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Startschuss für Rennsaison mit Elektro-Antrieb

08.07.2021

Mobilitätswende an der HTWG: Das Bodensee Racing Team und das eLaketric Team gehen mit Elektroantrieb an den Start. Rennwagen und Rennmotorrad stellen sich nun dem Wettbewerb mit anderen Hochschulen. Auftakt ist am zweiten Juli-Wochenende.

Der Name bleibt gleich. Nach wie vor heißt der Rennwagen des Bodensee Racing Teams „Iltis“. Und doch unterscheidet sich der Iltis2021 ganz erheblich von seinen 14 Vorgängern. Er ist der erste mit Elektroantrieb. Von 2005 bis 2019 hat das BRT jährlich einen Rennwagen mit Verbrennermotor gebaut. Ausgerechnet in der Umstiegsphase wurde das Team von der Pandemie ausgebremst. Die mehr als 50 Teammitglieder bewiesen schnell Anpassungsfähigkeit: „Wir haben uns einfach neu organisiert“, sagt Alexander Preuß, der im 6. Semester Elektrotechnik und Informationstechnik studiert und seit zwei Jahren als Technik-Leiter beim BRT wirkt. Wie so viele Unternehmen hat auch die Werkstatt des BRT einen Digitalisierungsschub erfahren. Ein Schlag? Nicht nur: „So konnten auch Teammitglieder mitmachen, ohne in Konstanz zu sein“, sagt Alexander Preuß. Er weiß, wovon er spricht: Er hat selbst während seines Praxissemesters in Brüssel das BRT geleitet.

Beeindruckende Beschleunigung der Amperia 

Nicht anders erging es den Mitgliedern des eLaketric-Teams. Für sie war der plötzliche Stopp im Frühjahr 2020 noch etwas tragischer. Der Wettbewerb, an dem sie mit ihrem Rennmotorrad „Amperia“ teilnehmen, findet nur alle zwei Jahre statt. Teammitglieder, für die das Event im spanischen Aragon ein schöner Studienabschluss gewesen wäre, mussten darauf verzichten. Der Wettbewerb 2020 fiel Corona zum Opfer und wurde auf dieses Jahr verschoben. Doch die Vorbereitung auf 2021 spornte die verbliebenen Mitglieder und zahlreiche neue Mitglieder umso mehr an. 

„Die ersten Fahrten waren sehr vielversprechend“, sagt Valerio Müller, Teamleiter von eLaketric, der im 6 Semester Automobilinformationstechnik studiert. „Insbesondere die Beschleunigung ist beeindruckend. Schon bei der ersten Testfahrt hatte das Begleitfahrzeug mit über 200 PS keine Chance“, berichtet Prof. Dr. Florian Lang, Mentor des Teams, schmunzelnd. Besonders freut den Professor für Sensorik, dass dank umfangreicher Messtechnik an Bord das Verhalten des rund 130 Kilogramm schweren Motorrads präzise erfasst wird. Dies ermöglicht gesamtheitliche datengestützte Optimierungen. Daneben stechen die verbesserte Batterieelektronik und der neue mechanische Antriebsstrang hervor.

Maschine ist auf Fahrerin abgestimmt 

Maschinenbaustudentin Hannah Schienle wird die Amperia 21 fahren. Nicht nur das Fehlen von Motorgeräuschen unterscheide sich von den Maschinen, die sie bisher gefahren hat: „Es ist ein anderes Fahrgefühl nicht schalten zu müssen und in einem Rennen auf jeden Fall weniger Arbeit“, sagt sie nach den ersten Testfahrten auf dem Flugfeld Mengen. Das Team hat die Ergonomie und das Fahrwerk auf die Fahrerin abgestimmt. Andere Teams kaufen sich semiprofessionelle Rennfahrer ein. „Ich freue mich sehr, dass wir mit Hannah Schienle intern eine erfahrene Fahrerin haben, so dass Maschine und Fahrerin zusammenwachsen können“, sagt Prof. Dr. Florian Lang.

 

#WeAreHTWG: Motorradfahrerin Hannah Schienle

Maschinenbaustudentin Hannah Schienle wird die Amperia 21 auf der Rennstrecke in Aragon fahren. Seit ihrer Kindheit ist sie Motorrädern leidenschaftlich verbunden. Schon zum sechsten Geburtstag schenkte ihr ihr Vater, der eine Motorradwerkstatt betreibt, die erste Maschine. 
Die Begeisterung für die Motorräder und die Arbeit in der Werkstatt ließ den Wunsch nach dem Maschinenbaustudium wachsen. Am Berufsinformationszentrum betrachtete man den Wunsch jedoch als Irrweg. Also machte sie ihre zweite Wahl zur ersten und begann ein Mediendesign-Studium an der Dualen Hochschule. Ganz verleugnen wollte sie ihre wahre Leidenschaft jedoch nicht: In ihrer Bachelorarbeit entwarf sie ein Motorradmagazin für Frauen. 

Zwei Jahre arbeitete sie als Mediendesignerin und eröffnete nebenher noch einen Shop für Sportbekleidung. Vor zwei Jahren verwirklichte Hannah Schienle ihren Traum und nahm das Maschinenbaustudium auf. Heute studiert die 28-Jährige im 4. Semester Maschinenbau Entwicklung und Konstruktion an der HTWG. Zu ihrer Freude entdeckte sie gleich an ihrem ersten Tag bei der Tischmesse für die Erstsemester den Infostand des eLaketric Teams.


Alle Komponenten in ein perfekt funktionierendes Zusammenspiel zu bringen, ist das Ziel von eLaketric. „Anforderungen legen wir ambitioniert fest und optimieren unser Konzept durch wissenschaftliche Verfahren. Unser Anspruch ist, Impulse für innovative technische Entwicklungen zu geben“, schreibt das Team auf seiner Website und bietet Themen für Projekt- und Abschlussarbeiten an.

„Wir erhoffen uns ein sehr gutes Ergebnis“, sagt Organisationsleiter Julien Frey vorausblickend. Der BWL-Absolvent studiert nun im Master Business Information Technology und freut sich, dass er sein Wissen aus dem Studium nicht nur im Teammanagement einbringen konnte. Auch bei der Erstellung des Business-Plans, einer bewerteten Disziplin im Wettbewerb, war sein Knowhow gefragt. „Es ist ein Gewinn, dass wir aus verschiedenen Studiengängen verschiedene Charaktere im Team haben. Insbesondere während des Lockdowns tat es gut, so fakultätsübergreifend Kontakte zu anderen Studierenden haben zu können“, sagt er. Und seine Teamkollegin Annabell Gehl korrigiert: „Nicht nur fakultäts-, sondern hochschulübergreifend!“ Die Masterandin studiert Psychologie an der Universität Konstanz. Nicht nur, da sie selbst Motorrad fährt, hat sie die Distanz vom Gießberg zum Seerhein schnell überwunden: „Es ist einfach superspannend, hier mit ganz anderen Leuten zusammenzuarbeiten“, erläutert sie mit Verweis auf den theoretischen Schwerpunkt in ihrem Studium und die Anwendungsorientierung an der HTWG. Annabell Gehl hat die Social-Media-Aktivitäten des Teams übernommen.

Das eLaketric Team und MotoStudent

Studentische Ingenieurteams von Hochschulen und Universitäten aus aller Welt treten unter dem Motto #TheRaceofEngineers an und messen sich in Konzeption, Konstruktion und Fertigung eines Motorradprototyps. Motostudent organisiert den Wettbewerb in zwei Klassen, einer elektrischen (seit 2015), in der das HTWG-Team antritt, und eine für Verbrennungsmotoren (seit 2009). 
Das eLaketric Team ist das einzige Team einer deutschen Hochschule in der Elektroklasse und nimmt seit 2015 teil. Die internationale Konkurrenz kommt vor allem aus Spanien und Italien, aber auch aus Lissabon, Prag, Breslau und Split.

Waren 2019 noch Maschinen mit Verbrennungsmotor in der Überzahl hat sich das Verhältnis 2021 umgekehrt. Am Wochenende vom 15. und 16. Juli findet der Wettkampf im spanischen Aragon statt. 83 Teams sind insgesamt angemeldet. Die Amperia 21, die Maschine des HTWG-Teams, wird gegen 46 Elektro-Rennmotorräder antreten.
Die Bewertung erfolgt in zwei Abschnitten des Wettbewerbs, MS1 und MS2.
MS1:
Die Disziplinen des „MS1“ bestehen hauptsächlich aus Dokumentabgaben, die über die Saison verteilt sind. Hierbei werden beispielsweise das Gesamtdesign in 3D-CAD Programmen modelliert, Innovationen beschrieben, Businesspläne erstellt und Kostenplanungen festgehalten. Beim Abschlussevent in Spanien werden zudem Präsentationen gehalten, die in die Wertung des MS1 einfließen. Bewertet werden die Leistungen der Teams von hochqualifizierten Fachkräften aus der Motorradbranche.
MS2:
Für den zweiten Abschnitt des Wettbewerbs wird das fertiggestellte Motorrad benötigt. Diese Tests werden alle auf der Motorland Aragón FIM Rennstrecke durchgeführt. Dazu gehören statische Tests, die die Sicherheit der Konstruktion und die Einhaltung des Reglements überprüfen, sowie dynamische. Zu diesen gehört ein Beschleunigungstest, ein Bremstest, ein Geschicklichkeitsparcours, der das Handling des Motorrads herausfordert und ein abschließendes Rennen über sechs Runden. Hierbei müssen alle Komponenten optimal zusammenspielen, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.
Die Wertung MS1 und MS2 werden letztendlich zur Gesamtwertung verrechnet.

 

600-Volt-Antriebsakku ersetzt Verbrennermotor des Iltis

Der Iltis2021E geht Ende Juli, am 25. und 29. Juli, zum ersten Mal an den Start. Nach dem Auftakt-Rennen im österreichischen Spielberg will das Team, in dem übrigens ebenfalls Studierende der Universität Konstanz engagiert sind, an Wettbewerben in Spanien und Deutschland teilnehmen. 

Der Iltis2021E bringt nach dem jetzigen Stand zirka 215 Kilogramm auf die Waage. Wichtig ist nun die Hochspannungselektronik mit einem 600-Volt-Antriebsakku. Alleine die Lithium-Ionen-Batterie wiegt 70 Kilogramm. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger wurde die Aerodynamik nochmals optimiert und insbesondere der Luftwiderstand der Flügel minimiert. Der Stahlrohrrahmen des Chassis wurde für den Akku sowie die weiteren neuen Komponenten angepasst. Der Fahrzeugcomputer, der die Regelung des Antriebs steuert, wurde selbst entwickelt. Die Niederspannungselektronik beruht auf einem 24-Volt-Netz. „Trotz des Umstiegs konnten bewährte Steuergeräte nochmals optimiert wieder genutzt werden“, sagt Alexander Preuß. Das Fahrzeug wurde also bestmöglich ausgelegt, um die vorgegebenen Strecken zu meistern, für die eine Reichweite von 22 Kilometer ausreicht und auf denen die Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h nicht überschritten werden kann.

Wer kann mitmachen? 

Student*innen aller Studiengänge der HTWG und der Universität Konstanz sowie Besucher*innen des Studienkollegs können sich für eine Mitarbeit bei den Teams BRT oder eLaketric bewerben.
In einigen Studiengängen der HTWG werden 1 bzw. 2 ECTS-Punkte im Rahmen des Studium generale anerkannt. Es können unbenotete und benotete Prüfungsleistungen erbracht werden.
Weitere Informationen auf den Seiten des Bodensee Racing Teams und des eLaketric-Teams.

 

Kompetenzen für’s Berufsleben

Der Umstieg auf den Elektroantrieb ist für den Teamleiter nur konsequent. Die Arbeit im BRT mache allen Teammitgliedern nicht nur unglaublich Spaß. Sie verbessere auch erheblich die Startbedingungen im Berufsleben: Die BRTler lernen viele gefragte Soft Skills wie Selbstorganisation und Teamarbeit, Selbstständigkeit und die Freude am Ausprobieren. Darüber hinaus pflegt die Fahrzeugindustrie gute Verbindungen mit der Formula Student. „Ein riesiger Vorteil des BRT ist die enge Verbindung zur Industrie innerhalb des Teams und auch bei den Events“, betont Organisationsleiter Maximilian Kelm. Die Mitarbeit eröffne somit Einblicke und Türen. Und: Die Teammitglieder wenden viele Fachkenntnisse aus ihrem jeweiligen Studiengang unmittelbar an. 

Rückblick auf die Saison 2019 – Abschied vom Verbrenner

Mit der Rennsaison 2019 hatte das BRT dem Iltis mit Verbrenner-Motor einen würdigen Abschied beschert, mit der besten Saison seiner Geschichte. Auf allen drei Events 2019 fuhr das BRT sowohl in Bezug auf die Platzierung als auch auf die Punkte das beste Ergebnis der Teamgeschichte ein. Es belegte zum Abschluss Rang 39 weltweit auf einer Liste mit rund 650 Teams als das viertbeste deutsche Team. Beim letzten Rennen hat das Team insgesamt Rang 5 erreicht, die beste Platzierung auf einem Event in der 15-jährigen Teamgeschichte überhaupt. Dazu beigetragen hatte der 3. Platz in der Disziplin Endurance über 22 Kilometer. 

Wozu noch an einem Verbrenner arbeiten, nachdem die Autohersteller in Deutschland einen Entwicklungsstopp für Verbrennermotoren angekündigt haben? Klar, mancher wird das Motorgeräusch des Iltis vermissen. Aber auch hierfür gibt es eine Lösung: „Wir haben schon überlegt, ob wir den Fahrern Motorsound per Funk ins Cockpit spielen“, sagt Alexander Preuß lachend. Apropos Fahrer: Parallel zum Umstieg auf Elektroantrieb lief die Arbeit an einem Konzept für autonomes Fahren im Team an, denn Driverless-Komponenten werden für das BRT in der Formula Student bald eine Rolle spielen. 

Als das Wohnzimmer zur Bastlergarage wurde

„Die Motivation im Team steigt kontinuierlich, sagte Maximilian Kelm bei der Online-Präsentation des neuen Wagens, während Stefan Oechslein, Leiter des Elektronik-Teams, noch einen Blick auf den schmerzhaften Moment warf, als die Schweißkonstruktion für das neue Fahrgestell genau am Tag vor dem ersten Lockdown geliefert worden war: „Es waren harte Monate für uns, umso größer war die Freude, als wir wieder in die Werkstatt durften.“

In den vergangenen Wochen konnten sie in den immer gleichen Dreiergruppen unter strengen Hygienemaßnahmen abwechselnd in der Werkstatt arbeiten. Beide Teams konnten pünktlich ihre Maschine fertigstellen, um sie nun in Fahrten auf Teststrecken checken und im Feintuning optimieren zu können. 

Professoren zollen Student*innen Respekt

Prof. Dr. Florian Lang wie auch Prof. Dr. Todd Deißer, Faculty Advisor des BRT, zollen den Student*innen großen Respekt, die die Fahrzeuge mit vielen Innovationen unter Pandemie-Bedingung in Teamwork erarbeitet haben. „Bei manchem wurde spontan das Wohnzimmer zur Bastlergarage“, scherzte Faculty Adviser Prof. Dr. Todd Deißer bei der Online-Vorstellung des neuen Rennwagens.

Das BRT und die Formula Student

Die Formula Student ist ein internationaler Konstruktionswettbewerb für Studierende. Weltweit nehmen mehr als 800 Teams mit ihren selbstgebauten Rennwagen daran teil. Studierende konstruieren, planen und bauen in Teamarbeit einen einsitzigen Formelrennwagen. Bei der Formula Student gewinnt nicht zwingend das schnellste Auto, entscheidend ist das Gesamtpaket aus Konstruktion, Kostenplanung, Verkaufsstrategie und Rennperformance. Die Bewertung erfolgt in acht Disziplinen – dynamischen und statischen. 

Zu den statischen Disziplinen zählen zum Beispiel der Business-Plan (hier stellt das Team einen Geschäftsplan für eine kommerzielle Produktion und Vermarktung des Fahrzeugs vor) oder das Engineering Design (hier muss das Team die Konstruktion vor einer fachkräftigen Jury vorstellen und zu begründen wissen). 
Zu den dynamischen Disziplinen zählt „Acceleration“. Hier wird das Beschleunigungsvermögen des Fahrzeugs aus einem stehenden Start über eine Strecke von 75m Länge ermittelt. Beim „Skid Pad“ wird die erreichbare Querbeschleunigung während einer konstanten Kreisfahrt ermittelt. Dazu werden zwei überlappende Kreisringe zweimal durchfahren. Im „Autocross“ muss das Fahrzeug durch einen ca. 800 m langen Handling-Kurs gesteuert werden, der Geraden, Haarnadelkurven, Schikanen und Slalomstrecken enthält. In der „Endurance“ sollen die Fahrzeuge insbesondere ihre Haltbarkeit und Zuverlässigkeit unter Beweis stellen. Es gilt, eine Strecke von 22 km schnellstmöglich zu absolvieren.