Zurück zur Übersicht

Promovieren mit Kind: Unberechenbar aber möglich!

02.03.2022

Summa cum laude oder auf Deutsch: „mit höchstem Lob“ hat Christina Ungerer im Januar ihre Dissertation verteidigt. Auf dem Weg zu diesem hervorragenden Ergebnis hat die Wirtschaftswissenschaftlerin, deren Promotion unter anderem von HTWG-Professor Dr. Guido Baltes betreut wurde, ihre kleine Tochter zur Welt gebracht. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie sie die Doppelrolle gemeistert hat.

Die schlechte Nachricht für alle werdenden Eltern, die Kind und Karriere vereinen möchten, vorneweg: „Man kann sich nicht darauf vorbereiten. Ich habe vieles unterschätzt“, sagt Christina Ungerer. Die gute Nachricht: Es kann trotzdem funktionieren. In Christina Ungerers Fall funktioniert es sogar ausgezeichnet. Und das obwohl sie noch gar nicht darüber nachdachte Mutter zu werden, als sie sich für die Promotion entschied.

Familienplanung und Promotion sind vereinbar

Damals arbeitete sie bei einem Automobilhersteller in Stuttgart. Zuvor hatte sie bereits bei einem Start-up gearbeitet, dessen Gründer in Kontakt mit einem externen Doktoranden von Prof. Dr. Guido Baltes stand. Über ihn erfuhr Christina Ungerer von der Möglichkeit an der HTWG zu promovieren.

Promovieren an der HTWG

Doktorand*innen sowohl mit HAW- als auch mit Universitätsabschluss können in einer kooperativen Promotion an der HTWG betreut werden. Seit der Gründung des kooperativen Promotionskollegs haben 48 Doktorand*innen den Doktortitel an der HTWG erlangt. Damit zählt die HTWG zu den aktivsten Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg in Sachen Promotion. 

Wie in den meisten Bundesländern haben auch in Baden-Württemberg Hochschulen für Angewandte Wissenschaften kein Promotionsrecht inne, können aber an einer promotionsberechtigten Hochschule gleichberechtigte Gutachterinnen und Gutachter stellen. Die gemeinsame Betreuung und Begutachtung durch eine*n Professor*in einer Hochschule und ein*e Professor*in einer Universität wird kooperative Promotion genannt.

Der*die jeweilige Kooperationspartner*in hängt vom Promotionsthema ab. Auch Universitäten im europäischen Ausland sind unter den Kooperationspartnern, so zum Beispiel in Newcastle und Paris (Sorbonne-Panthéon).

Der dritte Zyklus der akademischen Laufbahn kann sich direkt an das Masterstudium anschließen. Eine Promotion ist aber auch noch später möglich – zum Beispiel über eine Projektstelle an der Hochschule oder während der Berufstätigkeit in einem Unternehmen. Einige der Doktorand*innen erarbeiten ihre Promotion berufsbegleitend.

Die HTWG ist Mitglied des Council for Doctoral Education der European University Association. Damit verstärkt sie den internationalen Austausch zu Qualifizierung, Qualitätssicherung und den Rahmenbedingungen für Doktorand*innen.

Weitere Informationen auf den Seiten des kooperativen Promotionskollegs der HTWG.

„Ich habe mich sicher fünf Stunden mit Herrn Baltes, der damals eine*n Doktorand*in suchte, über die Gestaltung der kooperativen Promotion unterhalten. Er erwähnte tatsächlich in diesem Gespräch schon, dass er die Vereinbarkeit der Promotion mit einer etwaigen Familienplanung uneingeschränkt unterstützen würde. Das war damals aber noch gar kein Thema für mich“, erzählt die Wissenschaftlerin.

Die Finanzierung der Promotion und die Forschungsarbeit sind ein Großprojekt für sich

2015 begann sie ihre Forschungsarbeit zu Überlebens- und Erfolgsindikatoren technologiebasierter Startups am Institut für Strategische Innovation & Technologiemanagement (IST) der HTWG Konstanz. Um ihre Promotion zu finanzieren, beantragte sie Stipendien sowie Forschungs- und Fördergelder für Projekte des IST, an denen sie dann auch mitarbeitete.  

Unter anderem beriet sie bei der gemeinsamen Start-up-Initiative der HTWG und der Universität Konstanz, Kilometer1, HTWG-Angehörige bei der Beantragung von Fördermitteln für ihre Gründungsidee und hielt Vorlesungen. Alles in allem ein arbeitsintensives Großprojekt.

Kilometer1

Der Auftrag der Start-up-Initiative ist die Stärkung des Gründungsgeistes und der Gründungskultur an den beiden Konstanzer Hochschulen. Sie unterstützt Student*innen und andere Hochschulangehörige bei der Verwirklichung und Umsetzung ihrer Ideen. Hierbei ist es egal, ob sie bereits ein konkretes Gründungsvorhaben anstreben oder sich ganz generell für das Thema interessieren.

Mehr über Kilometer1

Dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem verschwimmen, ist bei einer Promotion nicht ungewöhnlich

„Schon vor der Zeit, zu der ich Mutter wurde, verschwammen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem. Das ist bei einer Promotion nicht ungewöhnlich. Man hat ja in der Regel auch ein großes Interesse an seinem Promotionsthema“, sagt Christina Ungerer – ein Vorteil für die Zeit als Doktorandin und Mutter: Die Wissenschaftlerin war bereits geübt darin, Privatleben und Arbeit miteinander zu vereinen.

Ein wenig unterschätzt hat sie die viele Bürokratie, die sie bewältigen musste: „Es war überraschend viel zu regeln, mit dem ich mich im Vorfeld nicht groß befasst hatte – hier war vor allem die Personalabteilung der HTWG super hilfreich und professionell. Man braucht sehr viele Dokumente, Nachweise und Formulare vom Verwaltungsapparat, und das hat wirklich hervorragend und zuverlässig funktioniert“, sagt die Wissenschaftlerin.

Mit Baby im Büro: „Meine Tochter war immer willkommen.“

Durch die Geburt ihrer Tochter erhöhte sich auch die Dauer ihrer Promotion und damit der Finanzierungsbedarf. „Dabei haben mich das Forschungsreferat und das kooperative Promotionskolleg toll unterstützt. Die Mitarbeiter*innen waren stets bemüht, sicherzustellen, dass es zu keinem Engpass kommt. Sie haben mich auf Optionen aufmerksam gemacht und eine Stipendienbewerbung organisatorisch unterstützt, als ich im Ausland war." Das Promotionskolleg hatte den Kontakt zum Gleichstellungsreferat der Hochschule hergestellt, das über das Professorinnenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung jährlich über 23.000 Euro zur Förderung von Doktorandinnenstellen verfügt, die hier anteilig ausgezahlt werden konnten. 

 

Die Familien-Servicestelle der HTWG

Die Familien-Servicestelle der Hochschule Konstanz unterstützt HTWG-Angehörige dabei, ihr Studium oder ihre berufliche Tätigkeit mit Ihren familiären Aufgaben bestmöglich zu vereinbaren. Sie berät, informiert und unterstützt Studierende und an der Hochschule Angestellte (werdende) Eltern und pflegende Angehörige.

Auf ihren Seiten finden (werdende) Eltern und pflegende Angehörige, die an der Hochschule arbeiten oder studieren, Auskünfte zu gesetzlichen Grundlagen, spezifischen Regelungen zur Kinderbetreuung und zum familienfreundlichen Campus.

Die einzelnen Situationen und die damit verbundenen Fragen sind aber oft sehr individuell und lassen sich besser in einem persönlichen Gespräch klären.

Beratungstermin vereinbaren

In Elternzeit war Christina Ungerer nicht. Direkt nach der Mutterschutzzeit ging sie – in reduziertem Umfang – wieder arbeiten, häufig auch mit ihrer Tochter: „Mein Team hat mir bedingungslosen Rückhalt gegeben. Das war wirklich super. Sie haben Arbeitspakete übernommen, die ich nicht betreuen konnte und meine Tochter war im Büro jederzeit willkommen“, sagt die Wissenschaftlerin.  

Ein Kind ist unberechenbar: To-do-Listen lassen sich nicht immer abarbeiten

Auch ihr Partner investierte viel Zeit und seinen Urlaub in die Kinderbetreuung. Eine Doppelbelastung war das Promovieren und gleichzeitige Muttersein aber dennoch: „Ohne die Unterstützung unserer Familien wäre es kaum machbar gewesen“, sagt Christina Ungerer und ergänzt: „Ich habe die Belastung im Vorfeld unterschätzt, zum Beispiel die Unberechenbarkeit ganz banaler Dinge: Mal schläft das Kind gut, mal nicht. Mal ist es sich selbst genug, mal braucht es Zuwendung oder ist krank. Dazu kommt der permanente Schlafmangel, besonders in den ersten Monaten. Man weiß einfach nicht, wie der nächste Tag oder die kommende Woche laufen wird.“

Das war schwierig für die Wissenschaftlerin, weil sie so ihren eigenen Ansprüchen nicht immer zu 100 Prozent gerecht werden konnte. „Man kann seine eigene Planung nur schwer durchsetzen und muss lernen, sich ein Stück weit „spontan“ am Baby zu orientieren und nicht durchzudrehen, wenn man seine To-do-Liste nicht abarbeiten kann. Ab einem gewissen Zeitpunkt habe ich beschlossen, das einfach zu akzeptieren. Mit dieser Entscheidung habe ich mir selbst sehr viel Druck genommen. Das war wichtig.“, sagt sie.

Eine Promotion ist wie eine lange Straße: Man kann sie nur Schritt für Schritt gehen

Im Rückblick sieht sie die Doppelrolle tatsächlich als die größte Herausforderung ihrer Promotion an. Ein paar allgemeine Ratschläge für Promovierende hat sie aber trotzdem: „Eine Promotion ist wie eine Straße, deren Ende man lange Zeit nicht sieht. Man kann sie nur Schritt für Schritt gehen. Wichtig ist dranzubleiben und sich mit anderen Forschenden zu vernetzen, zum Beispiel auf Konferenzen. Es gibt immer tolle Möglichkeiten zusammenzuarbeiten.“

Christina Ungerer wird auch weiterhin mit ihren Kolleg*innen an der HTWG zusammenarbeiten. Zusätzlich ist sie seit September 2021 am ENI Institut der Universität Stuttgart angestellt. Dort widmet sie sich dem Projekt Gründermotor und verbindet dies mit ihrer Forschung zu technologiebasierten Startups und Ökosystemen.

Titelbild: Dr. Christina Ungerer hat ihre kooperative Promotion an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der HTWG mit großem Erfolg abgeschlossen.