Zurück zur Übersicht

HTWG-Solarboot hat eine kleine Schwester auf Borneo

03.02.2020

Ein fakultätsübergreifendes Team der HTWG hilft mit, ein Öko-Tourismusprojekt in Indonesien umzusetzen. Eine Attraktion dabei ist das Solarboot „Kahayan Berkah“.

Sie war ein Medienstar, als sie vor 32 Jahren auf dem Bodensee zu Wasser gelassen wurde: Das HTWG-Forschungsschiff Korona, eines der weltweit ersten Boote, das allein mit der Kraft der Sonne angetrieben wurde. Nun hat sie eine kleine Schwester auf Borneo bekommen. Und wieder ist das Medieninteresse groß. Einen mehrminütigen Beitrag hat der indonesische Fernsehsender Televisi Republik Indonesia ausgestrahlt, als die „Kahayan Berkah“ aus einem ehemaligen Wasserflugzeug-Hangar zu ihrer Jungfernfahrt startete. Mit dabei der Tourismusminister der Provinz Zentral-Borneo. Neben ihm nahmen auf dem Boot Prof. Dr. Helmut Weber, bis zu seinem Ruhestand Regionalbeauftragter für Südostasien an der Fakultät Wirtschafts-, Kultur- und Rechtswissenschaften, und Prof. Dr. Richard Leiner, bis zu seinem Ruhestand Professor für Elektronik an der Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik, Platz. Sie haben den Bau des Solarbootes auf Borneo initiiert und ehrenamtlich begleitet.

Das Solarboot ist ein Baustein eines Ökotourismus-Projekts, das unter anderem Absolventen und Studierende der HTWG koordinieren. Ziel ist, die attraktive, aber touristisch noch wenig erschlossene Region Zentral Kalimantan (früher Borneo) als Destination aufzuwerten. „Wir wollen hier keinen Massentourismus“, betont Fiona Dietz, die vielen an der HTWG noch als frühere AStA-Vorsitzende bekannt sein dürfte. Sie hat den Studiengang Wirtschaftssprachen Asien und Management mit dem Schwerpunkt Südost- und Südasien mit einer Bachelorarbeit für die Organisation Fairventures Worldwide abgeschlossen. Ihre Aufgabe war, eine Marketingstrategie für die Tourismusregion Zentral Kalimantan zu erarbeiten. Nach dem Abschluss der Arbeit, die sie vor Ort geschrieben hat, ist sie für die Umsetzung gleich dort geblieben. Ihr Arbeitgeber, die Nichtregierungsorganisation Fairventures Worldwide mit Sitz in Stuttgart, ist mit ihrem Wiederaufforstungsprogramm „1 Million Trees“ seit etwa 10 Jahren in Zentral-Kalimantan aktiv und für ihr Engagement zur Verbesserung der Einkommenssituation von Bauern durch den Anbau von schnellwachsenden Leichthölzern mit renommierten Preisen ausgezeichnet worden.

Stille Fahrweise verschreckt Orang Utans nicht

Ein Besuch der Region ist lohnenswert: Zum einen ist ein typisches Dayak-Dorf zu besichtigen, das die Lebensweise und Kultur der indigenen Bevölkerung zeigt. Zum anderen leben in der Region 6000 bis 7000 Orang-Utans. Derzeit können sich Touristen mit Booten auf Flussarmen durch deren Lebensraum fahren lassen, die mit Benzin angetrieben werden. Doch nähmen beim Passieren der laut knatternden Boote viele der Tiere Reißaus. „Das fast lautlose Solarboot verschreckt die Tiere nicht und bietet eine weit entspanntere Fahrt. Zudem entspricht es dank der alternativen Energiequelle genau unserem Anspruch für nachhaltigen Ökotourismus“, sagt Prof. Dr. Helmut Weber.

Er hatte die Idee für den Bau eines Solarbootes, kannte er doch schließlich seine Vorzüge von der „älteren Schwester“ an der HTWG. Dank der kurzen Wege auf dem Campus war der Kontakt zur Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik schnell hergestellt und Prof. Dr. Richard Leiner im wahrsten Sinne des Wortes „mit im Boot“. Kooperationspartner vor Ort war Thomas Brönnimann von der Foundation Eko Hapakat. Die Stiftung hat bei der Deutschen Botschaft in Jakarta die finanzielle Unterstützung des Bootsbaus als Kleinstprojekt beantragt. Erfolgreich: Mit rund 23.000 Euro förderte die Vertretung der Bundesrepublik den Bau des Solarbootes.

Leiner konzipierte von Deutschland aus die technische Auslegung des Fahrzeugs. Dabei orientierte er sich an den Anforderungen, die das Tourismuskonzept vorsieht. So war ihm ein hohes Maß an Flexibilität wichtig: „Wir arbeiten nun mit herausnehmbaren Batterien, die nicht nur über Solarmodule auf dem Bootsdach, sondern auch an einer separaten Station geladen werden können“, erläutert Prof. Leiner. So könne gewährleistet werden, dass das Boot beispielsweise zwei Touren direkt nacheinander fahren kann. Der Bootsführer kann zudem je nach Länge der Tour mit zwei, drei oder auch vier Batterien fahren. Auch war Leiner wichtig, eine sehr moderne und wartungsarme Technik einzusetzen.

Planung erforderte Flexibilität

Vor Ort wurde das Boot aus nachhaltig produziertem Leichtholz gebaut. Doch nicht alle Pläne, die Leiner am Schreibtisch in Deutschland gemacht hat, haben sich in Indonesien umsetzen lassen. „Zum Teil war vor Ort das vorgesehene Material nicht erhältlich. Der Bootsbauer griff gezwungenermaßen auf Produkte aus China zurück“, erzählt Leiner. Der Download vieler Datenblätter und viel Recherche war nötig, um die Komponenten bestmöglich aufeinander anzupassen. Der ursprüngliche Plan, das Boot für sechs Personen zu bauen, wurde spontan vor Ort verändert. Nun finden zehn Passagiere neben dem Bootsführer Platz. Erst wenige Tage vor dem Stapellauf mit dem großen Medienrummel hatte Richard Leiner die Möglichkeit, vor Ort nötige Messungen durchzuführen. Einige Anpassungen waren noch am Tag vor dem großen Fest nötig.

Der Bootsname: Kahayan Berkah

Der Name des Bootes ist "Kahayan Berkah". Kahayan ist der große Fluss, an dem Palangkaraya liegt, Berkah bedeutet "Segen". Übersetzt bedeutet das in etwa "gesegneter Kahayan". Der Name wurde von Dr. Guntur Talajan, dem Tourismusminister der Provinz Zentral-Borneo, ausgesucht.

Passagiere: Von Expats-Familien bis zu Hardcore-Ökotouristen

Nun fährt das Boot. „Es ist nicht das schnittigste“, räumt Richard Leiner ein, „zum Rafting ist es nicht geeignet“, sagt Fiona Dietz lachend. Aber das war auch gar nicht das Ziel. Das Boot dient ausschließlich der touristischen Nutzung für langsame Fahrten durch Nationalparks und Schutzgebiete. Die Zielgruppen, die künftig in das Boot einsteigen sollen, sind vielfältig: „Interessierte Reisende, die ohnehin in Indonesien sind und Interesse an einigen zusätzlichen Tagen ‚Wildlife‘ haben, dazu Familien von Expats in Jakarta, Surabaya und Bali oder interessierte indonesische Touristen und Wissenschaftler, zählt Prof. Dr. Helmut Weber auf.

Tourismus-Absolvent der HTWG leitet Projekt

„Im Moment machen wir den Markttest“, sagt Dwi Novaldi. Er ist in Indonesien geboren und war für den Double-Degree-Studiengang „Wirtschaftssprache Deutsch und Tourismusmanagement“ an die HTWG gekommen. Nun arbeitet er wieder in seinem Heimatland – dank der Kontakte seines früheren Professors Helmut Weber in dem Projekt auf Borneo. Er hat das Projektmanagement für den Aufbau einer Destinationsmanagement Organisation von Fiona Dietz übernommen. Dabei gilt es, die verschiedenen Stakeholder der Region miteinander zu verknüpfen, Nachhaltigkeitskriterien zu entwickeln und zu implementieren, ein nachhaltiges Organisationssystem aufzubauen, die Finanzierung sicherzustellen und Marketingmaßnahmen zu planen. „Bei dem Job hilft mir natürlich die theoretische Grundlage, die ich an der HTWG gelernt habe, viel“, sagt Dwi Novaldi. Insbesondere das Wissen rund um nachhaltigen Tourismus, der im Studium bereits eine große Rolle gespielt habe, könne er nun gut anwenden.

„Ziel ist, das Umweltbewusstsein von regionalen Behörden und lokalen Tourismusunternehmen einerseits sowie von Touristen und Einheimischen andererseits zu stärken“, fasst er die Arbeit mit dem Solarboot zusammen. Ein nächster Schritt ist nun, die Nutzung des Bootes zu regeln. Wer darf das Boot wie einsetzen? Wer darf es vermieten? Wie hoch soll die Miete sein, damit die laufenden Kosten gedeckt werden können? Eine Herausforderung ist es, alle Stakeholder mit ins Boot zu holen. „Wir möchten zeigen, dass alle etwas davon haben, wenn alle an einem Strang ziehen“, erläutert Fiona Dietz. Noch seien die wenigen Touristen von den einzelnen Stakeholdern für eigene Interessen umkämpft.

BWL-Bachelorarbeit zum Markteintritt bei deutschen Reiseveranstaltern

Noch ein weiteres HTWG-Mitglied ist in das Projekt involviert: Dewani Megawaty Cristy erarbeitet in ihrer Bachelorarbeit eine „Markteintrittsstrategie für eine neue ökotouristische Destination im deutschen Markt am Beispiel FAR & Zentral Kalimantan“. Die gebürtige Indonesierin, die an der HTWG BWL studiert, hat sich schon immer für die Tourismusbranche interessiert. Über einen zufälligen Kontakt hatte sie von dem Projekt erfahren und die Möglichkeit, mit ihrer Bachelor-Arbeit einen Teil dazu beizutragen. Dabei untersucht sie, wie die deutschen Reiseveranstalter nachhaltigen Tourismus definieren, welche Kriterien deutsche Reiseveranstalter für das Label „Ökotourismus“ ansetzen (z. B. in Bezug auf Unterkünfte, Transport, mögliche Aktiviten) und welche Kriterien eine Destination erfüllen muss, um für die Reiseveranstalter attraktiv zu sein. Unter anderem war sie auf der Tourismusmesse in Stuttgart unterwegs, um mit Reiseveranstaltern ins Gespräch zu kommen. Den Theorieteil hat sie bereits abgeschlossen. In wenigen Wochen muss sie die Arbeit bei ihrem Betreuer Prof. Dr. Christian von Lübke, dem Nachfolger auf der Professur von Helmut Weber abgeben.
Vielleicht bekommt die Korona in naher Zukunft noch weitere jüngere Schwestern: Prof. Richard Leiner hat bereits eine Anfrage aus Ecuador erhalten, und auch Organisationen in Myanmar zeigen bereits Interesse.