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Gemischte Erfahrungen im Corona-Auslandssemester

01.09.2020

Für viele Studierende bedeutete die Corona-Pandemie: Abbruch des Auslands- und Praxissemesters. Manche jedoch blieben und machten ganz besondere Erfahrungen.

Wenige Tage vor dem Start der Vorlesungszeit zeichnete sich ab: Das wird kein normales Sommersemester. Das neuartige Coronavirus wird die Rahmenbedingungen bestimmen. Viele Studierende hatten da allerdings schon die Koffer für ihr Auslandssemester gepackt - oder bereits im Zielland ausgepackt. Die HTWG empfahl ihnen, den Auslandsaufenthalt abzubrechen und zurück nach Deutschland zu kommen, schließlich war nicht absehbar, welche gesundheitlichen Folgen das Virus haben wird und wie lange überhaupt die Infrastruktur für Rückreisen gegeben sein wird. Eventuell zu befürchtende Nachteile im Studium wurden ausgeräumt.

Nicht kampflos aufgeben

„Für mich war klar, dass ich auf keinen Fall ‚kampflos‘ aufgeben werde“, sagt Nina Ruoff. Sie studiert im sechsten Semester Wirtschaftssprachen Asien und Management Südost- und Südasien. Der Studiengang umfasst einen einjährigen Aufenthalt in Asien – ein Semester Studium an einer Hochschule sowie ein halbjähriges Praxissemester bei einem Unternehmen in Asien.
Als die Ausbreitung des Virus so richtig begonnen hat, hat Nina Ruoff noch in Kuala Lumpur, Malaysia gelebt. Dort gab es sehr spät erst die ersten Infizierten „und somit war für mich klar, dass ich zu diesem Zeitpunkt in Asien sicherer war als in Europa - das Praxissemester nicht anzutreten und den Umzug nach Thailand abzusagen war also keine Option für mich“, erinnert sie sich. Ihr Praktikum absolvierte sie bei Robert Bosch Automotive Thailand in Bangkok, wo sie in der Marketingabteilung für Mobility Solutions tätig war. Zu Beginn arbeite sie noch im Office, später dann aber im Homeoffice.

Wie vielen Menschen, die sich in Deutschland von einem Tag auf den anderen auf das Arbeiten von Zuhause aus umstellen mussten, ging es auch Nina Ruoff in Bangkok: „Ich denke die größte Herausforderung durch das Homeoffice und die Umstände, die COVID-19 mit sich bringt, ist die ‚soziale Isolation‘. Die Kommunikation mit meinem Team und den Kollegen über Skype Business funktionierte zwar reibungslos und auch alle Meetings konnten wie geplant (nur eben online statt persönlich) stattfinden, aber die reale, persönliche Interaktion mit Kollegen (und sei es nur das gemeinsame Mittagessen) fehlte natürlich schon sehr. Man gewöhnt sich an das Alleinsein, daran, nur per Facetime oder Whats-App zu kommunizieren - ein richtiger Ersatz ist das allerdings nicht.“ Und so stellte das Praxissemester Anforderungen an sie, die Studierende in den letzten Jahren so kaum kannten. Auch für die Übung in Selbstdisziplin und Selbstorganisation war das Homeoffice lehrreich. Da sie ein eigenes, ziemlich großes Projekt betreute, blieb ihr gar nichts anderes übrig, als jeden Tag trotz der Umstände 100 Prozent zu geben.

Auslandssemester in Corona-Zeiten

Trotz des Coronavirus können Sie sich für einen Auslandsaufenthalt im Sommersemester 2021 bewerben. Die HTWG und unsere Partnerhochschulen weltweit führen die Bewerbungsverfahren Stand heute unter der Annahme durch, dass die weltweite Lage im Sommersemester einen Austausch zulässt bzw. ergänzende virtuelle Austauschalternativen geschaffen werden. Aufgrund der Dynamik der COVID-19-Pandemie ändern sich die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes laufend. Das Akademische Auslandsamt informiert Sie über die aktuellen Entwicklungen bzgl. der Austauschprogramme.

Eine Alternative zum Auslandsaufenthalt hat das Akademische Auslandsamt zusammen mit HAW.International im Rahmen eines Pilotprojekts mit der Hong Kong Baptist University in Form eines virtuellen Austauschprogramms geschaffen. Studierende der HTWG können im Wintersemester an einzelnen digitalen Vorlesungen der Partnerhochschule in Hong Kong teilnehmen und Studierende der Baptist University haben die Möglichkeit, virtuelle Lehrveranstaltungen der Hochschule Konstanz zu besuchen: Weitere Informationen zum virtuellen Austauschprogramm mit Hong Kong

Dazu kam die besondere Situation, fern von Familie und Freunden zu sein. Zudem war das Leben in Bangkok anders als man es sich für einen Auslandsaufenthalt während des Studiums erträumt: Alle Läden und Dienstleistungen (außer Supermärkte, Apotheken, Ärzte und Krankenhäuser) waren geschlossen. Es gab eine strikte Ausgangssperre von 22 Uhr bis 4 Uhr, tagsüber gab es allerdings weder Ausgangssperren noch Beschränkungen. Außerdem bestand eine Maskenpflicht in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und noch geöffneten Läden. „Allgemein fühlte ich mich aber ziemlich sicher und ich muss auch sagen, dass die Regierung hier sehr besonnen mit dem ganzen Thema umgegangen ist und auch zu keiner Zeit irgendeine Art von ‚Panik‘ aufgekommen ist“, sagt die Studentin und fasst zusammen: „Nach meiner Einschätzung war die Situation nicht gefährlicher als zu Hause in Deutschland.“

Sicherheitsgefühl in pandemieerfahrenem Land

Auch Andreas Kustermann hat seinen Auslandsaufenthalt nicht abgebrochen. Der Masterstudent im Wirtschaftsingenieurwesen mit der Vertiefung Elektro- und Informationstechnik absolvierte sein Studium in Südkorea an der Kyonggi University in Suwon, rund 40 Kilometer vom Stadtzentrum von Seoul entfernt. Als er am 27. Februar in Richtung Osten aufbrach, war noch nicht abzusehen, wie das Coronavirus die Welt verändern wird. Zwar mehrten sich die Schlagzeilen um das Virus, aber Kustermann beschloss für sich: „Ich habe so viel für den Auslandaufenthalt vorbereitet, ich mach’s jetzt einfach mal.“ Aus seiner Sicht war dies im Rückblick eine gute Entscheidung. Er fühlte sich in dem pandemieerfahrenen Land sicher. Und dazu hatte er im Gegensatz zur Zeit des Lockdowns in Deutschland in Südkorea so gut wie keine Einschränkungen – außer dass an der Hochschule keine Präsenzveranstaltungen stattfanden. Alle Kurse wurden online angeboten, kurzfristig waren zwei Veranstaltungen ausgefallen, die er belegen wollte. Dafür fand er jedoch adäquaten Ersatz.

Natürlich blieb etwas vom Leben als Austauschstudent im Ausland auf der Strecke. Er lebte in einem Wohnheim auf dem Campus. Bis Anfang Mai waren dort keine koreanischen Studierenden anwesend. Stattdessen hatte Andreas Kustermann aber Kontakt zu anderen Internationals, mit denen er auch Reisen unternehmen konnte. Denn: Zugreisen, Inlandsflüge – alles war möglich. „Das Land hat mich schon immer interessiert, es ist ganz eigen in Asien und sehr vielseitig“, erzählt er begeistert. Und dank der stärker kollektivistisch ausgerichteten Kultur sei die Bereitschaft groß gewesen, die angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus –wie das Tragen von Masken - umzusetzen.

Gemischte Erfahrungen in China

Nina Ruoff und Andreas Kustermann werden ihre Erfahrungen im Ausland in besonderer Erinnerung behalten. Ganz besonders aber wird das wohl für Dimitrij Schäfer der Fall sein. Schon im ersten Semester war für ihn das kommende Auslandsjahr in China der Höhepunkt des Studiums. „Ich habe mich sehr darauf gefreut“, sagt Schäfer, der im 6. Semester Wirtschaftssprachen Asien und Management China studiert. Dann war es endlich soweit. Im September 2019 brach Schäfer zum Studium nach China auf. Im Februar reiste er kurz nach Deutschland, um im März aber für die Aufnahme seines Praxissemesters in Chengdu in der Provinz Sichuan wieder nach China einzureisen. Angst vor dem Virus hatte er nicht, in China schien es schnell eingedämmt, das Leben nahm wieder Fahrt auf.

Seine Aufgabe bei einer Firma in Chengdu war die Mitarbeit an einem Pavillon, der in der Stadt aufgestellt werden soll, um für Deutschland als Reiseland und Kooperationspartner der Wirtschaft zu werben. Es ging darum, Weltkulturstätten und –güter anschaulich zu machen: Musik, Kunst, die Geschichte der deutschen Automobilproduktion und große deutsche Traditionsfirmen wie Siemens. In der Firma, die sich dem Aufbau und der Pflege deutsch-chinesischer Beziehungen verschrieben hat, war er unter den rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der einzige Deutsche. Sein Chef jedoch hatte bereits zehn Jahre in Deutschland gelebt. Bei allem, was Dimitrij Schäfer in den folgenden Monaten widerfuhr, sei er sehr verständnisvoll und hilfsbereit gewesen und habe ihn unterstützt, wo nur möglich. Denn mit dem erneuten Anstieg der Infektionszahlen in China und den wachsenden politischen Konflikten mit den USA oder auch Australien wurde der Aufenthalt in China für Ausländer*innen zunehmend belastend. „Spätestens seitdem die Welt China als Ursprungsland des Virus verantwortlich machte, fühlte sich China durch das Ausland unfair behandelt. Die Meldung, dass das Virus aus den USA kommt, war allgegenwärtig, genauso wie die Meldungen, wie Chinesen im Ausland ausgegrenzt bzw. unrecht behandelt wurden“, erläutert der Student. Die in China veröffentlichten Nachrichten erweckten den Eindruck, dass Ausländer*innen das Virus eingeschleppt hätten. Dimiitrij Schäfer sagt: „Wir galten als die, die das „Oversea Virus“ nach China (zurück-)bringen.“ Die Folge seien in der Bevölkerung Gefühle von Angst vor Ausländer*innen bis hin zu Hass gewesen.

Gebuchtes Hotel verweigert Einlass, Taxifahrer verweigert Fahrt

So kam es öfter vor, dass der Platz neben ihm in öffentlichen Verkehrsmitten leer blieb, Menschen die Straßenseite wechselten oder gar davonrannten, wenn er sie ansprach. Als er nach Guangzhou reiste, erlaubte ihm ein Taxifahrer nicht einzusteigen, das gebuchte Hotel verweigerte ihm den Einlass. Stattdessen wurde die Polizei informiert, die ihm bestätigte, dass er zum Schutz der Chines*innen als Gast nicht akzeptiert werde. Bei einer anderen Reise wurde ihm schon der Ausgang aus dem Bahnhof verwehrt. Stattdessen wurde er in ein Quarantänehotel außerhalb der Stadt gebracht, von wo aus er mit dem Krankenwagen nach Chengdu zurückgebracht wurde. Der Verweis, dass er seit zwei Monaten in China lebe, half ihm nicht.

Die unterschiedliche Behandlung von Ausländer*innen und Einheimischen empfand er zunehmend als unfair, schließlich wusste er von chinesischen Freunden, dass sie problemlos in China reisen durften – sofern die Region nicht als Risikogebiet eingestuft war. Obwohl er zahlreiche Dokumente und Nachweise mit sich führte, wurde ihm ungleich begegnet.
Über seine chinesische Freundin gelangte er an eine Airbnb-Unterkunft, denn eigentlich war die Vermietung an Ausländer*innen verboten. Ein aufmerksamer Nachbar kam ihm jedoch auf die Schliche. Dem Vermieter wurde Strom und Wasser abgestellt, Dimitrij Schäfer zog für die letzten Wochen des Praktikums zur Familie seiner Freundin in eine 300 Kilometer entfernte Stadt.

Sein Chef erlaubte ihm, die restlichen Wochen im Homeoffice zu arbeiten. In der Stadt, Dimitrij Schäfer spricht von einer Kleinstadt mit nur 3 Millionen Einwohnern, war die Stimmung eine andere. „Hier waren die meisten Menschen sehr freundlich und neugierig, einen Ausländer zu sehen. Allgemein spürt man hier die Präsenz des Coronavirus in der heutigen Weltlage deutlich weniger als in den größeren Städten.“ Doch insgesamt habe er vieles erlebt, was ihn sehr schockiert und sein Bild von China enorm verändert habe, berichtet Schäfer.

Rückhalt und Unterstützung aus dem Studiengang

Stets aber habe er sich vom Studiengang gut betreut gefühlt. „Sie haben mir den Rücken freigehalten und mir immer wieder mitgeteilt, dass ich mir keine Sorgen machen muss, wenn ich das Praktikum abbreche. Er stand in ständigem Kontakt mit den Verantwortlichen und war auch per Videokonferenz zur Vorlesung eingeladen, um Kommilitoninnen und Kommilitonen von seinen Erfahrungen unmittelbar zu berichten. 

Foto: Unsplash / Jeshoots

Auslandsjahr der Asienstudiengänge in Corona-Zeiten

Aufgrund der Einreiseverbote bzw. Visa-Beschränkungen der asiatischen Zielländer hat der Studiengang ein neues 5. Semester konzipiert: TSS – at home! Auch hier werden die Studierenden Sprachkompetenzen erweitern, in wirtschaftswissenschaftliche Themen und Projekte einsteigen sowie kultur- und regionalwirtschaftliche Aspekte beleuchten – zwar nicht im Ausland, aber von zuhause aus und damit eine sichere Alternative. Weitere Informationen auf den Seiten der Studiengänge Wirtschaftssprachen Asien und Management.