Lehren, wo der Pfeffer wächst
26.07.2019
Ein Professor der HTWG stärkt Studierende der Seychellen dabei, ihren Inselstaat als Paradies zu erhalten. Auch Konstanzer Studierende können dabei helfen.
Die Bilder, die Prof. Dr. Benno Rothstein von den Seychellen zeigt, übertreffen noch bei weitem alle Klischeevorstellungen von einem Urlaubsparadies: Weiße Strände, einsame Buchten, türkisfarbenes Meer, herzige Schildkrötenbabys, Urwald mit einzigartigen Pflanzen, tropische Früchte, exotische Gewürze, frischer Fisch usw. usw. „Das sind die Bilder, die sich den Touristen aufdrängen. Anfangs war auch ich erschlagen von der Schönheit“, sagt Rothstein. Wer jedoch etwas länger hier lebe und sich abseits der bekannten Pfade bewege, könne auch die Schattenseiten erkennen, die der westliche Lebensstil, der weiter wachsende Tourismus und der Klimawandel auf den Inselstaat werfen.
Professor Benno Rothstein hat zwei Monate an der Universität der Seychellen UniSey gelehrt und dabei eben auch hautnah erlebt, dass der Globale Wandel auch vor dem Inselstaat im Indischen Ozean nicht haltmacht.
„Die vielfältigen Aspekte des Globalen Wandels – wie etwa der Klimawandel, der Rückgang der Biodiversität und die Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten – bekommen auch die Seychellen deutlich zu spüren“, erzählt er. Darüber hinaus hat Rothstein auch die zumeist mit klimaschädlichem Schweröl betriebenen Ölkraftwerke gesehen, die den immer weiter steigenden Strombedarf der Inseln decken. Sonne gäbe es genug, um mittels Solaranlagen Strom und Wärme zu produzieren“, so Rothstein, der an der HTWG im Studiengang Umwelttechnik und Ressourcenmanagement unter anderem „Erneuerbare Energien“ lehrt.
Naturschutz in der Verfassung verankert
Dabei genießen gerade die Entwicklung und der Schutz natürlicher Ressourcen auf den Seychellen eigentlich einen sehr hohen Stellenwert. Seit der Unabhängigkeit im Jahre 1976 steht der Naturschutz auf den Seychellen in der Verfassung, die Republik war das erste Land der Erde, das Umweltschutz in die Verfassung aufgenommen hat. Mehr als die Hälfte der Landfläche ist zum Naturschutzgebiet erklärt worden – ein weltweiter Spitzenwert. Natur‐ und Umweltschutz werden auf den Seychellen nicht hinterfragt, sondern in vielfacher Weise - in der Gesetzgebung, in den Geschäftsmodellen der zahlreichen Tourismusanbieter, im persönlichen Verhalten - als Selbstverständlichkeit angesehen und gelebt. Beispielsweise ist Plastikgeschirr schon seit 2017 verboten. Und dennoch ist der Bedarf an weiteren Konzepten zur nachhaltigen Wirtschaftsweise groß.
Vorlesung „Der Energiesektor: von konventioneller zu erneuerbarer Stromerzeugung“
Das war schließlich auch der Anlass für Rothstein, für eine Lehrtätigkeit anzureisen: Er unterstützte die Universität der Seychellen (UniSey) bei der Entwicklung der neuen Masterstudiengänge „Marine Science and Sustainability“ und „Sustainable Tourism Management“. Parallel bot er im Bachelorstudiengang „Environmental Science“ u.a. die Vorlesung „Der Energiesektor: von konventioneller zu erneuerbarer Stromerzeugung“ an. Die UniSey besteht erst seit etwa zehn Jahren. Rothstein konnte trotz der relativ kurzen Aufenthaltsdauer ein wenig Aufbauarbeit leisten, auch wenn er unter anderen Voraussetzungen in Deutschland abgereist war.
„Angereist war ich mit der Erwartung, im Masterstudiengang zu lehren. Allerdings hat sich dessen Start verzögert und gleichzeitig waren im Bachelorstudiengang Personallücken entstanden. Also bin ich hier eingesprungen“, erzählt Rothstein, der vor sieben Jahren von der Hochschule Rottenburg zum Mitaufbau des neuen Bachelorstudiengangs Umwelttechnik und Ressourcenmanagement an die HTWG gekommen war.
Einsatz erforderte Flexibilität
Nicht nur der Umstand, vor Bachelor- an Stelle von Masterstudierenden zu stehen, sondern auch weitere Herausforderungen erforderten Flexibilität: „Es gibt kaum Fachliteratur. Die Bibliothek der UniSey ist sehr klein und andere, wichtige Bibliotheken auf den Seychellen sind wegen starken Pilzbefalls überwiegend nicht zugänglich und in meinem Fachgebiet wenig aktuell. Online-Journals oder E-Books gibt es aufgrund der hohen Lizenzgebühren keine. Die Studierenden müssen ihre Vor- und Nachbereitung der Vorlesungen überwiegend auf google stützen“, beschreibt Rothstein die Situation. Die Unterlagen und Skripte der Dozentinnen und Dozenten haben deshalb für die Studierenden der UniSey eine besondere Bedeutung, sind sie doch oft die wichtigste Quelle an Fachliteratur. Kein Wunder, dass so auch die eigens für die UniSey erstellte umfangreiche Vorlesung mit über 1500 Folien von Prof. Rothstein sehr willkommen war.
Vor Ort zu leben und die Problemstellungen unmittelbar zu erleben, hätten ihm sehr geholfen, die Lehrinhalte spontan anzupassen. Denn schnell habe er festgestellt, dass er sie ganz konkret auf die Situation vor Ort herunterbrechen und an den soziokulturellen Kontext anpassen musste, um die Studierenden in ihrer Lebenswirklichkeit zu erreichen. „Besonders freut es mich, dass ich so die Studierenden zu einer kritischen Reflexion hinsichtlich des seit Jahren steigenden Energieverbrauchs mit der fast ausschließlichen Verwendung des umweltschädlichen Schweröls hinführen konnte“, erzählt Rothstein.
Klimawandel und Globalisierung provozieren Gefühl der Ohnmacht
Obwohl sie sich für den Studiengang entschieden hatten, habe er Perspektivlosigkeit und ein Stück weit Frustration bei den Studierenden wahrgenommen. Zum Teil spürten sie ihre Ohnmacht darüber, dass die Seychellen, trotz ihrer recht einsamen Insellage den Globalen Wandel mit seinen vielfältigen Aspekten deutlich zu spüren bekommen. Die Zunahme nicht nachhaltiger Lebensstile und die Verflechtung von Kulturen und Wirtschaftsräumen spare schließlich auch den fernab gelegenen Inselstaat nicht aus. Deshalb sei ihm der vertrauensvolle Austausch mit den Studierenden wichtig gewesen, um ihnen eine Perspektive aufzeigen zu können. So konnte er ihnen Tipps geben, welche spezifischen Berufs- und Beschäftigungsfelder durch den Abschluss ihres Studiums möglich sind und welche Spezialisierungen sie hierfür am besten wählen sollten.
Tourismus hat enorme Bedeutung
Eine besondere Rolle wird für sie vermutlich der Tourismus spielen. Es gibt schließlich gute Gründe, weshalb der Master „Nachhaltiges Tourismusmanagement“ eingeführt wird. 30 Prozent der Bevölkerung arbeiten im Tourismus. Sie erwirtschaften dort 70 Prozent des Volkseinkommens. Der Tourismus hat stark zugenommen. Hatten die Seychellen vor Jahren noch das Image eines Reiselandes mit hohem Exklusivitätscharakter, setze so langsam die Entwicklung hin zum Massentourismus ein. „Die Flüge sind inzwischen günstiger geworden“, sagt Rothstein, von Zürich aus sind bei einem Nonstop-Flug etwa 850 Euro hin und zurück üblich – wird ein Umsteigen akzeptiert, so wird es noch einmal deutlich billiger.
Der Tourismus verstärkt viele ohnehin vorhandene Probleme: Nicht nur Energierohstoffe, sondern bis zu 95 Prozent aller Produkte müssen importiert werden. Dazu gehören auch Nahrungsmittel wie tropische Früchte, weil der Platz an landwirtschaftlichen Nutzflächen auf den Seychellen äußerst gering ist. „Fleisch kommt aus Lateinamerika, Gemüse und Obst aus Afrika und Milch von fast allen Kontinenten.“ Oftmals herrscht daher kein allzu großes Bewusstsein, woher die Produkte eigentlich kommen. Um die Wertschätzung für lokal produzierte Lebensmittel zu erhöhen verfolgt Rothstein die Idee, ein Label zu entwickeln und einzuführen, das die auf den Seychellen produzierten Lebensmittel kennzeichnet. „Nur muss dann erst einmal geklärt werden: Was sind wirklich einheimische Produkte? Auch z.B. das köstliche „Asar Legim“, das aus für den weiten Schiffstransport eingefrorenem Gemüse und einheimischen Zutaten wie Chili und Gewürze vor Ort traditionell hergestellt und in wiederverwendeten Marmeladengläsern verkauft wird“ führt Rothstein aus. Er sieht in der Aufgabe ein geeignetes Thema für eine Abschlussarbeit. Wie können die Inselbewohner sensibilisiert werden, heimische Produkte höher zu bewerten und eben dann auch verstärkt einzukaufen?
„Das treibt einem die Tränen in die Augen“
Natürlich stelle auch der gesamte Bereich der erneuerbaren Energien eine Berufsperspektive dar. Auch wenn es „durchaus nicht einfach ist, die bereits zur Marktreife entwickelten und wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Technologien der Erneuerbaren Energien zu implementieren“, räumt Rothstein ein. Vor Ort musste er feststellen, dass die Gegebenheiten oft eben anders sind als sie aus der Entfernung scheinen: Windkraft könnte theoretisch eine Energiequelle auf den Seychellen sein. Praktisch sei das Aufstellen von Windrädern an Land jedoch kaum möglich: „Der am besten geeignete Standort ist mit Lastkraftwagen, die für den Transport der schweren Rotorblätter nötig sind, nicht zugänglich“, sagt Rothstein. Der einzig mögliche Standort liegt in der Einflugschneise des Flughafens. Um den Flugverkehr nicht zu stören, durften jedoch nur recht kleine Windkraftanlagen gebaut werden.
Beim Blick auf die nur sehr zögerliche Nutzung der Sonnenkraft wird Rothstein traurig: „Es treibt einen die Tränen in die Augen, wenn man sieht, wie wenig Solarenergie genutzt wird.“ Doch beim genaueren Hinsehen lassen sich auch hierfür Gründe erkennen: Zum Beispiel gibt es auf den Inseln recht wenig freie Flächen. Außerdem mache die derzeitige Reglementierung des lokalen Energieversorgers die Einspeisung von Strom aus regenerativen Energien finanziell unattraktiv.
„Auch wenn ökonomische und ökologische Gründe ganz eindeutig für den Ausbau der Erneuerbaren Energien sprechen, die Technik verfügbar ist und die naturräumlichen Gegebenheiten zum Beispiel mit der Anzahl der Sonnenstunden sehr vorteilhaft sind, ist die Bedeutung sozialer Faktoren nicht zu unterschätzen“, gibt Rothstein zu bedenken. Beispielsweise profitierten ganze Bevölkerungsgruppen in vielfältiger Weise vom guten Willen arabischer Staaten, die Seychellen mit günstigem Schweren Heizöl (heavy fuel oil) zur Stromerzeugung zu versorgen. So sei von 2000 bis 2015 der Spitzenbedarf an Strom pro Jahr um 4,3 Prozent auf der Hauptinsel Mahé gestiegen – deutlich mehr als der weltweite Durchschnitt von 2,3 Prozent. Im selben Zeitraum (2000‐2015) sei der Gesamtverbrauch an Erdöl auf den Seychellen um 78 Prozent gestiegen.
Deshalb sagt Rothstein: „Die geplante Erweiterung der Kapazität der Ölspeicherung und Ölkraftwerke kann nur dann verhindert werden, wenn die Akzeptanz für Erneuerbare Energien bei weiten Bevölkerungskreisen deutlich gesteigert wird. Hier gilt es bloße Lippenbekenntnisse über die Wichtigkeit der Erneuerbaren Energien in eine persönliche Investitionsbereitschaft in entsprechende Anlagen auf dem eigenen Grundstück zum Beispiel im Bereich Photovoltaik und Solarthermie zu überführen.“ Doch weiß er nach eigener Anschauung: Die Bauweise der Dächer der meisten Häuser mache es schlicht nicht möglich, Solarpanels darauf anzubringen. Auch hier sieht Rothstein ein mögliches Projekt für Studierende aus Konstanz: Wie wäre es, für die Dachkonstruktionen Lösungen zu finden, damit auch an Wohnhäusern Solarpanels angebracht werden können?
Oder wären zum Beispiel schwimmende Photovoltaikanlagen als Korallenschutz möglich? Themen für weitere Projektarbeiten und Abschlussarbeiten hat Rothstein viele. Ihm ist an einer Zusammenarbeit zwischen HTWG und UniSey gelegen. Die Universität ist erst vor etwa zehn Jahren gegründet worden. Ein Projekt, das zwar Glanz auf die Republik werfen soll, das aber hierfür auch recht große Kraftanstrengungen benötigt. Manche infrastrukturellen schwierigen Gegebenheiten habe aber der sehr kollegiale Austausch mit den Lehrenden der UniSey wieder wettgemacht. Der Ehrgeiz der einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die UniSey voranzubringen gepaart mit der großen Motivation ausländischer Dozentinnen und Dozenten, vor allem aus Südafrika, sei sehr ansteckend. Und: Durch den intensiven Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen wie auch zu Inselbewohnern im Alltag haben sich für Rothstein zahlreiche Projektideen inklusive der Anknüpfungspunkte zum interdisziplinären Arbeiten entwickelt.
Wertvolle Bereicherung der Hochschulausbildung der Seychellen
Eine Erinnerung an den vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanzierten Aufenthalt ist Rothstein besonders wichtig: „Es hat mich sehr gefreut, dass ich von den Einheimischen – nachdem sie von meiner Lehrtätigkeit an der UniSey erfahren hatten – immer wieder sehr viel Respekt, Anerkennung und Dankbarkeit entgegengebracht bekommen habe.“ Diese Warmherzigkeit und Wertschätzung drückte sich zum Beispiel in kleinen Gesten wie dieser aus: In Museen, bei denen ausländische Touristen einen deutlich höheren Ticketpreis zahlen müssten, haben sie von Rothstein lediglich den Preis der Einheimischen gefordert, nachdem sie von seiner Tätigkeit erfahren hatten. „So verstärkte sich mein Gefühl, dass meine Tätigkeit als Gastdozent tatsächlich eine wertvolle Bereicherung der Hochschulausbildung der Seychellen darstellt.“
Der Kontakt soll weiter bestehen
Das soll es nun aber nicht gewesen sein. Den Kontakt zur UniSey will der Professor unbedingt fortführen und verstetigen. So steht er für seychellische Studierende bereit, die ihre Abschlussarbeit bei ihm schreiben möchten. Umgekehrt will er Studierende der HTWG dafür gewinnen, ihre Abschlussarbeit in Kooperation mit der UniSey zu schreiben, inklusive eines Aufenthaltes vor Ort. „Ich spüre zwar die Befürchtung, dass der Aufenthalt als Urlaub gebrandmarkt werden und dem Qualitätsanspruch eines deutschen Ingenieurs nicht genügen könnte, aber dem können wir mit einer gut betreuten Abschlussarbeit entgegenwirken." Übrigens arbeiten auch international renommierte Universitäten mit den Seychellen zusammen: Die UniSey bietet Double Degree-Abschlüsse auch mit der University of Oxford und der Pariser Sorbonne an.
Die Seychellen und die University of Seychelles
Die Republik Seychellen besteht aus 115 Granit- und Koralleninseln im Indischen Ozean. Topografisch gehört der Staat mit seinen rund 90.000 Einwohnern zu Afrika. Die Inseln haben ein großes Bevölkerungswachstum erlebt, seit den 50er Jahren hat sich die Anzahl der Bewohner von rund 30.000 um zwei Drittel auf rund 90.000 erhöht, das Durchschnittsalter der Seychellois liegt bei 32 Jahren.
Die Bevölkerung der Seychellen – die Seychellois – setzt sich zum überwiegenden Teil aus den Nachfahren der aus verschiedenen französischen Kolonialgebieten eingewanderten Siedler und ihrer afrikanischen Arbeitssklaven zusammen. Daneben existiert eine Minderheit mit rein europäischer Abstammung sowie kleine chinesische und indische Minderheiten.
Amtssprachen sind Seychellenkreol, Englisch und Französisch, an der Universität wird in englischer Sprache gelehrt. Die University of Seychelles befindet sich in Anse Royale unweit der Hauptstadt Victoria (zirka 25.000 Einwohner) auf der Hauptinsel Mahé.