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CO₂-Emissionsquellen auf der Spur

13.03.2023

Forschungskooperation mit einem Hidden Champion: Prof. Dr. Erdal Yalcin nimmt bei der Treibhausgas-Bilanzierung mit Hilfe volkswirtschaftlicher Analysemethode auch die globale Wertschöpfungskette in den Blick.

Unternehmen sind dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahren signifikant zu reduzieren. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Erfassung ihrer Emissionen. In Zusammenarbeit mit der Firma WERMA Signaltechnik GmbH + Co. KG wollen Forscher*innen der HTWG einen unternehmensspezifischen Prozess zur systematischen Emissionserfassung und -bilanzierung erstellen. „Die Erfassung von Treibhausgasemissionen kann nicht auf Basis einer Einheitslösung ermittelt werden. Jedes Unternehmen hat vielschichtige Emissionstreiber im eigenen Betrieb, aber auch entlang der Lieferketten und auch solche, die sich aus der Nutzung von weiteren Produkten ergeben“, erläutert Erich Martin, Leitung Werks- und Nachhaltigkeitsentwicklung der WERMA Signaltechnik GmbH + Co. KG. Die Forschungskooperation setzt an dieser Stelle an und zielt darauf ab, mit der Firma WERMA Signaltechnik GmbH + Co. KG eine sogenannte Toolbox zur vollständigen Erhebung individueller Treibhausgase zu entwickeln.

Die Firma WERMA Signaltechnik GmbH + Co. KG sei ein „optimaler Kooperationspartner“ für das Projekt, freut sich Prof. Dr. Erdal Yalcin, der sich mit globalen Wertschöpfungsketten und ihrer systematischen Erfassung schon lange auseinandersetzt und das Forschungsprojekt auf der HTWG-Seite leitet. Auf dem Gebiet der Signaltechnik zählt das 1950 gegründete Familienunternehmen zu den Weltmarktführern und ist zugleich Technologieführer in der Produktion von optischen und akustischen Signalgeräten. Neben einem hoch technisierten Produktionsstandort in Baden-Württemberg weist es ferner eine globale Wertschöpfungsstruktur auf.

Bewährte wissenschaftliche Methoden mit individuellen Herausforderungen kombinieren

„Wir werden volkswirtschaftliche Input-Output-Analysemethoden mit neuen Emissionsdaten zusammenführen, um unterschiedliche unternehmensspezifische Emissionsquellen zu identifizieren und deren Umfang zu ermessen. Darin liegt eine wesentliche Innovation“, sagt Prof. Dr. Erdal Yalcin. Die Input-Output-Analyse umfasst im Allgemeinen die vielschichtigen Bezugs- und Lieferverflechtungen zwischen Wirtschaftssektoren und kann aufschlussreiche Informationen über produktions- und gütermäßige Verflechtungen liefern. Das Konzept soll helfen, nicht nur zu verstehen, was das Unternehmen selbst an Treibhausgasen direkt verursacht, sondern auch, welche Umweltauswirkungen sich diesbezüglich innerhalb ihrer vor- und nachgelagerten Wertschöpfung ergeben.
Dazu sollen unternehmensinterne Prozesse bei der Firma WERMA genutzt, analysiert und weiterentwickelt werden, die eine ganzheitliche Emissionserfassung für das Unternehmen ermöglichen.

Die Erfassung nationaler und internationaler Lieferketten mit Hilfe von Input-Output-Analysen ist eine bewährte Methode, um unterschiedlichste wirtschaftliche Kenngrößen für Staaten, Industrien, aber eben auch für Unternehmen zu berechnen. Bei der Herstellung einer Signalleuchte ist beispielsweise das Spritzgießen von Kunststoffteilen ein entscheidender Produktionsschritt. Bevor dieser energieaufwändige Prozess jedoch angestoßen wird, müssen bei der Treibhausgas-Bilanzierung (THG-Bilanzierung) ebenso die vorgelagerten Schritte, von der Gewinnung des Rohöls über Verarbeitung und Veredelung des Granulats bis hin zu den unterschiedlichen Transportwegen berücksichtigt, werden.

Während die Erfassung von Emissionstreibern in einem Unternehmen gut identifiziert und quantifiziert werden können, verhält es sich insbesondere mit Zwischengütern aus Zulieferbetrieben deutlich komplizierter. „Oft liegen für zugekaufte Produkte keine Emissionswerte vor“, betont Prof. Dr. Erdal Yalcin und führt aus: Die systematische und vollständige Abbildung der unternehmensspezifischen Emissionen mit Hilfe der Input-Output-Analyse sei eine transparente und belastbare Methode. Sie könne in den Unternehmensprozess eingebunden werden, um regelmäßige Emissionsbilanzen in periodischen Abständen aufzustellen.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Im Rahmen der globalen Klimaherausforderungen hat die Bundesregierung ein umfassendes Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht. Die Regierung von Baden-Württemberg hat auf der Landesebene zusätzliche ambitionierte Beschlüsse nachgelegt. Mit den letzten Anpassungen im Klimaschutzgesetz wurde das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert. In Baden-Württemberg soll dieses Ziel bereits 2040 erreicht werden. Die gesetzlichen Vorgaben zielen darauf ab, bis 2030 die Emissionen in Deutschland um 65 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
Die Treibhausgasemissionen lagen 1990 bei 1.242 Millionen Tonnen und müssen gemäß den aktuellen Gesetzen bis 2030 auf 438 Millionen Tonnen sinken. 2021 lag dieser Wert bei 762 Millionen Tonnen. 24 Prozent dieser Emissionen werden von Industrieunternehmen verursacht. Im Rahmen dieser Entwicklungen können und müssen Unternehmen ihre Treibhausgasemissionen signifikant reduzieren. Eine wesentliche Herausforderung für Unternehmen ist dabei die Erfassung von Treibhausgas-Emissionen.

Eine ganzheitliche Messung als Zukunftsstrategie

Die angestrebte Toolbox zur Erfassung von Treibhausgasen erlaubt dem Unternehmen ferner ein Benchmarking. „Auf Basis der entwickelten Prozesse und der genannten Toolbox kann WERMA einen Vergleich mit durchschnittlichen Emissionsverflechtungen innerhalb der deutschen Industrie durchführen und entsprechende strategische Anpassungen im eigenen Unternehmen gezielter angehen“, kündigt Katja Schiller, zuständig für die Nachhaltigkeitsthemen bei WERMA, an. Zum anderen biete das Benchmarking eine Objektivität der Emissionsdaten mit Blick auf nicht zertifizierte Lieferanten. Katja Schiller wurde eigens für dieses praxisnahe Projekt freigestellt und kann durch die entstandene Kooperation betriebliche Praxis und wissenschaftliche Theorie in Einklang bringen.

Nach der zweijährigen Projektlaufzeit wollen die Forschungspartner einen unternehmensspezifischen Prozess vorlegen, mit dessen Hilfe das Unternehmen die relevante Datenerfassung und Aufbereitung so strukturieren kann, dass international anerkannte Standards bei der THG-Bilanzerstellung erfüllt werden. Dabei werden Standards wie das Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol), oder die Normenreihe ISO 14064 (14064-1, 14064-2, 14064-3), oder der GRI 305 aus dem Standard der Global Reporting Initiative (GRI) berücksichtigt.

Kooperative Forschung – Studierende profitieren von Erkenntnissen

Das kooperative Forschungsprojekt bietet den beteiligten Forscher*innen an der HTWG und den Mitarbeiter*innen der WERMA Signaltechnik GmbH + Co. KG die Möglichkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischen Erfahrungen zusammenzuführen, um einerseits angewandte Lösungen für das kooperierende Unternehmen zu entwickeln und zugleich neue Erkenntnisse für die Wissenschaft zu erlangen. Das Projekt ermöglicht einen intensiven Austausch zwischen den WERMA Mitarbeiter*innen und den HTWG-Forscher*innen. So ist geplant, dass neue Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt in die Vorlesungen der Hochschule einfließen, in die auch die Projektmitarbeiter des Unternehmens eingebunden werden.

Einbindung in die Strategie der HTWG

Das Projekt steuert einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsstrategien in der Region bei und unterstützt ein regionales Unternehmen, das weltweit aktiv ist und Maßstäbe für weitere Unternehmen bei der Reduktion von Treibhausgasen setzen kann. Damit gliedert sich das Forschungsprojekt, das auf den bilateralen Transfer von Erkenntnissen zwischen Hochschule und Unternehmen abzielt, in die aktuelle Hochschulstrategie der HTWG ein.

WERMA Signaltechnik

Die der Firma WERMA Signaltechnik GmbH + Co. KG ist ein weltweit wachsendes Unternehmen aus Rietheim mit mehr als 390 Mitarbeiter*innen an acht Standorten. Mit modularen Signalsäulen hat das Unternehmen einen Industriestandard etabliert. Heute liefert WERMA optische und akustische Signalgeräte sowie verwandte Systeme zur Prozessoptimierung für die Industrie und Logistik.