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Erfolgreich durch die Krise

14.09.2020

Ein Leben ohne Risiken ist unmöglich. Wie können Studierende auf nötiges Risiko- und Krisenmanagement in ihrem künftigen Berufsleben vorbereitet werden? Zwei Professoren berichten.

Prof. Dr. Konstantin Hassemer lehrt seit vielen Jahren in den Asienstudiengängen der HTWG Risiko- und Krisenmanagement. Prof. Dr. Benno Rothstein, Professor für geowissenschaftliches Ressourcenmanagement an der Fakultät Bauingenieurwesen, ist seit fast 20 Jahren der Katastrophenschule des Bundes, der AKNZ sehr eng verbunden, zunächst als Teilnehmer zahlreicher Seminare und seit ca. 15 Jahren auch als Gastdozent. Sein Wissen über Risiko- und Krisenmanagement – und über Zivilschutz – gibt er auch in seinen Lehrveranstaltungen an der HTWG weiter. Beide Professoren messen der Auseinandersetzung schon im Studium mit Krisen und ihrer Dynamik, der Vorbeugung und dem Umgang mit Krisen große Bedeutung zu. Die Corona-Pandemie mit ihren vielschichtigen Auswirkungen bestätigt sie.


Die künftigen Ingenieurinnen und Ingenieure lernen an der HTWG, exakte Berechnungen anzustellen. So können sie Risiken ausschließen. Weshalb halten Sie es dennoch für wichtig, dass sich auch Ingenieur*innen mit Risiko- und Krisenmanagement beschäftigen?

Prof. Rothstein: Risiken können nie ausgeschlossen werden! Daher ist es wichtig, dass sich Ingenieure frei machen von dem Gedanken „Gibt es nicht, weil …“ oder „Geht gar nicht, weil …“ Die Erklärung, warum manche Ereignisse nicht eintreten können hört sich aus dem Munde eines Technikers oftmals sehr plausibel an. Die Erfahrung aus zahlreichen vergangenen Ereignissen, die trotz aller Unmöglichkeits- und Minimalrisiko-Erklärungen passiert sind, lehrt uns doch immer wieder, dass wir das Undenkbare denken lernen müssen.
Gerade, wenn unsere Ingenieure in naher Zukunft eine Führungsverantwortung in einem Unternehmen übertragen bekommen, sollten sie wissen, dass ein fehlendes Risiko- und Krisenmanagement sich enorm auf die Folgekosten und auch auf das Risiko persönlicher Konsequenzen auswirkt.

Prof. Hassemer: Nicht nur in den Ingenieurs-, sondern auch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften befassen sich Studierende mit Aspekten der Handhabung von Risiken bzw. Krisen, z.B. bei der Erstellung von Machbarkeitsstudien für internationale Großprojekte oder Planungen bezüglich betrieblicher Pensionsverpflichtungen. Speziell in der Betriebswirtschaftslehre schließt unternehmerisches Handeln zwangsläufig die ständige Auseinandersetzung mit Risiken ein.

Was ist eigentlich ein Risiko bzw. eine Krise?

Prof. Rothstein: Das Risiko wird als Maß für die Größe, den Grad oder das Ausmaß einer Gefährdung angesehen. Risiko ist die Möglichkeit eines Schadens oder allgemeiner gesprochen eine Folge von Handlungen, die im Urteil der überwiegenden Zahl von Menschen als unerwünscht gelten. In den Ingenieurwissenschaften bedeutet Risiko das Schadensausmaß multipliziert mit der Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens. Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist die Chance, dass ein Ereignis innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls eintritt. Die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens kann wiederum aus Risikostudien entnommen werden.
Unter Krise wird eine Situation verstanden, in der der „normale“ Betriebsablauf des Unternehmens nicht mehr in der Lage ist, diese mit den üblichen Problemlösungsmethoden zu bewältigen. Die Krise bezeichnet eine problematische, mit einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation. Dass es sich hierbei um einen Wendepunkt handelt, kann allerdings oft erst konstatiert werden, nachdem die Krise abgewendet oder beendet wurde. Nimmt die Entwicklung jedoch einen dauerhaft negativen Verlauf, so wird von einer Katastrophe gesprochen.

Prof. Hassemer: Die eher technisch orientierte Fassung des Risikobegriffs (als Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe) ist typisch für die Herangehensweise von Expert*innen. Hier herrscht eine rationale, an (einigermaßen) objektiven Kriterien und eng an der Risikoquelle festgemachten Bewertungen vor. Im Gegensatz zu dieser „hazard“-Orientierung finden wir bei sog. Laien die „outrage“-Perspektive vor, d.h. einen wesentlich emotionaleren subjektiven Umgang mit Risiken. Passend in diesem Zusammenhang ist das schöne Zitat: „The risks that kill you are not necessarily the risks that anger and frighten you”. Aufgrund der engen Verknüpfung von technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen scheint es wichtig für den Umgang mit Risiken und Krisen zu sein, sowohl die Experten- als auch die Laiensicht in Entscheidungen zu integrieren.

Herr Hassemer, Sie haben bereits Anfang des Jahres Krisenszenarien und entsprechende Pläne für die Asienstudiengänge erstellt – zu einer Zeit, als hier noch fröhlich die Vorbereitungen auf die Fasnacht liefen. Was war für Sie der Auslöser, die Situation als sich anbahnende Krise zu erkennen? Lassen sich solche Anzeichen auf andere Krisen übertragen?

Prof. Hassemer: Die Asienstudiengänge hatten den Vorteil, aus der SARS-Krise 2003 in Asien Lehren ziehen zu können. Damals haben wir eine Art Salamitaktik verfolgt: Ständige kleine Anpassungen an sich ständig zuspitzende Situationen in unseren Zielländern und an den Partnerhochschulen. Im Februar/März 2020 waren sich die Akteure im Studiengang einig, dass wir schnell und nachdrücklich handeln müssen. Pandemien sind sog. „known unknowns“, d.h. Risikophänomene, die grundsätzlich bekannt, in ihrer spezifischen Ausprägung und Wirkungsweise jedoch völlig unvorhersehbar sind. Aus diesem Grund haben wir die über 50 AS-Studierenden konsequent zur Rückkehr aus Asien aufgefordert, was gut gelungen ist. Für die Identifikation von Krisen ist es wichtig, frühzeitig schwache Signale zu erkennen. Dazu braucht es Erfahrung und ein Entscheidungsteam mit guten kollektiven Intuitionen.

Prof. Dr. Konstantin Hassemer

hat in Mainz und Göttingen BWL mit dem Schwerpunkt Absatz und Beschaffung studiert. Nach der Promotion an den Universitäten Kassel und Würzburg über Nonprofit-Organisationen hat er sieben Jahre bei BASF in unterschiedlichen Positionen mit unterschiedlichen Aufgaben gearbeitet, unter anderem zwei Jahre in Singapur. Seit dem Wintersemester 1999/2000 ist er Professor für Allgemeine, insbesondere Internationale Betriebswirtschaftslehre, in den Asienstudiengängen an der HTWG Konstanz. Seit dem Wintersemester 2010/11 ist er zudem Prodekan der Fakultät Wirtschafts-, Kultur- und Rechtswissenschaften, seit Wintersemester 2014/2015 Studiendekan der Asienstudiengänge. Daneben arbeitet er auch als Berater, Trainer und Coach.

Haben Sie die aktuelle Krise in Ihre Lehrveranstaltungen integriert? Wenn ja, wie?

Prof. Rothstein: Nein, leider (noch) nicht – während einer Krise hat wohl niemand genügend Zeit. Dies liegt im Wesen einer jeden Krise. Das Risiko- und Krisenmanagement in seiner speziellen Anwendung in der Energiewirtschaft habe ich zumindest partiell schon seit längerem in zwei Vorlesungen integriert.

Prof. Hassemer: Die unterschiedlichen Phasen und Muster in der Handhabung der Pandemie konnte ich im Masterkurs „Risikokompetenz“ ganz gut einbauen.

Webasto, das Unternehmen in Stockdorf bei München, hatte unter seinen Mitarbeiter*innen die ersten Corona-Infizierten in Deutschland. Das Unternehmen wurde sehr für sein Krisenmanagement gelobt. Was hat es richtig gemacht?

Prof. Hassemer: Aus meiner Sicht sind zwei Aspekte ausschlaggebend: Schnelle und konsequente interne Reaktion sowie professionelles Auftreten nach außen im Sinne einer ehrlichen Krisenkommunikation und einer uneingeschränkten Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden. In vielen Fällen ist das Problematische an Krisen nicht die Krise selbst, sondern die soziale Amplifikation von Negativmeldungen durch unprofessionelles Krisenmanagement. Das ist im Fall von Webasto nicht gegeben. Im Gegenteil: Der Aspekt, den deutschen Patienten „Zero“ in den eigenen Reihen gehabt zu haben, wird dem Unternehmen nie negativ anhängen, und der Name Webasto ist jetzt vielen Menschen in Deutschland bekannt.

Prof. Dr. Benno Rothstein

hat seit dem WS 2012/13 die Professur für Geowissenschaftliches Ressourcenmanagement an der Fakultät Bauingenieurwesen der HTWG Konstanz inne. Zuvor war der Geowissenschaftler knapp fünf Jahre Professor für Ressourcenökonomie an der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg. Dort war er u.a. Leiter des Studiengangs BioEnergie. Prof. Rothstein hat an der Universität Würzburg in der Geographie zum Thema „Elektrizitätswirtschaft als Betroffene des Klimawandels“ habilitiert. Nach seinem Studium der Umweltwissenschaften und der Promotion in den Geowissenschaften an der Universität Trier war er beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Düsseldorf sowie beim Europäischen Institut für Energieforschung (EIFER) in Karlsruhe beschäftigt.

Nun haben wir in den letzten Monaten eine bisher einzigartige Situation erlebt. Rein statistisch sollten unsere Studierenden in ihrem Berufsleben nicht noch einmal mit einer Pandemie konfrontiert sein. Weshalb denken Sie, wähnen wir uns damit in trügerischer Sicherheit? Was werden die Krisen der Zukunft sein? Mit welcher Art Krisen, denken Sie, werden die Studierenden der HTWG in ihrem Berufsleben konfrontiert werden?

Prof. Rothstein: Die Krisen der Zukunft kenne ich leider – vielleicht sollte ich besser „zum Glück“ sagen – auch nicht. Im Übrigen kommt z.B. ein „Jahrhundertereignis“ nicht einmal in 100 Jahren vor, sondern hat eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 1/100. Im Jahr nach der Katastrophe ist dann die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht gleich Null, sondern ebenfalls 1/100. Es muss ja auch gar nicht eine vergleichbare Katastrophe wieder eintreten. Potentielle Krisenverursacher gibt es zu Hauf, wie etwa den Klimawandel mit all seinen negativen Begleiterscheinungen wie Hitzewellen, Dürren, Hochwasser, Sturzfluten, Ausbreitung vektorübertragener Krankheiten und vieles mehr.

Erich Kästners bekanntes Zitat „Wird's besser? Wird's schlimmer?, fragt man alljährlich. Aber seien wir ehrlich, Leben ist immer lebensgefährlich.“ bringt unsere Situation sehr schön auf den Punkt. Aber dennoch sollten wir uns gerade im Hinblick auf unternehmerisches Handeln bewusst sein, dass wir uns oftmals auf dünnem Eis bewegen:  Jeder Prozessparameter in einem Unternehmen oder auch jede Infrastrukturdienstleistung eines Unternehmens hat einen Sollwert. Je näher der Prozessparameter bzw. die Dienstleistung sich an diesem Sollwert befindet, desto höher ist die erzielte Effizienz, die wiederum die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens positiv beeinflusst. Durch eine Reihe von Maßnahmen (z.B. Just in Time Produktion, weniger Wartung, Abbau von Redundanzen, Einsatz von IT, Abbau von Lagerkapazitäten, Personalabbau) kann die Effizienz erhöht werden. Dies geschieht jedoch in den allermeisten Fällen auf Kosten der Robustheit. Gerade diese Robustheit ist jedoch ganz essentiell bei der Bewältigung von Krisen.

Den gesunden Weg zwischen Vorbeugung und Leichtsinn muss – innerhalb der gesetzlichen Grenzen – jeder Akteur selbst entscheiden. Sich nur auf unsere subjektive Risikowahrnehmung zu verlassen ist allerdings ein schlechter Ratgeber: Je weniger real und konkret die Situation für die Betroffenen ist, umso größer ist die Angst, die sie auslöst (z.B. Reaktorunfall). Grundsätzlich unterschätzt werden Risiken, denen man täglich begegnet und von denen man meint, sie kontrollieren zu können (z.B. Gesundheitsschäden durch Rauchen). Je größer die Vertrautheit mit der natürlichen und sozialen Umwelt, die Heimatverbundenheit und die soziale Integration ist, desto schwächer und irrealer wird oftmals die Risikowahrnehmung.

Prof. Hassemer: Die derzeitige Pandemie hat Unternehmen wie Individuen aufgezeigt, wie schnell sich vermeintlich feste Strukturen, Prozesse und Denkmuster in Luft auflösen. Weltweite Lieferketten, Überallerhältlichkeit von Produkten zu attraktiven Preisen sowie unbegrenzte persönliche Mobilität haben den Blick auf Probleme einer globalisierten Welt verstellt. Klimaphänomene, Krankheiten, wirtschaftliche Rezession, Industriespionage etc. machen an den Grenzen des eigenen Landes oder vor der eigenen Haustür nicht halt. Mit Folgen aus Globalisierung, Digitalisierung, Klima- und demographischem Wandel werden Studierende kontinuierlich konfrontiert sein und sich mit den Konsequenzen auseinandersetzen müssen.

Gibt es ein Set an Handwerkszeug, das in jeder Art von Krise hilft? Und wie kann man es sich aneignen?

Prof. Rothstein: Jede Krise hat ihre eigenen Gesetze. Aber es ist sehr sinnvoll, wie in der Mathematik, „Faktoren vor die Klammer zu ziehen“ und abzuarbeiten. Somit bleibt einem in der Krise mehr Zeit für die unvorhergesehenen Dinge, die es sicherlich ebenfalls geben wird.
Ein sehr wichtiges Handwerkszeug ist das Notfallmanagement, das sich aus den drei Komponenten „vor der Krise“, „während der Krise“ und „nach der Krise“ zusammensetzt. Zum Beispiel gehört zum Handlungsfeld „vor der Krise“ das Erstellen von Gefahrenanalysen und Maßnahmenplänen sowie die Organisation von Schulungs- und Trainingsmaßnahmen. Wichtig ist, dass alle Mitarbeiter des Unternehmens - jeder entsprechend seiner Aufgaben in Notfällen - geschult und trainiert werden müssen.
Das Wissen hierzu lässt sich z.B. im Rahmen von Seminaren an der AKNZ (Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz) – der Katastrophenschule des Bundes – erlernen. Die AKNZ bietet jedes Jahr ein sehr umfangreiches und vielfältiges Seminarprogramm an.

Prof. Hassemer: Hilfreich in jeder Krise sind individuelle Schutzfaktoren, die uns resilient machen gegenüber externen Bedrohungen und uns mit Energie versorgen, Krisen zu meistern. Dazu zählen positive Überzeugungen und Werthaltungen, Selbstkompetenz und -verantwortung, Verbundenheit mit dem Umfeld sowie die Fähigkeit zur Problemlösung.

Nun gibt es das Dilemma, dass eine gut gemeisterte Krise im Nachhinein nicht als Krise wahrgenommen und die Notwendigkeit eines guten Risiko- und Krisenmanagements in Frage gestellt wird. Wie können sich Krisenmanager dann behaupten, ohne als miesepetrige Schwarzseher oder Wichtigtuer abgestempelt, sondern ernst genommen zu werden?

Prof. Rothstein: Willkommen im Klub! Ein erfolgreiches Risiko- und Krisenmanagement stellt oftmals leider tatsächlich ihre Notwendigkeit im Nachhinein in Frage. Aber Sie sprechen das Kernproblem an: Wir haben es mit einem Dilemma zu tun. Ein Dilemma ist per Definition nicht auflösbar – außer durch eine Regeländerung. Diese Regeländerung könnte für die Curricula der HTWG-Studiengänge bedeuten, dass wir anerkennen in einer Risikogesellschaft zu leben und dies dann auch mit den Studiengang entsprechenden Veranstaltungen inhaltlich zu lehren. Es geht dabei um mehr als ein allenfalls ganz interessantes „Was-wäre-wenn-Spielchen-Seminar“. Unsere Curricula sind allerdings schon jetzt recht voll. Eine dauerhaft angebotene Studium-generale-Lehrveranstaltungsreihe für interessierte Studierende wäre sicherlich schon einmal ein guter Anfang.

Prof. Hassemer: Nach der Krise ist vor der Krise – unternehmerisches Entscheiden im Wirtschaftskontext befasst sich ständig mit gewissen Risiken oder krisenhaften Situationen. Gerade im internationalen Management sind aufgrund der grenzüberschreitenden Transaktionen solche Ereignisse eher Normalität als die Ausnahme. Gefordert sind heute agile Organisationsprozesse und wache, unternehmerisch denkende MitarbeiterInnen.

Sie lehren beide schon seit vielen Jahren das Thema Risiko- und Krisenmanagement. Welche Reaktionen haben Sie zum Stellenwert der Thematik in den zurückliegenden Jahren erfahren und denken Sie, der Stellenwert hat sich nach den jetzigen Erfahrungen in der Corona-Pandemie verändert?

Prof. Rothstein: Ich persönlich habe es leider nicht schaffen können, meine Kollegen von der Wichtigkeit einer im Curriculum fest als Pflichtveranstaltung verankerten Lehrveranstaltung „Risiko- und Krisenmanagement in Unternehmen“ – zumindest im Bereich der Masterstudiengänge – zu überzeugen. Ich würde mich sehr freuen, wenn an unserer Hochschule ein Sinneswandel einsetzen würde. Es sind ja gerade die Ingenieure, die wir ausbilden, die einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt sind. Corona wird wahrscheinlich wenig bewirken, weil das Ausgangsproblem – eine weltweite Pandemie – zunächst ein medizinisches war und auch jetzt noch nicht mit einem direkten Technikbezug wahrgenommen wird.

Prof. Hassemer: Im Masterprogramm International Management Asia-Europe (MIM) wird der Risikoaspekt explizit aufgegriffen. Komplexitäts- und Risikomanagement ziehen sich dort als roter Faden durch das Curriculum. Ergänzt werden Lehrveranstaltungen wie Enterprise Risk Management, Krisenkommunikation, Risikokompetenz, Supply Chain Management Legal and Risk durch Inputs externer Experten zum Thema Desastermanagement, Evakuierung oder Verhalten bei Geiselnahme.

Welche Rolle spielt das Ehrenamt für ein erfolgreiches Krisenmanagement in Deutschland und welchen Beitrag könnten hierbei unsere Studierenden leisten?

Prof. Rothstein: Hier spielt z.B. (neben den freiwilligen Feuerwehren, dem Roten Kreuz und vielen weiteren wichtigen operativen Kräften) das Technische Hilfswerk (THW) als Katastrophenschutzorganisation des Bundes eine wichtige Rolle. Strukturell betrachtet ist das THW weltweit einmalig, weil der weitaus größte Teil der Organisation aus Ehrenamtlichen besteht. Ich bin mir sicher, dass die bei uns an der HTWG ausgebildeten Ingenieure eine sehr wichtige Bereicherung für jeden der weit über 600 Ortsverbände in Deutschland wären. Im Rahmen der zahlreichen technischen Aufgaben, die das THW übernimmt, könnten unsere Studierenden ihre praktischen Erfahrungen bereits während des Studiums, aber auch natürlich danach, sehr sinnvoll ergänzen. Leider hat ja der Trend zum Ehrenamt in den vergangenen Jahren sehr stark abgenommen. Der THW hat übrigens auch einen Ortsverband in Konstanz.

Es ist interessant, wie man eine Krise frühzeitig erkennen kann. Noch viel mehr interessiert uns alle derzeit, wie man das Ende einer Krise erkennen kann. Wie sieht es Ihrer Meinung nach in der Corona-Pandemie aus? Welche Voraussetzungen müssen für ein sich anbahnendes Ende gegeben sein bzw. wann empfinden wir sie nicht mehr als Krise?

Prof. Rothstein: Meiner Meinung nach wird das Ende der Krise dann empfunden, wenn die Auswirkungen der Krise nicht mehr in unseren Alltag ausstrahlen. Dies wird wahrscheinlich erst dann der Fall sein, wenn wir einen geeigneten Impfstoff und/oder gute Medikamente zur Behandlung der Krankheit entwickelt haben – im Übrigen stellen beide Varianten technische Lösungen dar. Dies wiederum unterstreicht die besondere Bedeutung der Technik.

Prof. Hassemer: Die Gretchenfrage ist, ob wir den uns bekannten Ausgangszustand vor der Pandemie je wieder erreichen und insofern einen Anhaltspunkt für das Ende der Krise vor Augen haben werden. Das berühmte „new normal“ spielt sich auch in unseren Köpfen ab, wird Wahrnehmungen und Verhaltensmuster ändern und uns unmerklich in einen neuen, dann als normal gekennzeichneten Zustand befördern. Wie der aussieht? Ich bin gespannt.

Bildquelle: Rico Löb/Pixabay