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Nichts für Betonköpfe

25.06.2019

Im Wettbewerb um nachhaltige, zukunftsfähige Ideen schwimmt das Betonkanu-Team der HTWG obenauf.

Dass Studierende ihre Ingenieurskunst, die im Studium erworbenen Kenntnisse aus Werkstoffkunde, Baustatik, Konstruktionslehre und Mathe in die Konstruktion eines Bootes fließen lassen – für eine technische Hochschule, die am Seerhein liegt, eigentlich ein naheliegendes Projekt. Ungewöhnlich ist jedoch der Werkstoff: Aus Beton gefertigt sind die Kanus, die derzeit an der HTWG gebaut werden, und im sportlichen Wettkampf um Schnelligkeit bei einer Regatta bestehen sollen.

Gegenstände aus Beton als „filigran“ zu bezeichnen, würde wohl keinem Laien in den Sinn kommen. Dafür muss man sich mit dem Werkstoff schon gut auskennen. Wie Max Forstner, angehender Bauingenieur und Mitglied im Betonkanu-Team „Seehasen“ der HTWG. „Das ist ja gerade das Faszinierende: Die Vielseitigkeit dieses Werkstoffs. Ich kann aus Beton Wolkenkratzer bauen, Tunnel unter einem Gebirge, aber eben auch filigrane Bauteile wie dieses Boot. Oder sogar Schmuck“, schwärmt er.

Dem Beton ein neues Image verleihen. Vermutlich war das die Motivation, die den Bundesverband der Deutschen Zementindustrie dazu bewog, 1986 die erste Betonkanu-Regatta ins Leben zu rufen. Seither findet sie (im Regelfall) alle zwei Jahre statt, 2019 bereits zum 17. Mal. Zur Teilnahme eingeladen sind alle Hochschulen, Berufsfachschulen und Ausbildungszentren, an denen Betontechnologie und -technik gelehrt wird. Seit 1994 beteiligt sich auch die Hochschule Konstanz an dem Wettbewerb.

Am nächsten Juniwochenende ist es wieder soweit: Auf dem Neckar in Heilbronn treten 41 Teams aus sieben europäischen Ländern in zwei Disziplinen gegeneinander an: Es gibt die Offene Klasse und die Wettkampfklasse. „Weil wir alle im Studium ziemlich eingespannt sind, hat uns dieses Mal die Zeit leider nicht für eine Konstruktion in der Offenen Klasse gereicht, deshalb haben wir uns auf die Wettkampfkanus konzentriert“, erklärt Fabienne Baur, Betonkanu-Mitglied und Masterstudentin im zweiten Semester Bauingenieurswesen. Zwei Kanus dürfen die Regatta-Teams mitbringen, pro Kanu tritt die HTWG mit jeweils einer Damen- und einer Herrenmannschaft an.

Postkutschen, Wikingerschiffe und VW-Bullis

In der Wettkampfklasse absolvieren die Kanus eine Regatta. Es geht also darum, die Rennstrecke möglichst schnell zu absolvieren. Sie besteht aus einer geraden Rennstrecke und einem Slalomkurs. Eine Jury bewertet die Wettkampfkanus außerdem hinsichtlich Konstruktion und Gestaltung. Die konkurrierenden Teams müssen bereits im Vorfeld einen detaillierten Bericht einreichen, der Auskunft gibt über Konstruktion und Bauausführung sowie über die verwendeten Materialien und die Betonzusammensetzung.

In der Offenen Klasse hingegen findet kein Wettrennen statt. Bewertet werden stattdessen die Originalität, die Konstruktion und die Verwendung von Beton, auch für Gestaltung und Ausstattung gibt es Punkte. Dazu müssen die Wasserfahrzeuge am Wettkampftag gemeinsam mit den Betonkanus an einer Parade auf dem Wasser teilnehmen. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt: Egal ob Postkutsche, Schaufelraddampfer oder Südseeinsel – Hauptsache aus Beton, Hauptsache, es schwimmt. 2009 trat die HTWG mit einem Wikingerschiff in der Offenen Klasse an, 2013 wurde im originalgetreuen Maßstab ein VW-Bus zu Wasser gelassen. Mit viel Liebe zum Detail wurden neben original Scheinwerfern, auch Türgriffe, Rückspiegel und Stoßstangen verbaut.

Zu einem Sieg hat es bisher nur 1994 in der Kategorie „Gestaltung“ gereicht. Aber darum geht es an diesem Wochenende auch nicht in erster Linie: „Alle, die im Betonkanu-Team mit dabei sind, machen das wegen dem Spaß. Wir sind eine coole Truppe, wir arbeiten zusammen, feiern zusammen. Und die Regatta ist wie ein großes Festival“, sagt Forstner.

Preise werden auch für die Gestaltung der T-Shirts und in diesem Jahr erstmalig auch für den Social-Media-Auftritt der Teams vergeben.

Das Betonkanu-Team der HTWG in den Sozialen Medien:

Ein interdisziplinäres Studierendenprojekt

In den beiden Kanus, die bei der Regatta antreten dürfen, steckt die Arbeit eines ganzen Jahres. Knapp 30 Studierende arbeiten im Betonkanu-Team der HTWG. Sie stammen aus unterschiedlichen Fakultäten der Hochschule, jeder ist willkommen mitzumachen. Alle Teammitglieder verbindet eine Affinität zum Bauen und Konstruieren sowie handwerkliche Begabung. „Wir sind alle technisch versiert“, betont Max Forstner. „Wir haben einen Zimmerer im Team, wir haben einen Schlosser mit dabei, jeder von uns war schon mal auf der Baustelle und hatte schon mal einen Hammer in der Hand. Es ist einfach Teamwork, bei dem alle ihre Kenntnisse einbringen.“ Ein Drittel des Teams ist weiblich und jede und jeder packt dort mit an, wo gerade helfende Hände gebraucht werden.

Die meisten Teammitglieder studieren Bauingenieurwesen. Somit ist das Betonkanu-Projekt auch ein gelungenes Beispiel für einen sinnvollen und funktionierenden Wissenstransfer von der Theorie in die Praxis. Im Studium gelerntes Wissen fließt unmittelbar in den Bau der Kanus mit ein, bei der Mischungsberechnung des Betons beispielsweise oder der Auftriebsberechnung der Boote. Letztere wurde von einem Studenten durchgeführt, der an der HTWG im Master Bauingenieurwesen mit der Vertiefungsrichtung Wasser- und Verkehrswesen studiert. „Deswegen macht es ja auch viel mehr Spaß, weil man wirklich sieht, das, was ich im Studium lerne, das kann ich hier anwenden und genau das, was ich hier anwende, brauche ich später auch auf der Baustelle“, findet Max Forstner.

Über eine sportliche Vorliebe hat übrigens niemand zum Betonkanu-Team gefunden: Hobbykanuten gibt es keine im Team.

Praxisnahes Lernen im Team

Wissen wird immer auch durch Experimentieren und Ausprobieren generiert, learning by doing. Das ist beim Betonkanu-Bau nicht anders: Sei es die Bewehrung aus Jutegewebe, die Schalung oder die richtige Betonrezeptur – alle verwendeten Materialien haben mehrere Test durchlaufen, Alternativen wurden geprüft und wieder verworfen, bis schließlich ein Optimum und eine gute Handhabung erreicht wurden. Es ist keine triviale Aufgabe, Festigkeit und Wasserdichtheit des Baustoffs Beton so in der Kanukonstruktion einzusetzen, dass die Boote gleichzeitig stabil und leicht sind. Leicht ist dabei allerdings relativ: Zwischen 160 und 108 Kilos bringen die Betonkanus auf die Waage. Aber durch Tüftelei und mehrfaches Ausprobieren konnten die Kanukonstrukteure bereits rund 25 % an Gewicht einsparen. Die Wände der Kanus sind inzwischen hauchdünn: Nur ca. 15 Millimeter Beton trennt die nassen Fluten des Bodensees und die Kanuten.

Rückschläge sind dabei allerdings nicht zu vermeiden. Ende April hatte das Team das erste Kanu fertig betoniert. Doch beim Ausschalen riss das rote Boot auseinander – der Beton war nicht dick genug. Die Kanukonstrukteure nahmen das Ganze mit Humor: „Wir trauern sehr um unser Kanu, aber er hätte es nicht anders gewollt, als dass wir weiter machen und aus unseren Erfahrungen lernen! “, kommentierte das Team auf Instagram.

Warum hat das Betonkanu-Team den "Seehasen" im Logo?

Das Logo des Betonkanu-Teams ist inspiriert von einem regionalen Fabelwesen: dem Seehasen. Der Legende nach ist der Seehase eine Mischung aus Hase und Fisch und kommt jedes Jahr aus dem Bodensee, um Hasenklee unter den Kindern zu verteilen. Gekrönt wird der Seehase im Logo des Betonkanu-Teams von der Konstanzer Betonfigur Imperia. Entworfen wurde das Logo von Yuri Malcangi.

Glimmer und Glitzer im Betonlabor

Betoniert wird in den Räumlichkeiten der „Öffentliche Prüfstelle für Baustoffe und Geotechnik“ an der HTWG. „Wir sind sehr dankbar, dass wir hier arbeiten können und die Prüfstelle uns so freundlich unterstützt“, sagt Max Forstner. Als zusätzlicher Arbeits- und Lagerraum steht dem Team außerdem ein Container auf dem Campus zur Verfügung.

Nachdem im Wintersemester die Materialien geprüft und ausprobiert wurden und das Konzept erstellt, standen im Sommersemester vor allem das Bauen der Verschalung und das Betonieren der Boote auf dem Programm. Vier Kanus sind so inzwischen entstanden. Forstner erklärt den Bauvorgang im Detail: „Zuerst bauen wir die Holzschalung zusammen, darauf kommt der Lehm. Wir lassen ihn mindestens zwei Tage trocknen, bis er leichte Risse kriegt und die Lehmschicht in sich selbst schon ausgetrocknet ist. Die Lehmschicht darf nicht zu nass sein, sonst kann man den Lehm vom Holz fast nicht mehr trennen und es ist es superschwer, das später auszuschalen. Vor dem Betonieren müssen wir dann nur noch kurz die Lehmrisse schließen. Dann wird die Bewehrung, die aus einem Jutegewebe besteht, darauf platziert. Zusätzlich verwenden wir Basaltfasern im Beton, als zweite Bewehrungsart. Die sind in der Betonmasse eingearbeitet und bewehren diesen zusätzlich. Das Gewebe wird vollflächig über das Kanu gelegt und darauf der Beton verteilt. Nach ungefähr einem Tag ist der Beton soweit getrocknet, dass man das Kanu ausschalen kann, also die Lehmkonstruktion entfernen.“ 

Bei Boot Nummer drei namens „Hope“, das ganz in Grün gehalten ist, haben sich die „Seehasen“ besonders viel Mühe für die Oberflächengestaltung gegeben: Im Open Innovation Lab der HTWG fertigten sie mittels 3D-Drucks einen Stempel in Blattform an, der in den nassen Beton eingedrückt wurde und eine schöne Blättergirlanden-Optik ergab. Die Vertiefungen wurden mit Glimmer ausgelegt, so dass das Kanu in der Sonne funkelt und glitzert. Die Jungfernfahrt auf dem Seerhein hat die Hope mit Bravour gemeistert und steht nun bereit, in den Neckar zu stechen.

Nachhaltigkeit wird großgeschrieben

Beim Bau der Kanus lässt sich selbstverständlich auch auf das Wissen derer zurückgreifen, die schon bei der letzten Regatta  mit dabei waren. Für manche ist es nach 2015 und 2017 bereits die dritte Regatta. Das zeugt von einem guten Teamgeist und davon, dass es nie langweilig wird, sich das Team jedes Mal etwas Neues einfallen lässt. In diesem Jahr setzt das Betonkanu-Team bei seinem Konzept auf Nachhaltigkeit – und liegt damit voll im Trend.

Denn die Betonherstellung ist ein energieintensiver Prozess. Ressourcen sparen ist deshalb oberstes Gebot. Wie sich der CO2-Fußabdruck verringern lässt, wird deshalb nicht erst seit der Fridays for Future-Bewegung an der HTWG erforscht. Dr. Sylvia Stürmer, Professorin für Baustofftechnologie, Bauphysik und Bauwerkserhaltung an der HTWG ist die betreuende Professorin des Betonkanu-Teams. Ihre Forschung zu Recyclingbeton hat das Betonkanu-Team inspiriert.

Die Studierenden gehen mit ihrem Nachhaltigkeitskonzept aber noch einen Schritt weiter: Nicht nur wird beim Bau der Kanus recyclebares Material verwendet und auf Ressourceneinsparung geachtet. Viele weitere Aspekte wurden unter dem Nachhaltigkeitsaspekt geprüft: Beispielsweise bestehen die T-Shirts des Teams aus nachhaltig angebauter Baumwolle und der Präsentationsstand bei der Regatta wurde so konstruiert, dass man ihn wiederverwenden kann. Auch die Schalung für die Kanus besteht aus umweltverträglichen Materialien: Holz und regional vom Bodensee stammendem Lehm.

Ein innovatives, zukunftsweisendes Konzept, das bei der Regatta einzigartig sein wird. Das vermutet zumindest Max Forstner: „Wir verfolgen natürlich auf Instagram, was die anderen Teams machen. Bisher habe ich nicht mitgekriegt, dass irgendein anderes Team so stark auf Nachhaltigkeit setzt.“

Angewandte Leidenschaft

Die zeitliche Investition der Studierenden in dieses Projekt ist enorm: Zweimal wöchentlich treffen sie sich. Jetzt, kurz vor der Regatta, sogar noch öfter. Zwar können sie sich die Arbeit im Betonkanu-Team als Studienleistung anerkennen lassen, allerdings stünden die Credit Points in keinem Verhältnis zu den Arbeitsstunden, so Teammitglied Franco Rose. Warum also dieses Engagement, zusätzlich zu einem anspruchsvollen, fordernden Master-Studium Bauingenieurwesen?

„Man steckt schon viel Arbeit und Zeit in dieses Projekt, das stimmt“, sagt Rose. „Aber wir alle haben einfach eine Leidenschaft für das, was wir tun. Planung, Konstruktion und natürlich auch die Umsetzung, das macht einfach Megaspaß. Und: Bei einem Projekt von Anfang bis Ende selbst dabei zu sein, das theoretisch gelernte Wissen mit einem konkreten Ziel anzuwenden.“ 

Der praktische Aspekt gefällt auch seiner Kommilitonin Fabienne Baur: „Ich finde es gut, dass man hier die Werkstoffe auch mal in die Hand nimmt und nicht nur in der Vorlesung theoretisch lernt, wie es funktioniert. Sondern dass ich auch im Labor stehe und betoniere.“

Max Forstner ergänzt: „Das Betonieren hat mir am meisten Spaß gemacht, weil am Ende die ganze Arbeit, die man reingesteckt hat, sichtbar wird. Und das grüne Kanu sieht einfach super aus!“ Stimmt! Wir drücken unseren "Seehasen" jedenfalls alle Daumen für die Regatta am 29. Juni.

https://www.beton.org/inspiration/betonkanu-regatta/