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Bauen nach Open-Source-Prinzip. HTWG setzt WikiHouse-Projekt um

Das Bild zeigt das Team um das Wikihouse Projekt in ihrem selbstgebauten Messestand

Das Team WikiHouse der HTWG Konstanz in ihrem Messestand

Im Februar präsentierten sich das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung auf der Fachmesse digitalBAU 2024 in Köln mit einem besonderen Messestand. Das Holzgebäude wurde in einem interdisziplinären Ansatz von Architektur- und Bauingenieurstudierenden der HTWG Hochschule Konstanz – Technik, Wirtschaft und Gestaltung mit dem Bausystem WikiHouse digital geplant und automatisiert gefertigt.

Die Baubranche steht vor großen Herausforderungen. „Wir bauen viel zu lang und zu teuer“, sagte die Bundesbauministerin Clara Geywitz im September 2023 in der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger. Unter dem Motto „Speed Up Construction“ stellten das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Köln nun Projekte aus dem Innovationsprogramm Zukunft Bau vor, die zu einem schnelleren Planen und Bauen beitragen können. Drei der wichtigsten Lösungsansätze sind dabei Digitalisierung, Vorfertigung und Automatisierung.

Eine Möglichkeit der Digitalisierung, Vorfertigung und Automatisierung im Bau zeigten das BMWSB und das BBSR am Beispiel ihres eigenen Messestandes, dem „Research Prototype 0.24“. Der Messestand wurde digital geplant und automatisiert aus Holz gefertigt von Architektur- und Bauingenieurstudierenden der HTWG unter der Leitung von Prof. Stefan Krötsch, Prof. Dr. Oliver Fritz und Prof. Dr. Alexander Michalski.


Der Messestand auf der digitalBau in Köln, konstruiert von Studierenden der HTWG

Als Vorbild dient das Open-Source-Bausystem WikiHouse
„Digitalisierung, Automatisierung und Vorfertigung ermöglichen es uns, effizienter, präziser und umweltfreundlicher zu konstruieren. Die Aufgabe für Architekten verschiebt sich daher von der reinen Formgebung hin zur Entwicklung anpassungsfähiger, Bausysteme“, erklären die Professoren Fritz, Krötsch und Michalski. Ein solches Bausystem ist WikiHouse, mit dem das Holzgebäude als Messestand in Köln entwickelt und hergestellt wurde.

WikiHouse ist ein Open-Source-System, mit dem Gebäude schnell, günstig und ressourcenschonend designt und gebaut werden sollen. Die Grundlage sind vorgefertigte Bauteile, die individuell an unterschiedliche Grundrisse angepasst und verschieden kombiniert werden können. Hergestellt werden die Bauteile nach Plan mittels einer CNC-Fräse oder eines 3D-Druckers. Im Falle des Messestandes der HTWG-Studierenden wurden die Bauteile des Gebäude-Prototypen im Open Innovation Lab (OIL) direkt auf dem Campus der Hochschule Konstanz hergestellt.

Das Besondere an WikiHouse-Gebäuden ist jedoch nicht nur die digitale und automatisierte Herstellung: für die Montage muss zudem weder geschraubt, geleimt noch genagelt werden. WikiHouse basiert auf einem Stecksystem, so dass – zumindest theoretisch – auch Menschen ohne fundierte Handwerks- oder Ingenieursausbildung den Rohbau ihres Gebäudes selbst zusammenbauen können. Das Ikea-Prinzip wird hier also nicht nur aufgegriffen, sondern perfektioniert: bei WikiHouse fehlt niemals eine Schraube.

WikiHouse verbindet technische Innovation und soziale Aspekte
Das Open-Source-System WikiHouse soll Bauen nachhaltiger, schneller und kostengünstiger machen und das Thema Wohnungsbau demokratisieren. Durch das Open-Source-System könnten sich perspektivisch auch Menschen mit geringeren Mitteln den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen, gleichzeitig bietet das System auch für Städte und Kommunen eine attraktive Möglichkeit, um großflächig bezahlbaren, sozialen Wohnraum zu schaffen. Erste WikiHouse-Projekte wurden beispielsweise in Großbritannien, Österreich und jüngst in der Ukraine umgesetzt. Dort sollen kleine Häuser als Unterkunft für kriegsgeschädigte Familien aus der Ostukraine eingesetzt werden. Zu den bisher an der HTWG im Rahmen von WikiHouse.studies+ umgesetzten WikiHouse-Projekten zählen ein Hallentragwerk, ein Schalentragwerk, ein System zur Dämmung, ein Möbelsystem sowie eine Kapelle.


Auf der Messe konnten die Studierenden auch das Projekt Wikistudies vorstellen

Messestand soll in Konstanz weiterleben
Der Messestand aus Köln soll zukünftig wiederverwendet werden. Angedacht ist ein Einsatz bei einem städtebaulichen Projekt in Konstanz. Für die Architektur in der Stadt Konstanz wird der Messestand eine kleine, feine Bereicherung darstellen, wenn er final dort wiederverwendet wird. Dort könnte er Anregungen geben hinsichtlich kreislaufgerechten Bauens, Holz-Holz-Verbindungen oder digitaler Planung und Fertigung. Außerdem ist er ein Anstoß, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und kreativ und experimentell Lösungen für drängende Probleme des Bauens zu erkunden.

Für die Studiengänge Architektur und Bauingenieurwesen der HTWG ist der Messestand eine schöne Gelegenheit, die eigenen theoretischen Konzepte in die Praxis umzusetzen und auf diese Weise Erfahrungen zu sammeln und neue Forschungsfragen zu identifizieren. „Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Ära der Architektur, die durch Offenheit, Teilen und Kollaboration gekennzeichnet ist. Diese Entwicklungen fordern Architektur und Bauingenieurwesen heraus, über traditionelle Rollen hinaus zu denken und als multidisziplinäres Team zusammenzuarbeiten, um nachhaltige, flexible und benutzerorientierte Räume zu schaffen, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden", so die Professoren Fritz, Michalski und Krötsch. Für die beteiligten Studierenden ist der Messestandbau eine willkommene Gelegenheit, einen eigenen Entwurf baulich umzusetzen − mit dem entsprechenden Zugewinn an Expertise und Selbstbewusstsein.