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Zusammenarbeit mit Singen nimmt Fahrt auf

01.03.2023

Die HTWG unterstützt die Stadt Singen am Hohentwiel in den Transformationsthemen Dekarbonisierung, Digitalisierung, Mobilitätswende und neue Werkstoffe. Aus der Kooperation soll ein sogenanntes Reallabor entstehen. Das Modellprojekt wird auch in der Politik wahrgenommen.

Experimentierräume in der Wirklichkeit – so lässt sich ganz knapp der Begriff „Reallabor“ übersetzen. Etwas erweitert bedeutet er, dass Forscher*innen gemeinsam mit Vertreter*innen von Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen, Verbänden und der Zivilgesellschaft auf ein gemeinsames Ziel hin Neues erforschen, experimentieren, für realweltliche Probleme Lösungen entwickeln und erproben. Die HTWG baut mit der Stadt Singen am Hohentwiel derzeit ein solches Reallabor auf. Das Ziel: die Unterstützung von Kommune und Industrie bei der Nachhaltigkeits- und digitalen Transformation.

Singen als bedeutender Industriestandort

Singen am Hohentwiel ist traditionell ein bedeutender Industriestandort im westlichen Bodenseeraum. In unmittelbarer Nähe zur Schweiz an der A81 gelegen ist die 50.000-Einwohner-Stadt attraktiv für rund 2000 Unternehmen, darunter einige Marktführer, eine große Logistikbranche und energieintensive Industrie wie Aluminiumverarbeitung, Eisengießerei, Maschinenbau, Pharma und Lebensmittelherstellung/-erforschung. Traditionell herrscht in der Stadt eine besondere Dynamik. Sie stellt sich Herausforderungen und sucht nach pragmatischen Lösungen. Dabei setzt die Kommune seit 2022 auf eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit der Wissenschaft.

Win-Win-Situation für HTWG und Singen

Im Juni 2022 haben HTWG-Präsidentin Prof. Dr. Sabine Rein und Bernd Häusler, Oberbürgermeister der Stadt Singen, den Kooperationsvertrag zum Aufbau eines Reallabors unterzeichnet. Gestärkt werden soll damit vor allem die transdisziplinäre Zusammenarbeit der HTWG mit der Stadt Singen und den Singener Unternehmen, speziell zu den großen Transformationsthemen Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung, Digitalisierung, Mobilitätswende und neue Werkstoffe.

 

Das Reallabor erstreckt sich auf die Bereiche Forschung, Transfer, Lehre und Weiterbildung. „Der Aufbau des Reallabors ist für beide Partner ein Gewinn“, sagt Prof. Dr. Gunnar Schubert, Vizepräsident Forschung, Transfer und Nachhaltigkeit der HTWG. Die Stadt Singen werde als Bildungs- und Wirtschaftsstandort gestärkt, für die HTWG bedeute die Kooperation den erfolgreichen Ausbau ihrer regionalen Vernetzung. „Das entstehende Reallabor bietet zudem ein hervorragendes Umfeld für die ständige Reflexion und Rückkopplung mit Akteuren aus Wirtschaft, Gesellschaft sowie Politik und Verwaltung“, so HTWG-Präsidentin Prof. Dr. Sabine Rein.

Vernetzung durch Transfermanager

Bei der ersten Vernetzungsveranstaltung im November 2022, zu der sich Singener Unternehmensvertreter*innen, Wissenschaftler*innen der HTWG und Vertreter*innen der Stadtverwaltung und des Gemeinderats trafen, wurde Stefan Stieglat als Transfermanager vorgestellt. Er ist seit Sommer 2022 für die Konkretisierung der der Zusammenarbeit zwischen der HTWG und Singen zuständig. Der Singener Gemeinderat hat Mittel für die Stelle des Transfermanagers für zwei Jahre bewilligt. Der Wille zur verstärkten Zusammenarbeit und Vernetzung zeigt sich unter anderem auch darin, dass Stefan Stieglat zwei Schreibtische hat: Einen an der HTWG und einen in Singen, zur Verfügung gestellt von der Firma FONDIUM. Stefan Stieglat bringt viel Know-how für die Vernetzungstätigkeiten mit. Beruflich war er seit seinem Diplom-Abschluss der Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Gründungsförderung tätig, zuletzt 13 Jahre als Geschäftsführer des Technologiezentrums Konstanz. Er verfügt also über langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Unternehmen und kennt auch die HTWG schon lange und gut. Steuernder Ansprechpartner auf Singener Seite ist die Wirtschaftsförderung bzw. der Standortmarketingverein Singen aktiv.

Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung sind Schwerpunkte

„Die Stadt Singen beheimatet besonders energieintensive Industrie. Sie hat verständlicherweise ein großes Interesse an Nachhaltigkeits- und Dekarbonisierungsthemen“, sagt Stefan Stieglat. Das zeigte sich auch bei der Vernetzungsveranstaltung, bei der folgende Themen besonders hoch gerankt wurden: Abwärmenutzung, Energiealternativen von morgen und die Möglichkeiten zur Zwischenspeicherung von Energie. Neben der Dekarbonisierung energieintensiver Unternehmen sind auch Lösungen für innovative Mobilität, den Einsatz der Digitalisierung zur Effizienzsteigerung oder Produktinnovationen durch den Einsatz neuer Werkstoffe gefragt. Zu allen diesen Themenfeldern ist die Expertise der HTWG hoch. Erste gemeinsame Förderprojekte sind aus dem sich anbahnenden Kooperationsprozess zwischen Singener Unternehmen und der HTWG jüngst bereits hervorgegangen. Dazu gehören ein ZIM-Projekt (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand) mit der WEFA Singen GmbH im Bereich Werkstoffe sowie das Projekt DeepCarbPlanner mit der FONDIUM Singen GmbH. Hier untersuchen die Professoren Gunnar Schubert (Elektrotechnik und Informationstechnik) und Oliver Dürr (Fakultät Informatik), wie mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Dekarbonisierung energieintensiver Industrie unterstützt werden kann. „DeepCarbPlanner“ wird von der Carl-Zeiss-Stiftung mit rund 900.000 Euro gefördert.

Politik wird auf die Kooperation aufmerksam

Die Kooperation zwischen HTWG und Singen hat das Interesse von Verena Hubertz, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, und Dr. Lina Seitzl, SPD-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Konstanz, geweckt. Ende Januar haben HTWG-Präsidentin Prof. Dr. Sabine Rein, Vizepräsident Prof. Dr. Gunnar Schubert und Transfermanager Stefan Stieglat ihnen das zugrundeliegende Konzept erörtert. Dazu gehörte auch eine Führung durch den Eisengussbetrieb FONDIUM und eine Diskussion mit Vertretern von FONDIUM und der IG Metall, welche Schritte für die Transformation der deutschen Industrie wichtig sind und welche politischen Rahmenbedingungen hilfreich wären. Auch die Förderung und nachhaltige Finanzierung von regionalen Netzwerkinstrumenten wie dem Reallabor kam zur Sprache.

Direkter Austausch sehr wichtig

Die Singener Wirtschaft steht dem entstehenden Reallabor jedenfalls sehr offen gegenüber. Zum ersten Vernetzungstreffen waren rund 30 Vertreter*innen der 13 größeren Unternehmen gekommen, die im Vorfeld besucht worden waren. Sie lernten die Forschungsschwerpunkte der HTWG kennen und ganz persönlich zehn Professor*innen, die ebenfalls ihr Interesse an der Zusammenarbeit zeigten. „Uns war es wichtig, dass sich Unternehmensvertreter*innen und Wissenschaftler*innen gegenseitig kennenlernen, in einen ersten Austausch zu ihren Themen gehen und diese gewichten“, sagt Vizepräsident Prof. Dr. Gunnar Schubert.

Chancen für Studierende

Die Zusammenarbeit zwischen der Kommune und der HTWG eröffnet Studierenden viele Möglichkeiten: Singener Unternehmen sind offen für Abschlussarbeiten, Promotionen, Vorpraktika, Praxissemester und Studierendenprojekte. Umgekehrt bietet die Nähe zur Hochschule den Unternehmen einen entscheidenden Vorteil: Sie sind in unmittelbarem Kontakt mit künftigen Absolvent*innen und können sich als attraktive Arbeitgeber präsentieren. „Wir wollen auch einen Beitrag dazu leisten, dass es Fachkräfte für die Industrie gibt“, erklärte Prof. Gunnar Schubert.

Das sind die nächsten Schritte

„Die Anbahnung von weiteren Direktkontakten zu konkreten Themen zwischen einem oder mehreren Unternehmen und der HTWG bildet einen der nächsten Schritte im weiteren Verlauf des Aufbaus des Reallabors“, kündigt Stefan Stieglat an. Zudem gelte es, mögliche Förderungen auszuloten und zu beantragen. Beides befindet sich bereits im Prozess. Weiterführende Workshops, Netzwerktreffen oder Impulsvorträge sowie eine stärkere Verzahnung durch Seminar-, Bachelor- und Masterarbeiten sollen in 2023 ebenfalls Teil des Kooperationsprogramms werden. „Schlussendlich wird es dann auch darum gehen, Wege zu finden, wie die Kooperation bzw. ein nachhaltiger Bestand des dann aufgebauten Reallabors über das Jahr 2024 hinaus gesichert werden kann“, blickt Vizepräsident Gunnar Schubert voraus.

Was ist ein Reallabor?

Unter Reallaboren werden vorrangig keine physisch ausgestatteten Räumlichkeiten verstanden. Vielmehr sind sie (virtuelle) Orte der Zusammenarbeit, in denen für räumlich und thematisch abgegrenzte, konkrete Problemstellungen mittels Experimenten, Reflexion und Variation Lösungsansätze erarbeitet werden. Inhaltlich geht es dabei um sogenannte realweltliche Probleme. Neues anwendbares Wissen wird generiert, das die Akteure in ihre jeweiligen Kontexte integrieren und dort weiterverwenden können. Die Akteure kommen aus der Praxis, der Zivilgesellschaft und verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft, man spricht daher von transdisziplinärer Zusammenarbeit.