Architektur

    Bachelor und Master

    Dekoratives grafisches Element

    Zwischen Ambition und Realität

    (1/23) In ihrem Vortrag »Zwischen Ambition und Realität« ging Prof. Lydia Haack auf die geltenden Rahmenbedingungen für das Studium der Architektur ein ­– und auf die Möglichkeiten, die sich daraus für die Schnittstelle zwischen Lehre und Praxis ergeben, unter anderem im Hinblick auf die für die Architektur verbindlichen Berufsordnungen und Richtlinien.

    Das Studium der Architektur bringt seit den Bologna-Reformen durch verkürzte Studiendauer eingeschränkte Spielräume mit sich, den Praxisbezug in die Regelstudienzeit zu integrieren. Die eigentliche Intention, praxisnäher zu werden, sei damit fehlgeschlagen, so Prof. Lydia Haack. Dies werde von vielen Kolleg*innen durch realitätsbezogene Inhalte in der Lehre kompensiert. Beispielsweise anhand studentischer Selbstbauprojekte, die nach dem Prinzip der Design-Build-Methode das gesamte Spektrum der Leistungen von der Planung bis zur Ausführung vornehmen.

    In diesem Kontext erläuterte Prof. Haack, wie die Kreativleistungen von Studierenden zu bewerten sind, die damit direkt im Bezug zu den dem Berufstand vorbehaltenen Planungsleistungen stehen und so auch mit Fragen von Verantwortungen verbunden sind, darunter Gewährleistung, Haftung und Instandhaltung. Dass Realisierungsprojekte für die Lehre einen wesentlichen Aspekt darstellen, ist eigentlich nichts Neues. Bereits in der Philosophie des Bauhauses wurde die anwendungsbezogene Lehre, also Kunst und Handwerk miteinander zu vereinen, als wesentlich angesehen. Heute wird für diese Lehrmethode der ursprünglich durch die amerikanische Baupraxis geprägte Begriff Design-Build angewendet.

    Projekte dieser Art, sogenannte akademische Design-Build-Projekte, gibt es inzwischen vielerorts. Aus ihrem persönlichen Lebensweg konnte Lydia Haack den Vorteil des konstruktiven Verständnisses schildern, welches sich durch die Prototypenentwicklung und anschließende Realisierung durch das Format der Microarchitectural Studies an der TUM ergab. Als Motivation war hier die persönliche Leidenschaft in Bezug auf Sport- und Naturerlebnisse von besonderer Bedeutung. Mit einer steigenden Sorge um das Klima bekamen studentische Selbstbauprojekte eine immer exponiertere Stellung. Das US-amerikanische Ministerium für Energie und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sprachen ganz gezielt Universitäten und Hochschulen an, um sich mit Teams aus dem Hochschulkontext an der dringend benötigten Forschung im Bereich der Nachhaltigkeit zu beteiligen. In diesem Kontext entstand auch das HTWG Projekt Ecolar, das als solares Plus-Energiehaus dazu einen entscheidenden innovativen Beitrag leisten konnte. Um nun das drängende Thema der Rohstoffwende voranzubringen, wurde an der HTWG mit dem Haus der 1000 Geschichten ein Folgeprojekt aufgesetzt, das interdisziplinär betreut von Prof. Lydia Haack, Dr. Viola John, Prof. Stefan Krötsch und Prof. Dr. Thomas Stark das Thema Bauen mit Abbruchmaterialien untersuchte, um so neue Herangehensweisen dazu aufzuzeigen. Wie sich dabei zeigte fehlen für den Wiedereinsatz von Gebrauchtbaustoffen und daraus resultierenden Konstruktionen oft die beruflichen Rahmenbedingungen. Es sei daher dringend notwendig, die bestehenden Bauordnungen in Umbauordnungen zu verwandeln, um für derartige Bauweisen die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. Denn die derzeit gültigen regulatorischen Vorgaben bremsen momentan die Energiewende, insbesondere beim Erhalt von Bestandsbauten und der Wiederverwendung von Bauteilen, auf die ein erheblicher Teil der CO2-Emissionen zurückfällt. Daher ist eine Anpassung der Gesetze sowohl im Hinblick auf das angestrebte Klimaziel (Treibhausgasneutralität bis 2045) nicht nur notwendig, sondern auch Voraussetzung, um Innovationen im Bereich des Planen und Bauens zu ermöglichen. Ein Mehr an gesetzlichen und privatrechtlichen Anforderungen (seit 1990 ein Anstieg von 5.000 Regelungen auf über 20.000) schränkt derzeit nicht nur den Freiheitsgrad für neue Bauweisen ein, sondern sorgt auch für fortlaufend steigende Baukosten. So wird Bauen immer komplizierter, langsamer, teurer und gleichförmiger – statt einfacher, schneller, günstiger und abwechslungsreicher.

    Da Design-Build-Projekte, wenn sie im akademischen Kontext durchgeführt werden, sich über den Wissenschaftsbegriff definieren, der auch die Grenzen der wirtschaftlichen Tätigkeit an einer der Hochschulen festlegt, müssen Bauprojekte in ihrer Zielsetzung frei und unabhängig von konkreten Vorgaben erfolgen. Der Innovationgedanke sei daher, so Haack, implizit und stehe damit im Widerspruch zum starren Korsett aus Regeln und Normen. Dennoch können berufliche Rahmenbedingungen im Realisierungskontext nicht umgangen werden. Somit sei der Ansatz des einfach mal etwas zu wagen, nicht ratsam.

    Um nicht nur in Lehre, Wissenschaft und Forschung, sondern auch in der Baupraxis Spielräume für planerische Innovationen zu schaffen, fordern die Architektenkammern daher dringend, diese Rahmenbedingungen zu ändern. Die Initiative Gebäudetyp E, die Haack vorantreibt, soll hier Abhilfe schaffen und einen verbindlichen und rechtssicheren Rahmen und damit die Voraussetzung für experimentelles und einfacheres Bauen ermöglichen.

    Vor dem Hintergrund der Komplexität, die sich heute beim Bauen zeigt, stellt sich die Initiative Einfach Bauen, ein Verbund von Architektinnen und Ingenieuren, der sich an der TUM 2012 manifestiert hat und sich über Forschung und Lehre für eine gegenläufige Entwicklung stark macht, hinter die Forderungen des Gebäudetyps E. Prof. Florian Nagler weist darauf hin, dass sich dadurch völlig neue Perspektiven und Möglichkeiten ergeben, die so einfaches und gleichzeitig innovatives Bauen ermöglichten. Wie wertvoll es sein kann, sich im akademischen Kontext mit realen Bauprojekten zu beschäftigen, wird anhand der bereits realisierten Projekte der Initiative Einfach Bauen sichtbar. Denn obwohl akademische Design-Build-Projekte zwar gewünscht seien, werden sie meist zu wenig unterstützt. Eine Befragung zeige, dass es an Hochschulen und Universitäten an geeigneter Infrastruktur fehle. Oft werden Projekte nur durch den besonderen persönlichen Einsatz der Lehrenden möglich und bringen vielerlei Erschwernisse mit sich – mitunter persönliche Verbindlichkeiten bis hin zu Themen von Gewährleistung und Haftung. Insgesamt fehle es an Spielräumen für deren Durchführbarkeit, so Prof. Lydia Haack, Professorin für Baukonstruktion und Entwerfen an der HTWG, und im Ehrenamt Präsidentin der Bayrischen Architektenkammer. Wenn wir wirklich eine Chance haben wollten, das anspruchsvolle Ziel zu erreichen, den Energie- und Rohstoffverbrauch – auch im Bereich des Bauwesens – signifikant zu reduzieren, bedürfe es dringend Gesetzesänderungen und der Einführung des Gebäudetyps E.

    Es hätte einen deutlichen Innovationsschub zufolge, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse direkt auch anwendungserprobt zu realisierbaren Konstruktionen führen könnten. Nun liege es am Gesetzgeber, sich den Vorschlägen des Berufstandes anzunehmen, um die so dringend benötigten Änderungen dafür nun einzuführen.

    Text: Tobias Stilz