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Autofähre: Kabellose Stromversorgung per Induktion

14.04.2021

Student*innen haben ein innovatives System zur Stromversorgung der Autofähre zwischen Meersburg und Konstanz entwickelt. Die Stadtwerke Konstanz wollen es umsetzen.

Rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche pendeln Autofähren zwischen Konstanz und Meersburg über den Bodensee. In der Rushhour liegen sie acht Minuten, nachts bis zu 45 Minuten im Hafen von Meersburg bzw. Konstanz-Staad. Auch in dieser Zeit benötigen die Schiffe Energie, schließlich sollen alle Messinstrumente auf der Brücke, die Beleuchtung auf dem Deck, die WLAN-Versorgung und die Kaffeemaschine der Bordgastronomie in Betrieb bleiben. Derzeit wird der benötigte Strom von einem Dieselgenerator an Bord erzeugt. Student*innen der HTWG haben auf Anregung der Stadtwerke Konstanz ein Konzept dafür entwickelt, wie die Bordstromversorgung emissionsfrei per Induktion über die Fährbrücke erfolgen kann.

„Das ist gut durchdacht, smart und hat uns absolut überzeugt“, sagt Christoph Witte, technischer Leiter der Stadtwerke-Fähren. Er kündigt an, das Konzept mit einer ersten Fähre umsetzen zu wollen. Derzeit werden noch die Fördergelder hierfür beantragt. „Es wird ein erster Baustein unserer Maßnahmen sein, CO2-Emissionen im Fährbetrieb einzusparen“, erläutert er. „Der große Gedanke dahinter ist, die automatische Ladetechnologie für die Fähren der Zukunft zu entwickeln, das heißt vollelektrische Schiffe, bei denen während der kurzen Umschlagszeiten die Akkumulatoren automatisch nachgeladen werden.“

 

Bei jeder Einfahrt in den Hafen docken die Fähren seit Jahrzehnten akkurat am Landungssteg an, so dass Fahrzeuge und Fußgänger*innen bequem an Land fahren bzw. gehen können. Dabei senkt sich der Landungssteg auf das Deck des Fährschiffs ab. Wenn nun auf der Fährbrücke und auf dem Deck jeweils eine Induktionsplatte angebracht wird, kann die kontaktlose Stromversorgung der Fähre direkt über den Landungssteg selbst von der Anlandung bis zur Abfahrt erfolgen.

Hohe Sicherheit im besonderen Fähre-Umfeld

„Das Vorgehen ist bestechend einfach und überzeugt durch seine hohe Sicherheit“, sagt Daniel Kirch, Projektleiter bei den Stadtwerken Konstanz. Die Stromversorgung ohne offenliegende elektrische Kontakte sei die Ideallösung in einer den Witterungseinflüssen ungeschützt ausgesetzten Umgebung. „Es gibt ohne Stecker und Buchsen keine offenen Kontakte, keinen Funkenüberschlag, keinen Kurzschluss“, zählt Maschinenbau-Student Tarek Sadek auf.
Die Positionierung ist unabhängig vom Pegelstand optimal, da sich die Fährbrücke dem Wasserstand anpasst. Zudem sei die Induktionsvorrichtung robust und von langer Lebensdauer, der Wartungsaufwand sowie die Ausfallwahrscheinlichkeit gering, betont Maschinenbau-Professor Dr. Peter Stein. Das wäre beispielsweise bei einem Roboterarm, der nach jeder Einfahrt eine Verbindung zur Fähre herstellt, anders: Er sei störungsanfällig und im Falle einer Steckverbindung durch das täglich mehrfach wiederholte Einstecken und Abziehen entstehe ein hoher Verschleiß an den Buchsen. Zudem könnten Wasser, Schmutz und Luft eindringen. Prof. Dr. Heinz Rebholz, Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik, ergänzt: „Die Stromversorgung per Induktion erfüllt die gesetzlichen Anforderungen, so dass gesundheitliche Gefahren ausgeschlossen sind.“

Kabellose Stromversorgung per Induktion

Das Funktionsprinzip der drahtlosen Energieübertragung ist in der Elektrotechnik schon seit langem bekannt. Magnetische Felder transportieren dabei die Energie von einer Sendespule zur Empfängerspule. Die Funktionsweise ist vergleichbar mit einem Transformator, nur ohne Gehäuse. Dies funktioniert umso besser, je geringer der Abstand zwischen den Spulen ist. Magnetisch gekoppelte Systeme finden sich mittlerweile in vielen Bereichen des täglichen Lebens wie bei elektrischen Zahnbürsten, induktiven Kochfeldern und dem drahtlosen Aufladen von Smartphones oder Autoschlüsseln.

Erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit

Acht Student*innen der HTWG, Bachelor- und Masterstudierende aus der Fakultät Maschinenbau sowie der Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik, haben das Konzept entwickelt. „Das Projekt zeigt die Innovationskraft der HTWG. Es ist eine beispielhafte Verbindung von praxisorientierter Lehre, angewandter Forschung und Transfer zugunsten regionaler Unternehmen und einer ressourcenschonenden Gesellschaft“, sagt Prof. Dr. Gunnar Schubert, Vizepräsident für Forschung, Transfer und Nachhaltigkeit. Die Stromversorgung über Induktion stand zu Beginn der Arbeit der Student*innen nicht alleine im Fokus. Unter anderem hatten sie die Stromzufuhr über Photovoltaikzellen auf dem Fährdach in Erwägung gezogen – was als Ergänzung der Stromversorgung nach wie vor vorstellbar ist.

Bord-Gastronomie wegen Corona-Pandemie geschlossen

„Die Studierenden haben zunächst den Stromverbrauch auf der Fähre während einiger Überfahrten gemessen und daraus den Energieverbrauch berechnet“, erläutert Elektrotechnik-Professor Dr. Heinz Rebholz. Da die Bordgastronomie aufgrund der Pandemieeinschränkungen geschlossen bleibt mussten die Studierenden den Verbrauch der Kühlschränke, Kaffeemaschine und Kassensysteme zusätzlich abschätzen. Dann galt es, die Voraussetzungen für das induktive Ladesystem zu definieren und es mit all seinen Parametern auszulegen. Auch die Verluste bei der Übertragung mussten abgeschätzt werden. Parallel recherchierten die Studierenden Angebote am Markt. „Die interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Stadtwerke war für alle Beteiligten eine Bereicherung. Die Studierenden lernten, das Thema durch verschiedene Brillen sehen“, sagt Prof. Dr. Heinz Rebholz.

Versuchsträger wird die Autofähre Meersburg

„Es war ein tolles Projekt. Wenn unsere Idee nun umgesetzt wird, freut mich das unglaublich“, sagt Maschinenbau-Student Tarek Sadek, der seine Bachelor-Arbeit zum Thema geschrieben hat. Als Versuchsträger für den Dauertest eignet sich die Autofähre FS Meersburg. Die Energieversorgung dieser Fähre ist modular aufgebaut. Sie verfügt über zwei getrennte Stromkreisläufe bzw. Dieselgeneratoren. So könne der Generator, der nicht mit dem Hauptantrieb verbunden ist, während der Liegezeit abgestellt werden.

Einsparpotential: 20 Tonnen CO2

Als nächster Schritt steht in Zusammenarbeit mit einem Industriepartner die Entwicklung einer geeigneten Induktionsplatte an. Sie könnte zunächst an einer Fährbrücke in Staad angebracht werden, später eine weitere auch in Meersburg. „Wenn wir den Einsatz des Stromgenerators während der Liegezeit am Landungssteg mit Landstrom ersetzen, können wir während des Kursbetriebs am Tag bis zu etwa 50 Prozent des Dieselverbrauchs einsparen, der für die Stromversorgung der Fähre nötig ist“, rechnet Daniel Kirch vor. Das wären beim nun gemessenen Verbrauch von 25kW und zwei Überfahrten pro Stunde mit je 15 Minuten Liegezeit ca. 20 Liter Diesel pro Fähre und Tag, was wiederum im Jahr bis zu 20 Tonnen CO2 pro Fährschiff entspräche.

Weitere Ausbaustufen möglich

Das Konzept lässt sich weiter ausbauen, blickt Christoph Witte voraus: So könnte über eine Batterie an Bord der Dieselgenerator für die Bordstromversorgung komplett ersetzt werden. „Hierfür würde eine Batterie der Größe wie sie im Renault Zoe verbaut sind, ausreichen“, sagt Maschinenbau-Professor Dr. Peter Stein. Die darauffolgende Ausbaustufe wäre die Ladung eines komplett mit elektrischer Energie angetriebenen Fährschiffs.

Und auch das Forschungsschiff der HTWG profitiert von dem Konzept

Auch das HTWG-Forschungsschiff „Solgenia“ wird von dem entwickelten Konzept profitieren. An dem Schiff mit einem Photovoltaik-Wasserstoff-Hybridantrieb soll das induktive Ladesystem zunächst erprobt werden.