Zurück zur Übersicht

Erfolgserlebnisse im Home-Lab

09.12.2020

Anwendungsorientierung ist ein starkes Profilmerkmal der HTWG. Dass Praxisanteile auch in Zeiten der Online-Lehre möglich sind, zeigen Versuche im „Heimlabor“.

Arbeiten im Homeoffice ist für viele HTWG-Angehörige seit März Normalität geworden. Doch Arbeiten im Homelab? Auch das ist für Studierende möglich. Klar, für die Gestaltungsstudiengänge ist die Arbeit an Projekten außerhalb des Campus beispielsweise für eine Foto-Serie nichts Neues. Aber wie lässt sich ein Labor im Studiengang Elektrotechnik und Informationstechnik ins Studierendenwohnheim verlagern? Wie eine Übung in Verfahrens- und Umwelttechnik in die WG? Auch das ist möglich!

Wenn der Postbote Sensoren, Kabel und Arduinos bringt

Die Studierenden der Veranstaltungen Prozessmesstechnik im Studiengang Verfahrens- und Umwelttechnik der Fakultät Maschinenbau zum Beispiel: Sie haben im Sommersemester Päckchen von der Hochschule bekommen. Reingepackt hatte Labormitarbeiter Karl-Heinz Waller vom Institut für Naturwissenschaften und Mathematik (INM) einen regelrechten Setzkasten aus einem Arduino, Kabeln und Sensoren. Damit sollten die Studierenden einige vorgegebene Messungen vorführen und sich Versuchsanordnungen ausdenken, „mit Aufgabenstellungen, die sich eben Zuhause so stellen“, erläutert Prof. Dr. Hartmut Gimpel.

Angewandte Messtechnik: Sensoren im Grillsteak

Die Sensoren konnten beispielsweise Abstände und Luftdruck messen, Temperatur, Feuchtigkeit und Beschleunigung. „Klar, unter normalen Umständen hätten die Studierenden im Hochschul-Labor des INM mit Industriesensoren arbeiten können“, räumt Prof. Gimpel ein. Die Profisensorik stand ihnen nun nicht zur Verfügung, aber die Freiheit, so anwendungsorientiert wie nur möglich zu arbeiten. So lag es für die einen nahe, die Sensoren beim Grillen einzusetzen, für die anderen, Luftdruck, Temperatur und Zeit beim Aufstieg mit dem Fahrrad auf den Schiener Berg zu messen. „Sie waren absolut frei in der Auswahl ihrer Aufgabe, mussten aber als Laborbericht ein Video zu den einzelnen Versuchen erstellen“, sagt Prof. Gimpel. Er hat die Videos in Moodle für alle zugänglich gemacht, so dass jede*r von den Erkenntnissen der Kommiliton*innen profitieren und auch darüber schmunzeln konnte. Manche haben die Geräuschentwicklung im Camper vor und nach der Installation einer geräuschmindernden Alubutylfolie untersucht, andere die Baumhöhe im Garten berechnet, nachdem sie den Luftdruck oben am Baum mit Hilfe einer Drohne gemessen hatten.

 

Höhenmessung eines Anfahrtsturms im Mountainbike-Dirtpark

Die Brüder Valentin und Vinzent Raimann zum Beispiel haben mittels Luftdrucksensor die Höhe eines Anfahrtsturms im Dirtpark in Rielasingen gemessen. Sie bauen schon seit vielen Jahren verschiedene Sprünge und haben auch den Dirtpark in Rielasingen-Worblingen mit ein paar Freunden selbstständig aufgebaut. „Als wir damals den Anfahrtsturm gebaut haben, haben wir die Höhe nicht ausgemessen, sondern mehr nach Erfahrung und Auge gebaut und falls nötig, den darauffolgenden Sprung angepasst“, erinnern sie sich und erläutern: „Da die Sprünge auch immer größer werden und man immer höhere Anfahrten braucht, um genug Schwung für den darauffolgenden Sprung zu haben, war es für uns interessant, einen Maßstab dafür zu bekommen, wie hoch solche Anfahrten sein müssen.“ Durch die Höhenmessung aus dem Versuch mit dem Luftdrucksensor haben sie jetzt einen guten Richtwert, an dem sie sich bei zukünftigen Anfahrten zusätzlich zu ihrer Erfahrung orientieren können und somit auch im Vorfeld Projekte (z.B. Bau eines neuen Tricksprungs) besser planen können. Der Dirtbike-Versuch ist im Video auf Youtube ab Minute 1.32 zu sehen.

Valentin und Vinzent Raimann, die beide Verfahrens- und Umwelttechnik studieren, sagen im Rückblick: „Die Idee Homelab ist auf jeden Fall eine gute Alternative zu den Laborversuchen, die sonst direkt an der Hochschule stattfinden. Die Lehrinhalte, die einem mit den Versuchen vermittelt werden sollen, konnten auch während des Homelabs gut vermittelt werden, auch wenn der Versuchsaufbau abweicht vom eigentlich Aufbau im Labor der Hochschule.“ Durch die Aufforderung, bei den eigenen Versuchsaufbauten und -durchführungen kreativ zu werden, hätten sie sich gezwungenermaßen mehr mit der Thematik auseinandergesetzt, da sie eben nicht den "Standard"-Laboraufbau durchführen konnten.
Philipp End und Simon Ruwe sahen im Homelab eine willkommene Abwechslung und den gelungenen Versuch, „auf simpelste Art und Weise den praktischen Bezug zu einem wissenschaftlichen Thema in den Alltag zu verlegen.“

Trotz Distanz in Kontakt mit Kommiliton*innen

Der Austausch mit Kommilitonen war durch die Online-Lehre im Sommersemester vollkommen unterbrochen. „Aber das Homelab hat dazu geführt, dass wir auch getrennt an verschiedenen Orten miteinander arbeiten mussten und gemerkt haben, dass das gut geht“, erzählen Philipp End und Simon Ruwe. Dank der Veröffentlichung der Versuchsvideos über Moodle konnten die Studierenden regelmäßig sehen, ob die Stimmung auch bei den Kommilitonen gut ist. Da sie zuhause häufig improvisieren mussten und nicht die unmittelbare Unterstützung wie im Präsenzlabor hatten, haben sie sich untereinander oder mit Internetrecherchen geholfen.

Ein Klavier aus Sensoren

Auch Charlotte Strohm und Dominique Bauer honorieren den Einsatz des Maschinenbau-Laborteams dafür, dass sie trotz Corona-Einschränkungen praktische Erfahrungen sammeln konnten: „Insgesamt können wir sagen, dass wir das Homelab wirklich cool fanden. Es ist einfach besser, gelernte Inhalte auch selbstständig anwenden zu können als nur theoretisch zu hören.“ Insgesamt seien die Versuche mit den Laboranleitungen alle gut umsetzbar und dennoch nicht langweilig gewesen. „Natürlich kann man im ersten Moment erwarten, dass im Vergleich zum realen Labor die Betreuung etwas kürzer kommt. Hier war Herr Gimpel jedoch sehr engagiert mit guten Anleitungen, Moodle, Webex-Meetings und schnellen Antworten per Mail bei Bedarf, wodurch es gut machbar war. Und manchmal schadet es vielleicht auch gar nicht, nicht direkt nachzufragen, sondern selbst weiter nach einer Lösung zu suchen, wenn man mal nicht weiterkommen sollte.“ Besonders schätzten die beiden Studentinnen, dass sie die Versuche nach persönlichen Vorlieben gestalten konnten, so dass sich das Gelernte noch besser verankert habe. „Uns war es dabei wichtig, die Anleitung nicht nur stupide abzuarbeiten, da dies teilweise auch schnell trocken werden kann. Vielmehr sind wir der Ansicht, dass es sich mit Spaß deutlich einfacher lernen lässt.“ Was die Studentinnen damit meinen, ist im Versuchs-Video auf Youtube ab Minute 2.54 gut zu erkennen.

Für Prof. Gimpel war die Verlagerung ins Homelab ein Experiment, „das auch aus Dozentensicht spannend war“. Im Labor auf dem Campus weiß er, was die Studierenden tun. Nun war auch jeder Versuch für ihn eine Überraschung. Trotz der Erfolge bleibt ein Wermutstropfen. Das Homelab hat als „Krücke“ ermöglicht, die grundlegendsten Sensoren und Verfahren kennenzulernen, andererseits sei natürlich der industrielle Bezug verloren gegangen. Das Präsenzlabor hätte den Studierenden ermöglicht, konventionelle Industriemessgeräte in die Hand nehmen und auf professionellem Level Messungen durchzuführen zu können.

Lichtmessungen im Bodensee

„Im letzten Versuch des Semesters sollten wir eine Messung mit einem Sensor unserer Wahl durchführen und die Ergebnisse bewerten. Diese Freiheiten wollten wir nutzen, um ein bisschen verrückt zu sein und mit den grundlegenden Utensilien, die uns zur Verfügung standen, etwas zu untersuchen, was wir tatsächlich noch nicht wissen“, erzählen Philipp End und Simon Ruwe (VUB). Also wollten sie messen, wie die Lichtverhältnisse im Seerhein bei verschiedenen Wassertiefen sind. Zur Umsetzung des Versuchs nutzten sie sämtliches Material, was sie in der WG gefunden haben: Einen Kochtopf als Gewicht, Gefrierbeutel als Wasserschutz und dazu ganz viel Panzerband. Die Fahrt mit dem Kajak galt natürlich nicht (nur) dem Vergnügen, sondern sie war nötig, da die Studenten vom Ufer aus keine ausreichende Wassertiefe erreichen konnten. „Der kreative Ausgleich zum Studieren war durch die filmische Umsetzung direkt inklusive. Und das Reflektieren der Versuchsergebnisse, das normalerweise bei der Ausarbeitung des Laborberichts geschieht, machte man nun beim Videoproduzieren.“ Hier der Link zum Kochtopf-Versuchsvideo auf Youtube.

Homelab in der Elektrotechnik

Auch Elektrotechnik-Professor Peter Abele hat im laufenden Wintersemester Übungen seiner SoC-Veranstaltung (System on Chip) und Elektronische Schaltungen ins Heimlabor der Studierenden verlegt. Für das Wahlpflichtfach SoC-Anwendungen  im sechsten bzw. siebten Semester ist das Labor Pflicht, sowie fakultativ zur Ergänzung der Pflichtveranstaltung Elektronische Schaltungen im zweiten Semester. „Sich berieseln zu lassen, das ist damit nicht mehr möglich. Nun müssen die Studierenden schon bei der eigenständigen Installation der Software beginnen, bevor sie die eigentlichen Aufgaben angehen“, erläutert Abele. Einerseits bedauert er dies, andererseits sieht er eine noch steilere Lernkurve bei den Studierenden, schließlich beißen sie sich selbst durch, bevor sie sich bei Kommiliton*innen oder ihrem Professor Hilfe per Mail, Telefon oder Online-Meeting holen. Sein erstes Fazit: „Das ist gut machbar.“

Corona-konforme Materialausgabe über ein Seitenfenster

Für das Wahlpflichtfach SoC-Anwendungen hat er als Material zwölf SoC-Boards an seine Studierenden ausgegeben, dazu ausgemusterte Oszilloskope, ausgemusterte Multimeter und ausgemusterte Signalgeneratoren. Dass das Material nicht das modernste ist, sei nicht von Nachteil. „Ich muss verstehen, was ich mache und warum ich es mache – das Baujahr des Geräts, womit ich es mache, ist dabei zweitrangig“, erläutert er. Unter Einhaltung der Abstandsregel konnten die Studierenden das Material am Campus abholen. Mitarbeiter*innen gaben es durch ein Fenster an der Rheingutstraße aus.

Mit Bedauern sieht Prof. Abele, dass die unmittelbare Betreuung der Studierenden wegfällt, die er gewährleisten würde, könnte er im Labor umhergehen, in dem die Studierenden arbeiten. Andererseits kann er der Situation auch Positives abgewinnen: „Für die besonders Interessierten bietet das Format sogar wesentlich mehr Möglichkeiten. Während der Zeitraum im Labor für die Studierenden auf eineinhalb Stunden pro Woche begrenzt ist, können sie mit dem Material zuhause so lange und so viel ausprobieren wie sie möchten.“ Dass damit auch einiger organisatorischer Aufwand für die Lehrenden und Mitarbeiter*innen verbunden ist, ist es ihm deshalb wert. Er fragt: „Was ist die Alternative? Damit wäre auch keinem geholfen.“

Microcontroller auf dem heimischen Schreibtisch

Schon etwas mehr Erfahrung hat Boris Böck mit der Arbeit von Studierenden im Homelab. Auch schon vor der Pandemie haben seine Studierenden Mikrocontroller-Boards mit nach Hause bekommen, „nur die Vorlesung und die Labore zusammen mit den Studierenden finden nun natürlich online statt“, räumt der Professor für Embedded Systems ein.

Wie schon im Sommersemester hat Prof. Böck auch im laufenden Wintersemester drei Veranstaltungen, für die die Studierenden im Heimlabor arbeiten: die Veranstaltungen Microprocessor Systems (EIB3), Verteilte Systeme (Vertiefungsfach EIB6/EIW6) und Embedded Systems (EIM). „In allen drei Veranstaltungen bekommt jeder Studierende einen Satz Mikrocontroller-Boards mit nach Hause, mit denen er dann zu Hause der Vorlesung folgen, alle Beispiele ausprobieren und einen eigenen Code erstellen und testen kann“, erläutert Boris Böck.

Microprocessor Systems (EIB3) ist eine Einführung in Mikrocontroller und Mikroprozessor Systeme als Online Vorlesung mit Labor und Programmieraufgaben für die Studierenden, die sie eben dann daheim durchführen können. In Verteilte Systeme (EIB6/EIW6) und Embedded Systems (EIM) arbeiten die Studierenden neben der Onlinevorlesung in Kleingruppen (zwei bis drei Personen) an verschiedenen Projekten beziehungsweise komplexeren Programmieraufgaben. In Verteilte Systeme werden beispielsweise verschiedene Sensorknoten entwickelt, die über unterschiedliche Protokolle/Schnittstellen in einem Netzwerk (LAN) kommunizieren können. In Embedded Systems entwickeln die Studierenden in diesem Semester ein Pulsoximeter, ein medizinisches Messgerät zur Bestimmung des Sauerstoffgehaltes im Blut.

„Ich habe den Eindruck, dass das bei den Studierenden gut ankommt und trotz der allgemein schwierigen Corona Situation doch ein halbwegs normales Arbeiten ermöglicht, auch wenn natürlich eine Präsenzvorlesung und -übung immer eine deutlich intensivere Interaktion zwischen mir und den Studierenden erlaubt“, so die Beobachtung von Prof. Böck.

Material als Leihgabe

Alles herausgegebene Material ist eine Leihgabe der Hochschule, was nach dem Semester wieder eingesammelt wird. Einige der Studierenden im Maschinenbau hätten sich ihren „Setzkasten“ jedoch auch gekauft, um weiterhin damit arbeiten zu können, hat Prof. Gimpel beobachtet. Die Labormitarbeiter des INM hatten übrigens keinen Aufwand beim Versand gescheut: Schließlich sollte auch für Studierende, die in der Schweiz wohnen, die Teilnahme möglich sein. „Für deren Päckchen hat Frau Scitnik von der Poststelle sogar noch ordnungsgemäß eine Zollerklärung ausgefüllt“, erzählt Prof. Dr. Hartmut Gimpel