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Campusmöbel aus Plastikabfall

24.03.2023

Ein HTWG-Projekt beteiligt sich an der weltweiten Initiative Precious Plastic und verarbeitet Kunststoffmüll zu Möbelstücken für den Campus. Helfer*innen sind willkommen.

Was auf der Weltkarte der Initiative „Precious Plastic“ am Bodensee mit einer weißen Fahne auf blauem Hintergrund markiert ist, ist derzeit der Keller des Open Innovation Lab der HTWG. Hier findet sich säckeweise Plastik. Wertvolles Plastik. „Das ist eine gute Grundlage“, sagt Max Gsell (im Bild oben links) zufrieden mit Blick auf die blauen Säcke, gefüllt mit farblich sortierten Kunststoffbrocken. Die blauen, braunen, roten oder grünen Stücke waren einmal Schuber, die über viele Jahre in der Bibliothek der HTWG Zeitschriften gehalten haben. Das Material soll zu Campusmöbeln verarbeitet werden. Dazu werden allerdings noch viele weitere Kunststoffabfälle benötigt – diese zu sammeln, dazu sollen im Laufe des Sommersemesters alle Hochschulangehörigen eingeladen werden.

Prof. Anna Kubelik und Prof. Oliver Fritz bieten zum zweiten Mal im Studium generale einen Kurs an, der sich mit der Herstellung von Außenmöbeln für den HTWG-Campus aus recycelten Kunststoffen beschäftigt – von der Gestaltung bis zur konkreten Umsetzung. Max Gsell und Til Frank, beide aus dem Masterstudiengang Architektur, haben im Wintersemester bereits an der Veranstaltung teilgenommen. Sie war sozusagen der Startschuss für das Projekt. Die Kursteilnehmer*innen hatten sich in Teilgruppen verschiedenen Arbeitspaketen gewidmet: Entwurf, Öffentlichkeitsarbeit, Plastik sowie Umsetzung. Was macht ein Sitzmöbel eigentlich bequem? Welche Plastikarten eignen sich? Wie ist die Umwandlung vom Kunststoffmüll zum Möbelstück überhaupt machbar? Und: Wie können die Hochschulangehörigen zum Plastiksammeln bewogen werden? – so die jeweiligen Leitfragen.

Interessierte sind herzlich willkommen

Das Open Innovation Lab verfügt über alle Maschinen und Hilfsmittel, die nötig sind, um einerseits Altplastik zu recyceln und andererseits Möbel zu bauen - von verschiedenen Schreddern bis zu Extrudern, die aus Plastikgranulat mehr oder weniger dünne Filamente oder dicke Stäbe machen, von Fräsen bis zu Sägen, mit denen sich Bauteile von Möbelstücken bearbeiten lassen. Im laufenden Sommersemester wird zudem eine Sheetpresse einsatzfertig sein. Die Presse, wie auch viele andere Geräte, sind von Studierenden der HTWG selbst konzipiert und gebaut worden. „Wer mitmachen möchte, ist herzlich willkommen, gerade auch Maschinenbau-Studierende“, sagt Prof. Fritz. Sie hätten viele Möglichkeiten, das Team zu unterstützen, indem sie Maschinen umbauen oder neu konzipieren. Ein Einstieg in die Veranstaltung im Rahmen des Studium generale ist auch während des Semesters noch möglich.

Die Gruppe „Plastik“ hat sich mit den Eigenschaften verschiedener Kunststoffe beschäftigt. Für Möbel im Außenbereich ist zum Beispiel die UV-Beständigkeit von Bedeutung. „Wenn Sandkastenspielzeug lange in der Sonne liegt, wird das spröde“, sagt Tobias Erb, Mitarbeiter im OIL und laut Prof. Fritz „leidenschaftlicher Recycler“, zur Erläuterung. Für die Verarbeitung ist in jedem Fall die sortenreine Trennung nötig. Architektur-Masterstudent Til Frank (im Bild oben rechts) erklärt: „Je nach Kunststoffart unterscheidet sich zum Beispiel die Schmelztemperatur.“ Und damit bei der Verarbeitung nicht nur eintöniges Grau entsteht, empfiehlt sich zudem die farbliche Trennung. Dementsprechend viele Boxen gefüllt mit verschiedenem Granulat stehen nun im OIL.

Nicht alle Plastikarten sind für das Projekt geeignet

Die Studierenden haben mit verschiedenen Plastikarten experimentiert. Grundsätzlich können alle Thermoplasten wiederverwertet werden, also Kunststoffe, die beim Erhitzen weich und nach Absenken der Temperatur wieder hart werden. Für das Projekt unbrauchbar sind Duroplast (z.B. Pfannen- und Topfgriffe) und Elastomere (z.B. Gummibänder).

PET, bekannt von Getränkeflaschen, wäre gut zu verarbeiten. Da hier aber schon ein Recyclingsystem steht, soll diese Art eher ausgeklammert werden. „Am besten fokussieren wir uns auf die Nummern 2, 5 und 6“, sagt Prof. Oliver Fritz. Die Ziffern stehen für Recyclingcodes. Es sind die Zahlen, die auf Plastikprodukten inmitten eines Dreiecks aus Pfeilen stehen: „02“ zum Beispiel steht für Polyethylen (PE), dem weltweit mit Abstand am häufigsten verwendeten Kunststoff, der in erster Linie für Verpackungen verwendet wird, „05“ steht für Polypropylen, abgekürzt PP. Das klingt alles vielleicht erstmal kompliziert, „ist es aber nicht“, betont Prof. Fritz. Er hat selbst bereits eigenen Plastikmüll konsequent sortiert und festgestellt, dass dies dank der Kennzeichnung gut umsetzbar ist.

Plastik

Kunststoffe sind synthetische Chemikalien, die hauptsächlich aus Erdöl gewonnen werden und aus Kohlenwasserstoffen (Ketten aus Wasserstoff- und Kohlenstoffatomen) bestehen. Die meisten Kunststoffe sind Polymere. Das sind lange Moleküle, die aus vielen Wiederholungen eines Grundmoleküls namens Monomer bestehen, und diese Struktur macht Kunststoff besonders haltbar und langlebig. Aufgrund ihrer relativ niedrigen Kosten, ihrer einfachen Herstellung und Vielseitigkeit werden Kunststoffe in einer enormen und wachsenden Palette von Produkten verwendet, von Shampooflaschen bis hin zu Weltraumraketen. Die Allgegenwärtigkeit und das schiere Volumen der Kunststoffproduktion verursacht ernsthafte Umweltschäden in Bezug auf seine langsame Zersetzungsrate aufgrund seiner starken Bindungsmoleküle.

Derzeit wird weit weniger als die Hälfte des Kunststoffmülls recycelt. Der Großteil landet auf Mülldeponien, im Meer oder wird verbrannt.

Verschiedene Aktionen im Laufe des Semesters

Studentin Anastasia Stupakova hat im Wintersemester in der Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit mitgearbeitet und nimmt auch jetzt im Sommersemester wieder an der Veranstaltung teil. Sie freut sich darauf, nach viel „trockener“ Vorbereitung jetzt durchstarten zu können. Mit verschiedenen Aktionen auf dem Campus wollen die Studierenden im Lauf des Semesters auf das Projekt aufmerksam machen. Denn: Der Plastikabfall jede*r Hochschulangehörigen ist gefragt. „Der Müll einer Woche von 5000 Studierenden ist nötig, um 15 Stühle zu produzieren“, zitiert Prof. Oliver Fritz aus den Berechnungen. Das wären 450 Kilogramm Plastik. Er ist gespannt, wie groß das Engagement der HTWGler*innen sein wird, das Projekt zu unterstützen. „Letztlich werden wir alle etwas davon haben“, kündigt er mit Blick auf das große Spektrum von Gestaltungsideen an.

Ob künftig Sitzgruppen aus recyceltem Plastik auf dem Schotterplatz stehen werden, die Bänke in dem Freiraum vor dem Endlicht vielleicht Plastiklehnen haben werden, Liegen vor dem O- oder G-Gebäude stehen oder noch ganz andere Kreationen überraschen werden, darauf ist Prof. Anna Kubelik gespannt. Sie lehrt im Studiengang Architektur „experimentelles Gestalten“ und sucht mit den Studierenden nach dem Entwurfspotential mit diesem Material, das sicherlich als Recycling Produkt noch zukünftig in allen Lebensbereichen eine ‚Gestalt‘ annimmt. „Eigentlich geht es nicht nur um die gestalteten Campus-Möbel selbst, sondern um die ganze Geschichte, die darum herum passiert: Das Sammeln, das Ordnen der verschiedenen Plastiksorten, die daraus gewonnene Erkenntnis, dass Plastik in unserem Alltag sehr stark eingebettet ist und damit der Prozess des Bewusstwerdens in Gang gesetzt wird. Die eigentliche Gestaltung eines Möbels ist also nur ein Teil von diesem Projekt, das hoffentlich über das Wahlpflichtfach hinausgehen und ein ‚Selbstläufer‘ wird“, sagt Prof. Anna Kubelik.

Ein spannendes Experiment

Für Prof. Oliver Fritz ist die Veranstaltung ein spannendes Experiment, in dem er sich nicht als „Oberlehrer“, sondern als Moderator sieht. „Die Studierenden werden nicht bedient, hier kann und soll jeder selbst etwas in die Hand nehmen. Es ist ein Projekt, in dem wir alle etwas schaffen wollen und zwar etwas mit Qualität“.

Weitere Informationen auf den Seiten des Studium generale, auf Moodle (für HTWG-Studierende zugänglich) oder auf dem Instagram-Kanal von Precious Plastic Konstanz