Studierende entwickeln Sensoren für die Tierforschung
04.11.2024
Als Ingenieur Flughunde auf Zypern untersuchen? Georg Wilbs und Marcel Escher haben mit ihren Abschlussarbeiten wesentlich zur Tierforschung des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie beigetragen.
Studierende der Fakultät Elektro- und Informationstechnik können ihre erlernten Fähigkeiten und Kenntnisse vielfältig auf dem Arbeitsmarkt einbringen. Wie weit diese Vielfältigkeit reicht, zeigt die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen dem Ingenieurwesen und der Verhaltensbiologie. Neben den HTWG-Absolventen Arne Schäfer und Moritz Koschorke haben die Studierenden Marcel Escher und Georg Wilbs die Entwicklung der notwendigen Technologie unterstützt, mit der das Max-Planck-Institut eine weltweit einzigartige Tierforschung an Flughunden auf Zypern betreibt. Die Erkenntnisse sind sehr fruchtbar und zeigen, dass interdisziplinäre Teams extrem voneinander profitieren.
Dr. Timm Wild, Projektleiter am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, spricht begeistert von der Zusammenarbeit mit den Studierenden der HTWG. „Der Mehrwert ist riesig“, sagt er. „Die Studierenden helfen mit ihrem technologischen und digitalen Know-how die Forschung auf das nächste Level zu bringen.“ Was er damit meint, sind die Sender, die als Forschungsprototyp am Max-Planck-Institut in Radolfzell entwickelt worden sind, und zu deren Weiterentwicklung Georg Wilbs und Marcel Escher beigetragen haben. Das Innovative: Die Sender zeichnen Multisensordaten auf. Das passiert kabellos und zeitgleich, so tauschen die Sender untereinander Daten aus, vergleichbar mit der Corona-Warn-App, die über Bluetooth eine ähnliche Technologie nutzt. „Durch diese neue Technologie gewinnen wir neue Einblicke in das Sozialverhalten der Nilflughunde“, berichtet Timm Wild, das bringe die Forschung in diesem Feld massiv voran. Zusätzlich sei es möglich, die Distanz der Tiere zueinander zu messen. Das könne viele weitere Wissenslücken schließen.
„Fahrtenschreiber“ für Tiere mit hochentwickelter Elektronik
Die Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie widmen sich der Erforschung der Interaktionen zwischen Tieren und gehören weltweit zu den führenden Akteuren in diesem Bereich. Ihr Ziel besteht darin, ein quantitatives und prädiktives Verständnis der Entscheidungsfindungen und Bewegungen von Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum zu entwickeln. Hierbei verfolgen die Forscher*innen einen interdisziplinären Ansatz, der physiologische, neuronale, ökologische und evolutionäre Perspektiven sowie Methoden miteinander verknüpft. Das Institut entstand 2019 aus dem Max-Planck-Institut für Ornithologie am Standort Radolfzell.
Für ihre Forschungsarbeiten setzen die Wissenschaftler*innen innovative „Fahrtenschreiber“ für Tiere ein, die mit modernster Elektronik ausgestattet sind. Diese Sender sind so konzipiert, dass sie die Aktivität und das Verhalten der Tiere automatisch analysieren und zudem den Gesundheitszustand sowie mögliche Stressfaktoren erkennen können. Darüber hinaus verfügen die Geräte über fortschrittliche Kommunikationstechnologien, wie IoT-Protokolle (Internet der Dinge) und Satellitenverbindungen. Ein weiteres zentrales Anliegen ist es, die Sender so klein und leicht wie möglich zu gestalten, damit sie von den Tieren kaum wahrgenommen werden.
Georg Wilbs und Marcel Escher wurden bei ihren Abschlussarbeiten von Prof. Dr. Burkhard Lehner, Studiendekan der Fakultät Elektro- und Informationstechnik an der HTWG, betreut. Als Grundlage und Nährboden für die Bachelorthesen, mit den Titeln „Design and Implementation of a Next-Generation Lightweight Wildlife Tracking Device" (Georg Wilbs) und "Prototyping of an IoT-Enabled Wildlife Tracking Device Utilizing Raw GNSS" (Marcel Escher), dienten vor allem die Vorlesungen „Microprocessor Systems“, „Kommunikationstechnik“ und die Vertiefungsrichtung Kommunikationstechnik mit den Vorlesungen „Digitale Signalübertragung“ und „Microwave Engineering“ an der HTWG.
Prof. Dr. Burkhard Lehner begrüßt die Zusammenarbeit mit dem Max-Plank-Institut. „Marcel Escher und Georg Wilbs sind über sich hinausgewachsen und haben ihr Potential voll ausgeschöpft“. Komplexe Microcontroller mit Sensoren zu entwickeln, und etwas zu produzieren, was in der Forschung zum Einsatz kommt, hat die Studenten angetrieben und motiviert ihr Bestes zu geben. Dabei sei die Kombination von Hardware und Software eine optimale Inhaltsgrundlage für eine Bachelorarbeit für seine Studierenden.
Die Nilflughunde werden auf dem Rücken besendert
Die Biologen des Max-Plank-Instituts fangen die Nilflughunde mithilfe eines Netzes ein um die Sender anzubringen
Hautnah mit Flughunden arbeiten
Höhepunkt der Zusammenarbeit war für Georg Wilbs und Marcel Escher der persönliche Einsatz auf Zypern. Die Studierenden fanden den Einsatz vor Ort sehr bereichernd. Sie haben mitgeholfen, die Sender, die nach wenigen Tagen wieder von alleine von den Tieren abfallen, anzubringen, die Daten zu analysieren und auszuwerten. Bei dem Aufenthalt haben sie ihren Horizont erweitert, Erfahrungswerte gesammelt und ihr Wissen über Verhaltensbiologie in der Tierforschung intensiviert. Als „außergewöhnliche Erfahrung“ bezeichnet Marcel Escher den Aufenthalt und die Hands-on-Erfahrung am Tier. Er arbeitet nun nach seinem Studienabschluss auch weiterhin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie als Entwickler. Georg Wilbs ergänzt: „Die Entwicklung von Biologgern (Sender) ist eine sehr vielseitige und herausfordernde Tätigkeit. Durch die wissenschaftliche Arbeitsweise können spannende neue Konzepte erprobt und eigene Interessen verfolgt werden.“ Er bleibt dem Max-Planck-Institut in Radolfzell neben seinem Masterstudium an der HTWG als Werkstudent erhalten. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit inspirierte auf allen Seiten und trägt auf allen Ebenen zu maßgeblichen Erfolgen bei.
Nachdem der Sender auf dem Rücken des Tieres angebracht wurde, wird es sofort wieder frei gelassen
Es warten noch viele Felder in der Verhaltensbiologie der Ornithologie darauf, erforscht zu werden. Nach den Worten von Dr. Timm Wild seien 60% der Singvögel im europäischen Raum kaum erforscht. Es wird also auch zukünftig viele Möglichkeiten geben, sich interdisziplinär in diesem Bereich einzubringen. Das Max-Planck-Institut in Radolfzell freut sich sehr über weitere, engagierte Studierende der HTWG, die Lust haben, mit dem Team zu arbeiten.
Das Forschungsteam beobachtet das Flugverhalten der Nilflughunde bei Nacht
Fotos: Alle Fotos wurden von dem preisgekrönten Fotojournalisten Christian Ziegler gemacht