. Eine enge Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen wissenschaftlichen Institutionen und Unternehmen, nicht zuletzt aus dem Mittelstand, zeichnet die Forschung an der HTWG aus.
Blick über den Tellerrand
Das Promotionskolleg macht den Nachwuchswissenschaftler*innen das Angebot, sich über Fachgrenzen hinweg auszutauschen, über das wissenschaftliche Arbeiten im Allgemeinen und an der HTWG im Besonderen. Außerdem bietet es fachübergreifende Weiterbildungen, zum Beispiel zu methodologischen Fragen. Er habe für besonders begabte Student*innen ein Angebot an der HTWG schaffen wollen, um sie an der Hochschule halten und um damit die Attraktivität der HTWG zu steigern, erinnert sich Prof. Dr. Josef Wieland. So hat er den Doktorand*innen den Blick über die eigene Disziplin hinaus ermöglicht, indem er beispielsweise zu Vorlesungen zur Geschichte der Sozialtheorien oder der Naturwissenschaften einlud. „Eine Promotion ist immer auch Persönlichkeitsbildung“, betonte Wieland bei einer Feierstunde anlässlich des runden Geburtstages. Gleichzeitig hat das Promotionskolleg sukzessive ein Netzwerk aufgebaut – zu hochschulinternen Services, aber auch zu den kooperierenden Universitäten. Ziel war schließlich immer auch, eine hohe Qualität der Forschungsarbeit zu sichern.
Dass diese Ziele erreicht worden sind, bestätigen Absolvent*innen des Promotionskollegs. Anna-Maria Nuñez Vega zum Beispiel. Sie hat im Fachbereich Verfahrenstechnik der HTWG in Kooperation mit der Universität Kassel über Trocknungsverfahren von Nahrungsmitteln promoviert. Dass sie einmal den Doktortitel tragen würde, hätte sie zu Beginn ihres Studiums nicht erwartet. Sie hatte sich sogar nach der Schule gegen ein Physikstudium entschieden, da ihr Berufsberater vorausgesagt hatten, dass sie dann nur mit einer Promotion Berufschancen haben würde. Aber ihre Wissbegierde und die Suche nach Erklärungen habe sie schließlich durch die akademische Laufbahn immer weitergetrieben. Zunächst studierte sie Physikalische Technik an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, dann den Master Umwelt-und Verfahrenstechnik, der gemeinsam mit der HTWG angeboten wird. Hier lernte sie eine Doktorandin ihres späteren Betreuers Prof. Dr. Werner Hofacker kennen, die sie neugierig machte. Als Prof. Hofacker sie zu ihrem Masterabschluss während der Wirtschaftskrise 2009 fragte, ob sie die Arbeit der Doktorandin mit ihrer eigenen Promotion fortführen möchte, war der Weg zur Promotion frei – und sie sagte zu. Neben der fachlichen Betreuung durch Prof. Hofacker und die Universität Kassel schätzte sie die Kontakte im Promotionskolleg: „Der Blick über den Tellerrand im Promotionskolleg war sehr lehrreich. Und der Austausch mit anderen Doktoranden sehr wichtig, gerade da ich zu Beginn meiner Arbeit die einzige Doktorandin im Fachbereich Verfahrenstechnik war.“
Hat sich die Arbeit gelohnt?
„Ich hatte eine super Zeit“, erinnert sich Anna-Maria Nuñez Vega an ihre Promotion. Und auch der Wechsel in die Wirtschaft war erfolgreich. Sie trat ihre erste Stelle am deutschen Standort des Schweizer Unternehmens Bühler an und arbeitete zunächst im Bereich Lebensmitteltrocknung und -qualität. Später wechselte sie nach Asien, wo sie im Auftrag des Unternehmens vor allem in Indien und Thailand im Bereich Getreidetrocknung und –lagerung, sowie Reisverarbeitung arbeitete. Inzwischen hat sie das Unternehmen gewechselt und arbeitet als Chief Technical Officer für die Firma Grain Technik, einen Hersteller von Getreidekühlern, in Indien. Sie freut sich außerdem darauf, nach der Corona-Pandemie nebenher wieder als Techno-DJane in indischen Clubs aufzutreten. Ihr Rat an Studierende und Promovierende: „Immer mit offenen Augen durchs Leben gehen! Man bereut nicht, was man getan hat, sondern was man nicht getan hat.“
Von der Uni zur Promotion an die HTWG
Mit offenen Augen ging auch Lisa Ranisch durch ihr bisheriges Leben. „Die Promotion hat mich auf einen Berufsweg geführt, den ich mir davor nicht hätte vorstellen können“, sagt sie. Nämlich: Heute lehrt und forscht sie als Professorin für nachhaltige Unternehmensführung und angewandte Ethik an der Hochschule Amberg-Weiden. Vorausgegangen waren ein Bachelor-Studium in Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz sowie ein Master-Studium „Angewandte Ethik“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Durch „einen segensreichen Zufall“ sei sie auf eine Stellenausschreibung an der HTWG aufmerksam geworden – und damit auf die Möglichkeit, hier zu promovieren. Von 2013 bis 2016 arbeitete sie in verschiedenen Projekten von Prof. Dr. Stephan Grüninger am Konstanz Institut für Corporate Governance und forschte dazu, wie Unternehmen integer handeln können und welche Managementsysteme hierfür notwendig sind. Prof. Dr. Josef Wieland betreute sie als Doktorandin, der zwischenzeitlich den Lehrstuhl für Institutional Economics an der Zeppelin Universität Friedrichshafen übernommen hatte.
Im Rückblick schätzt sie insbesondere den praktischen Bezug ihrer Promotion und ermutigt Student*innen und Doktorand*innen: „Schaut nicht nur auf Publikationen, sondern auch auf die Veröffentlichung praxisnaher Artikel.“ Sie lohnten sich, auch wenn sie nicht direkt für die Promotion nützlich seien, so ihre Beobachtung. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass sie durch diese Veröffentlichungen für Praktiker*innen sichtbar geworden sei, was ihr den Einstieg bei einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erleichtert habe. Zwei Jahre war sie dort als Beraterin im Bereich Governance, Risk und Compliance tätig, während derer sie Unternehmen zur Verankerung von Integrity- und Compliance-Maßnahmen und werteorientierten Managementsystemen beriet.
2019 erhielt sie einen Ruf auf die Professur für Nachhaltige Unternehmensführung und Angewandte Ethik an der Fakultät Betriebswirtschaft der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Amberg-Weiden. Dort ist sie Studiengangleiterin für das Masterprogramm "International Management & Sustainability". Sie hat die wissenschaftliche Leitung des Instituts für Nachhaltigkeit in Technik und Wirtschaft inne – und kann nun selbst Nachwuchswissenschaftler*innen auf ihrem Weg zur Promotion begleiten.
Gratulation zum Geburtstag
„Du bist dann erfolgreich gewesen, wenn Dinge, die du angestoßen hast, noch funktionieren, wenn du weg bist“ – mit diesen Worten dankte Prof. Dr. Hanno Langweg, wissenschaftlicher Direktor des kooperativen Promotionskollegs, seinem Vorgänger Prof. Dr. Josef Wieland. Sechs Jahre nach der Gründung des kooperativen Promotionskollegs hatte dieser sein Amt übergeben. Seitdem ist Prof. Dr. Hanno Langweg im Amt.
Langweg hat seit Antritt seines Amtes einige Weiterentwicklungsschritte des Kollegs unternommen. So hat er beispielsweise das Modell SPQR – „Spending Quality Time with Early Stage Researchers“ entworfen, um betreuenden Professorinnen und Professoren mehr Zeit zur Betreuung zu schaffen, aber auch ein Forum zum Austausch zwischen erfahrenen und weniger erfahrenen betreuenden Professor*innen. Des Weiteren wurde die Satzung erweitert, um die Möglichkeit einer vorläufigen Mitgliedschaft sowie um eine Vertretung der Mitglieder in der wissenschaftlichen Kommission. Das Promotionskolleg, das 2011 mit einem Fokus auf wirtschaftswissenschaftliche Themen gestartet war, bietet mittlerweile neben überfachlichen Qualifizierungsseminaren auch Formate in den ingenieurswissenschaftlichen Fachgebieten an, die die Wünsche und Bedarfe der Kollegiat*innen aufgreift. Prof. Langweg wurde im März dieses Jahres für vier weitere Jahre in seinem Amt bestätigt.
Er und Kollegsreferentin Géraldine Kortmann hatten trotz Einschränkungen der Corona-Pandemie dafür gesorgt, dass der wissenschaftliche Austausch unter den Doktorand*innen nicht zum Erliegen gekommen ist. Dazu trug unter anderem eine feste Veranstaltung im Jahreslauf bei: das Sommerkolloquium. Es bietet den Doktorand*innen Raum für Präsentationen und Diskussionen ihrer Forschungsinhalte vor einem fachfremden Publikum, aber auch für prozessuale Fragen rund um die kooperative Promotion sowie über Rahmenbedingungen und Weiterqualifikation während der Promotion. In diesem Jahr bot es zudem den Rahmen für die Geburtstagsfeier des Kollegs.
Promovieren an der HTWG
Doktorand*innen sowohl mit HAW- als auch mit Universitätsabschluss können in einer kooperativen Promotion an der HTWG betreut werden. Derzeit zählt das kooperative Promotionskolleg 36 laufende Promotionen, die HTWG insgesamt etwa 50. Im Jahr 2020 haben 5 Doktorand*innen ihre an der HTWG angefertigte Promotion abgeschlossen. Seit der Gründung des kooperativen Promotionskollegs haben 48 den Doktortitel erlangt. Damit zählt die HTWG zu den aktivsten Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg in Sachen Promotion.
Wie in den meisten Bundesländern haben auch in Baden-Württemberg Hochschulen für Angewandte Wissenschaften kein Promotionsrecht inne, können aber an einer promotionsberechtigten Hochschule gleichberechtigte Gutachterinnen und Gutachter stellen. Die gemeinsame Betreuung und Begutachtung durch eine*n Professor*in einer Hochschule und ein*e Professor*in einer Universität wird kooperative Promotion genannt.
Der*die jeweilige Kooperationspartner*in hängt vom Promotionsthema ab. Auch Universitäten im europäischen Ausland sind unter den Kooperationspartnern, so zum Beispiel in Newcastle und Paris I (Sorbonne-Panthéon).
Der dritte Zyklus der akademischen Laufbahn kann sich direkt an das Masterstudium anschließen. Eine Promotion ist aber auch noch später möglich – zum Beispiel über eine Projektstelle an der Hochschule oder während der Berufstätigkeit in einem Unternehmen. Einige der Doktorand*innen erarbeiten ihre Promotion berufsbegleitend.
Die HTWG ist Mitglied des Council for Doctoral Education der European University Association. Damit verstärkt sie den internationalen Austausch zu Qualifizierung, Qualitätssicherung und den Rahmenbedingungen für Doktorand*innen.
Weitere Informationen auf den Seiten des kooperativen Promotionskollegs der HTWG.