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1800 Minuten Training neben dem Studium

20.05.2021

#WeAreHTWG: Florian Roller ist mehrfacher Ruder-Weltmeister. Sein Alltag ist durchorganisiert, er selbst entspannt.

Zum Glück schreibt Florian Roller seine Masterarbeit bei ZF in Friedrichshafen. Das sind von Konstanz aus 32 Kilometer Hin- und 32 Kilometer Rückweg auf dem Rad – also schon eine gute Stunde Training am Tag pro Weg. Wenn er nicht im Homeoffice arbeitet, sind dann nur noch drei Stunden Training zu bewältigen. Was für die Autorin dieses Textes nach einer ziemlichen Qual klingt, ist für Florian Roller Lebenselixier. „Ich brauche Sport, er gehört zu meinem Leben“, sagt der 28-Jährige und wirkt dabei weit weniger pathetisch als die Zeile vermuten lässt. Gelassen sitzt er in seinem Studi-Zimmer vor der Webcam. Viel ist von seinem Zimmer allerdings nicht zu sehen – die breiten Schultern füllen den Bildschirm aus.

Weltmeisterschaft zwischen Schreibtisch und Bett

Florian Roller ist mehrfacher Weltmeister im Rudern. 2015, 2016 und 2018 hat er sich den Titel gesichert, zwei Mal im Leichtgewicht Vierer, einmal im Leichtgewicht Achter. Seinen jüngsten WM-Titel holte er sich im Februar, auf dem Ergometer zwischen Bett und Schreibtisch. Den Pandemieeinschränkungen geschuldet saß jeder Sportler in seinem Heimatland. Wer hätte geahnt, dass ein Virus es schafft, schnell mal eine Ruder-WM nach Konstanz zu holen? Das Rennen über 2000 Meter wurde online zusammengeschaltet. „Das war schon ungewohnt, mit den Gegnern nicht kommunizieren zu können“, sagt Roller. Seine Strategie ist auch so aufgegangen: Während er kurz nach dem Start noch auf Platz 16 lag, arbeitete er sich in der zweiten Hälfte des Rennes auf den ersten Platz vor. (TV-Bericht auf der SWR-Facebook-Seite über Florian Roller vor der WM  (ab Minute 6) sowie eine WM-Nachbericht über Florian Roller in der ARD-Mediathek (ab Minute 10)

#WeAreHTWG

Die HTWG? Das sind Menschen - knapp 5000 Student*innen, 165 Professor*innen, 320 Mitarbeiter*innen und ebensoviele Lehrbeauftragte. Sie alle wie auch unsere Alumni verleihen der Hochschule ein Gesicht. Jede*r einzelne hat etwas über sich und sein*ihr Leben zu erzählen. In den nächsten Monaten werden wir in verschiedenen Publikationen, hier auf der Website und auch in den Social-Media-Kanälen der HTWG Hochschulangehörige vorstellen und zeigen, wofür sie brennen, was sie antreibt und motiviert.

Sie kennen eine*n Kommiliton*in, eine*n Kolleg*in, eine*n Lehrende*n, der*die Sie inspiriert? Sie meinen, er*sie sollte hier vorgestellt werden? Dann geben Sie uns einen Tipp an @WeAreHTWG

Wechsel zwischen Vorlesung und Training ist Alltag

Seinen Stand im Rennen verfolgte Florian Roller an dem Bildschirm, an dem er noch ein paar Stunden davor an seiner Masterarbeit geschrieben hatte – und danach auch wieder schrieb. Der Wechsel zwischen Studium und Leistungssport ist für Florian Roller Alltag. Ein gutes Zeitmanagement, Selbstdisziplin und Eigenverantwortung helfen ihm, beide Vollzeittätigkeiten zu vereinbaren. Morgens Training auf dem Seerhein, mittags Laufen, abends Radfahren, dazwischen Online-Veranstaltungen und am Abend lernen - so sah ein exemplarischer Studientag im letzten Sommersemester, dem ersten Online-Semester aus.

„Ich bin ja an der Hochschule zum Studieren und nicht, um zu protzen“

Er ist froh, dass er sein Masterstudium Automotive Systems Engineering im Wintersemester 2019/20 angefangen hatte. In der Präsenzzeit konnte er trotz seines straffen Zeitplans zu Kommiliton*innen Kontakte knüpfen und sie auch in den Online-Semestern pflegen. „Treffen in der Strandbar letzten Sommer haben schon gut getan“, erinnert er sich. Die wenigsten seiner Professor*innen und Kommiliton*innen wüssten allerdings von seinen sportlichen Erfolgen: „Ich bin ja an der Hochschule zum Studieren und nicht, um zu protzen“, sagt er bescheiden.

„Technik fasziniert mich“

Seit seinem fünften Lebensjahr gehören die Ruderpaddel zu seinem Alltag. Mit zwölf Jahren fuhr der gebürtige Stuttgarter sein erstes Rennen im Kinder-Einer. 2006 startete er im Doppelzweier. 2013 wurde er in die Nationalmannschaft berufen. Im gleichen Jahr gewann er Bronze bei der U23-WM. Nach Abitur und Freiwilligem Sozialen Jahr begann er das Studium Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart. „Technik fasziniert mich einfach – und es gibt ja auch ein Leben nach dem Sport“, sagt er zur Erläuterung seiner Studienwahl.

Die Erfolge von Florian Roller

•  2021 Weltmeisterschaft Virtual Indoor Rowing: Gold LM 2000m
•  2019 "Stuttgarter Sportler des Jahres 2018"
•  2018 Weltmeisterschaft Plovdiv (BUL): Gold im LM4x-
•    Weltrekord: 30 Minuten Indoor-Rowing
•    Welcup III Luzern (SUI): Gold im LM4x-
•    Welcup II Linz (AUT): Silber im LM4x-
•    Internationaler Deutscher Meister: 30 Minuten Indoor-Rowing
•    Deutscher Hochschulmeister: Indoor-Rowing 2000m
•  2016 Weltmeisterschaft Rotterdam (NED): Gold im LM4x-
•  2015 Weltmeisterschaft Aiguebelette (FRA): Gold im LM8+
•  2014 U23 Weltmeisterschaft Varese (ITA): 4. Platz im LM4-
•  2013 U23 Weltmeisterschaft Linz (AUT): Bronze im LM4x-
•  2008 Deutsche Meisterschaft U17: Gold im LM1x
•  2005 Erste Regatta
•  2004 Rudern gelernt

Weitere Informationen auf der Website von Florian Roller.

Doch so richtig in Fahrt kam er an der Uni nicht. Die Inflexibilität des Studienaufbaus habe sich kaum mit seinem Wettkampfzeitplan vereinbaren lassen. Eine Prüfung, die nur einmal im Jahr angeboten wurde, fiel immer mit dem Termin der Weltmeisterschaft zusammen. Ein Laufbahnberater des Olympiastützpunkts Stuttgart machte ihn auf die Hochschule Esslingen aufmerksam, eine „Partnerhochschule des Spitzensports“. Sie bietet studierenden Leistungssportlern mehr Flexibilität. „Ich habe das nicht ausgereizt, aber es nahm mir Druck. Zum Beispiel konnte ich einmal eine Prüfung im Büro des Professors schreiben, weil ich zum eigentlichen Termin beim Wettkampf war.“

Wollmatinger Ried statt Fabrikgelände

Nach dem Bachelor wechselte Roller an die HTWG. Die Nähe zum Bodensee sei nicht (ausschließlich) Grund dafür gewesen, beteuert er. Doch fühlt er sich in der Region wohl wie der sprichwörtliche „Fisch im Wasser“. Es mache schließlich einen Unterschied, ob man auf dem Seerhein Richtung Gottlieben rudert oder auf dem Necker an Bundesstraße und Fabrikgebäuden vorbei. Das Training im Boot ergänzt er um Radtouren beispielsweise auf die Schweizer Schwägalp am Säntis (hin und zurück mit Start Konstanz) und Schwimmen im Bodensee. Über den Sport und seine Mitgliedschaft beim Ruderverein Neptun Konstanz hat er schnell auch außerhalb der Hochschule Kontakte geknüpft.

Trotz aller Selbstdisziplin und Motivation stellt die Pandemie auch ihn vor Herausforderungen. 2020 war ein Jahr ohne Wettkämpfe. Vorbereitet hatte er sich jedoch – immer wieder. Aber auch der beste Trainer der Welt hat keine Strategie für die Vorbereitung, wenn bis wenige Tage vor dem Wettkampf nicht klar ist, ob er stattfinden können wird. Roller nimmt die Pandemie mit Humor: „Ich habe noch einen Neubürgergutschein für zwei Cocktails zum Preis von einem und konnte ihn immer noch nicht einlösen. Das ärgert mich schon“, sagt er lachend.

Traum vom Ironman

In diesem Jahr findet die Weltmeisterschaft im Herbst in Shanghai statt. Gerne würde er daran teilnehmen. Das bedeutet nach der Qualifizierung im April, an vielen Wochenenden bei Trainingscamps in ganz Deutschland die Mannschaftskollegen zu treffen. Ob das möglich sein wird? Im Umgang mit der Unsicherheit kommt eine weitere Kompetenz zum Tragen, die Florian Roller dem Leistungssport zu verdanken habe: „Realistisch einschätzen zu können, was ich kann und in welchem Zeitraum was zu schaffen ist“, sagt er. Zu wissen, wo seine Stärken liegen und wo noch Ausbaupotential ist und entsprechende Meilensteine für die Vorbereitung zu setzen. Das habe ihm auch im Studium geholfen. Deshalb ist er zuversichtlich, den Sport auch mit dem Berufsleben vereinbaren zu können. Dann rücke das Rudern vermutlich in den Hintergrund, sagt er und verrät: „aber der Ironman, der reizt mich schon sehr.“