Kommunikationsdesign

    Masterstudiengang

    Dekoratives grafisches Element

    »Das Bauchgefühl ernst nehmen«

    Prof. Jochen Rädeker über Intuition und Kalkül in der Design-Strategie

    Warum müssen Designer strategisch denken?
    Weil Design keine freie Kunst ist, sondern die Lösung eines Problems, und Probleme löst man am besten erst strategisch bevor man sie kreativ angeht. Kreativität ist die Antwort auf die strategische Definition eines Problems.

    Design klingt nach Kreativität und Chaos, Strategie klingt nach Kalkül. Wie bekommt der kreative Mensch das Kalkül in sein Leben?
    Wir können ja nicht wirklich zwischen kreativen Menschen und Zahlenmenschen trennen. Natürlich hat jeder seine Schwerpunkte, aber das eine oder das andere ganz auszublenden ist ja lebensunpraktisch. Auch ein Designer muss von seinem Gehalt im Supermarkt einkaufen gehen und feststellen, dass er sich etwas nicht leisten kann. Das heißt, ein Mindestmaß an Kalkül sollte in jedem Designer und in jeder Designerin stecken. Und deswegen bilde ich in meiner Agentur auch Projektmanager*innen aus – und ich biete hier ein Fach an, das mit Projektmanagement und Kalkulation zu tun hat. Das Zweite ist das Thema: Was willst Du als Designer überhaupt erreichen? Willst Du nur schöne Dinge machen? Kreativ sein? Dann studiere besser freie Kunst. Möchtest Du ein Problem lösen, dann musst Du dieses Problem auch erfassen. Kurt Weidemann hat einmal gesagt: »Der Künstler macht, was er will, der Designer will, was er macht«. Da steckt fast alles drin.

    Wenn jetzt der eine oder die andere das Gefühl hat: Das ist aber nicht meine Stärke. Wie kann man das zu einer Stärke machen?
    Im Wesen des Designers angelegt ist die Fähigkeit multidimensional zu denken und multidimensional zu arbeiten: Manche bewerben sich mit einer Illustrations-Mappe und machen danach Typografie, manche bewerben sich mit Filmen und gestalten trotzdem danach tolle Plakate. Natürlich kann sich jeder auf irgend etwas spezialisieren, aber innerhalb unserer Lehre als Professoren sind wir gehalten, den Leuten Zugänge zu verschaffen zu Dingen, die sie bislang noch nicht gemacht haben. Ein Studium hat immer auch Herausforderungen zu bieten, und strategisches Denken ist sicherlich für viele Kreative eine Herausforderung. Aber genau deswegen gibt es ein Fach namens Designstrategie im Master.

    Was macht eine gute Strategie aus?
    Erfolg. Aber ob es erfolgreich war, weiß man natürlich erst hinterher …

    Und wie kommt man dahin?
    Eine gute Strategie fängt mit einer starken Analyse der Problemstellung an. Ein guter Stratege weiß, dass ganz oft die falsche Fragestellung das eigentliche Problem ist. Es ist eine strategische Leistung, eine Fragestellung in einen Kontext zu setzen und zu überlegen: Was hätte man denn auch noch fragen können. So kommt man oft einer Lösung bereits näher. Das ist im Übrigen auch ein kreatives Prinzip. In der Kreativität dreht man Vieles um, versucht, das Problem zur Lösung zu machen. Eine Strategie macht das mit anderen Mitteln ganz genauso. Zunächst beginnt eine Strategie mit der tiefgründigen Analyse der Problemstellung, des Umfelds, einer Peer-Group-Analyse, der Frage: Was haben andere mit dem Problem schon angestellt? Das Zweite, was eine Strategie erfolgreich macht, ist Deduktion, das heißt: Welche Wege führen sicher nicht zum Ziel und warum nicht? Was danach übrig bleibt sind mögliche Wege, die zum Ziel führen. Und das Dritte ist dann eine Selektion, indem man sagt: Aus diesen Wegen, die möglicherweise zum Ziel führen könnten, ist welcher warum der beste. Da ist man übrigens nicht weit weg von kreativen Prozessen.

    Wie schwierig ist es, am Anfang des strategischen Prozesses ergebnisoffen zu sein? Konkret an einem Beispiel: Jochen Rädeker trifft einen Großkunden in seiner Agentur »Strichpunkt«. Oft hat man dann ja gleich einen ersten Impuls. Unterdrückt Ihr den und fangt bewusst ganz von vorne an oder geht Ihr dem Impuls nach?
    Sowohl als auch. Konkret an einem Beispiel: Der Papierhersteller Scheufelen hat sich an uns gewendet, Weltmarktführer in der Herstellung hochwertiger Papiere. Das Briefing war: Wie können wir Drucker davon überzeugen, dass unsere Papiere die besten auf dem Markt sind? Geantwortet haben wir: Das könnt Ihr überhaupt nicht, Ihr müsst in der Wertschöpfungskette früher anfangen, nämlich bei den Designern. Die Entscheidung für ein teures Papier fällt beim Kreativen und nicht beim Drucker. Dieser Einwand hat das Scheufelen-Marketing revolutioniert und die Firma sehr erfolgreich gemacht. Ich erinnere mich noch an das Briefing. Der erste Impuls war: Da stimmt etwas in der Fragestellung nicht. Diesem Impuls sind wir nachgegangen. Heute machen wir mit unseren Kunden ganz viele Marken-Workshops zu Beginn einer Zusammenarbeit. Sehr häufig gehe ich aus einem solchen Workshop raus und habe ein Gefühl – auch für visuelle Ausdrucksformen. Wie müsste ein Logo aussehen, zum Beispiel. Da beginnt sich das kreative Hirn schon mal im Bauch auszutoben und Du hast einen ersten Impuls. Der ist in ganz vielen Fällen richtig, was aber auch etwas mit Erfahrung zu tun hat. Viele Kreative sind deswegen erfolgreich, weil sie ein sehr ausgeprägtes Bauchgefühl haben, wo andere Leute nur Fragezeichen im Kopf haben. Das würde ich nie vernachlässigen, sondern immer ernst nehmen. Aber ich würde es nicht als gesetzt sehen. »Kill your darlings« ist mit Sicherheit ein gutes strategisches Prinzip und auch das einzige Prinzip, das zu Innovation führt. Wenn ich nach 400 Markenworkshops sowieso schon weiß, was rauskommt, dann höre ich nicht mehr richtig zu und dann entwickle ich auch nichts weiter. Kreativität und Design und auch Strategie leben aber von Innovation und von Disruption. Diese Disruption fängt bei der Infragestellung des ersten Impulses an. Das fällt Kreativen oft schwer, ist aber eigentlich ein kreativer Prozess. Langer Rede kurzer Sinn: Bewahre Dir dein Bauchgefühl, aber hinterfrage es.

    Apropos Innovation: Welche Rolle werden Designer*innen künftig einnehmen?
    Es geht nicht mehr primär um eine visuelle Ausarbeitung, sondern um Problemlösung. Diese Entwicklung sehen wir schon jetzt bei unseren Auftraggebern. Designer*innen werden immer mehr zu Unternehmensberatern – aus einer kreativen Sicht heraus. Es geht nicht darum, zum Beispiel die optimale Mitarbeiterzahl für ein Unternehmen zu entwickeln. Aber Probleme, die ein Unternehmen auf dem Weg zu dem von ihm gewünschten Erfolg hat, mit kreativen Mitteln zu lösen, das ist eine ganz klassische Aufgabe für Designer. Auch weil sich das Berufsfeld von Designer*innen geändert hat. Wir hatten früher immer das Thema der Ästhetik an vorderster Front. Aber wenn Du heute als Designer mit deinen Methoden vor Aufgaben gestellt wirst, dann kannst Du eigentlich nicht mehr sagen »Hübsch ist die richtige Lösung«, sondern wir entwickeln die Aufgabenstellung oft mit. Wenn ich zum Beispiel an das Design einer App denke, dann steige ich ganz tief in die Programmierung ein, also auch ins Produkt, und bin als Designer dann mit Produktentwickler. Wenn ich das im Bereich Software sehe und sehe, dass wir Design immer häufiger als Codes ausliefern, dann bin ich mitten drin im Prozess und nicht mehr in der »Wir machen es am Ende schön«-Phase. Das gleiche gilt auch für unternehmerische Prozesse: »Design Thinking« ist heute eine anerkannte Managementtechnik. Unternehmen brauchen also bereits in dieser frühen Phase, wo es vielleicht noch gar kein Produkt gibt, Designmethoden, um überhaupt zu Produktideen zu kommen. Wir steigen also viel, viel früher ein in die Wertschöpfungskette und begleiten sie viel länger. Das ist eine Riesen-Chance.

    Was müssen Masterstudierende mitbringen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?
    Neben der designfachlichen Eignung, die man im Bachelorstudium in der Regel erwirbt, ist es vor allem die Bereitschaft sich selbst in Frage zu stellen, und auch Dinge zu hinterfragen. Und Neugier. Und im Idealfall kommt man auch mit einem persönlichen Ziel hierher.