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Von der Schülerin zur Professorin

15.10.2020

Frauen in der Wissenschaft? Die HTWG will mit verschiedenen Programmen Hemmschwellen auf dem Weg dahin abbauen. Ein Programm startet im November.

Obwohl der Anteil von Frauen mit Abitur und unter Studierenden in den zurückliegenden Jahrzehnten rasant gestiegen ist, sind Frauen in Wissenschaft und MINT-Berufsfeldern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) nach wie vor stark unterrepräsentiert. Die HTWG stärkt jungen Frauen mit verschiedenen Programmen den Rücken – von der Schule bis zur Professur.
„Eine entscheidende Rolle bei der Studien- und Berufswahl sind Vorbilder“, sagt Prof. Dr. Kerstin Schaper-Lang, Gleichstellungsbeauftragte an der HTWG. „Deshalb haben wir gezielt eine Kette von Maßnahmen aufgesetzt, die genau diese Absicht verfolgen: Frauen in MINT-Studiengängen und als Wissenschaftlerin kennenzulernen, Hemmschwellen abzubauen und von deren Erfahrungen zu profitieren“.

MINT-Mentoring für Schülerinnen

Schon im November geht das MINT-Mentoring für Schülerinnen in die zweite Runde. Schülerinnen sind dazu eingeladen, über drei Monate in fünf bis acht Treffen mit Studentinnen der HTWG ins Gespräch zu kommen. „Ich hatte in der Schule extremen Respekt vor den MINT-Fächern. Das lag vor allem daran, dass ich nur wenige Berührungspunkte mit den Inhalten hatte“, sagt Pia Knoblauch. Die Berührungspunkte hatte die BWL-Absolventin jedoch nach ihrem Berufseinstieg. „Das wäre ja doch etwas für mich“, hat sie festgestellt und sich für den Master Business Information Technology an der HTWG eingeschrieben. Der Studiengang vermittelt gezielt Nicht-Informatikern technisches Know-How, um als Brückenbauer zwischen Informatik und betrieblichem Management arbeiten zu können. „Ich wollte nun Schülerinnen zeigen: Programmieren ist kein Hexenwerk, traut Euch das zu“, sagt die Studentin, die im Sommersemester als Mentorin im Einsatz war.

Auch eine Maschinenbau-Studentin war Mentorin, um Schülerinnen Mut zu machen: „Man muss kein Nerd sein, um ein MINT-Fach zu studieren“, betont sie. Sie selbst habe als Schülerin am Schnupperstudium an der HTWG teilgenommen und darüber Studierende kennengelernt, die ihr authentische Einblicke geben konnten. Diese gute Erfahrung wollte sie nun weitergeben.

Wegen der Einschränkungen durch die Corona-Maßnahmen haben die beiden Studentinnen ihre Mentees regelmäßig online getroffen. „Wir haben viel über die inhaltlichen Schwerpunkte der verschiedenen Studiengänge gesprochen, aber auch über den Studienalltag und darüber, wie es ist, als eine der wenigen Frauen, ein Informatikstudium zu absolvieren“, berichtet Pia Knoblauch.

 

MINT-Mentoring für Schülerinnen

Eingeladen sind Schülerinnen ab der 10. Klasse, die sich für ein Studium im MINT-Bereich interessieren. Das Programm läuft teils online teils in Präsenz bis voraussichtlich Ende Januar 2021. Es sieht eine Veranstaltung zum Start des Programms am 16. November, eine Abschlussveranstaltung und mindestens fünf Treffen sowie die mögliche Teilnahme an ausgewählten digitalen Veranstaltungen der HTWG vor.
Neu in diesem Mentoring-Turnus ist die Kooperation mit einem geplanten Python-Projekt. Die Schülerinnen lernen in einem Schnupperkurs die Programmiersprache Python kennen, sowie deren Anwendungsfelder und spannende Berufsfelder.

Die Teilnahme am Mentoring-Programm ist kostenlos. Am 4. November um 17 Uhr findet eine digitale Info-Veranstaltung statt. Weitere Informationen und Anmeldung auf der Website des MINT-Mentorings für Schülerinnen.

Anmeldungen für das Programm sind bis 12.11. möglich.

Schon viel früher setzt der Girls‘ Day an: An diesem Schnuppertag können Mädchen ab der fünften Klasse verschiedene Fachrichtungen aus den Bereichen Technik, IT und Naturwissenschaften kennenlernen. „Bei den angebotenen Aktionen können sie selbst tätig werden und verborgene Talente entdecken“, sagt Organisatorin Grit Roth. Er musste in diesem Jahr entfallen, ist aber nach dem jetzigen Stand für April 2021 geplant.

Dass es sich lohnen kann, in ein MINT-Fach zu schnuppern, auch wenn es in der Schule nicht so spannend wirkt, zeigt das Beispiel von Prof. Dr. Doris Bohnet. Erst während eines Auslandsjahres in der zehnten Klasse wurde bei ihr das Interesse an den Naturwissenschaften geweckt: „Zurück in Deutschland hatte ich einen sehr engagierten Chemie-Lehrer, der mich unterstützte und mit dessen Hilfe ich ein gutes Stipendium erhalten habe“, erinnert sich die Professorin, die nun Mathematik an der Fakultät Informatik lehrt. Mathematik? „Im Chemiestudium habe ich dann mein Interesse an Mathematik entdeckt und mein Studienfach gewechselt - die Mathematik in der Schule fand ich früher sehr langweilig und hätte als Schülerin niemals gedacht, einmal Mathematik zu studieren.“
Sie rät Schülerinnen, ohne Vorurteile Verschiedenes auszuprobieren und die Angebote von Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften anzunehmen, um sich zu informieren. „Viele Fächer sind im Studium anders, als man sie in der Schule erlebt, und viele Berufsbilder haben sich verändert. Einmal im Studium sollte man sich nicht von Misserfolgen entmutigen lassen, zu schnell an sich zweifeln oder sich zu sehr mit anderen vergleichen, denn jeder bringt andere Voraussetzungen aus der Schulzeit mit“, sagt Prof. Doris Bohnet.

Workshop für Lehrer*innen und Lehrende

Lehrer*innen und Lehrende sind am 3. November um 16 Uhr zu einem Workshop zum Thema "Lernen & Motivation in MINT für Schülerinnen/Studentinnen" eingeladen. Vera Maier-Tragmann, Koordinatorin Gleichstellung und Diversity, wird einen Vortrag halten. Die Zentrale Studienberatung nimmt Anmeldungen entgegen.

Mentoring für Studentinnen

Schülerinnen, die sich für ein Studium an der HTWG oder der Universität Konstanz entschieden haben, können von den Erfahrungen von Frauen profitieren, die schon im Berufsleben stehen. „In unserem Mentoringprogramm begleiten berufserfahrene Fachfrauen aus Wirtschaft, Kultur, Politik und Wissenschaft ihre Mentees zu Fragen rund um die Themen Berufseinstieg, berufliche Laufbahn, Selbständigkeit, Bewerbungsverfahren oder auch Vereinbarkeit von Familienaufgaben und Beruf“, sagt Gudrun Damm, die das Mentoring-Programm für Studentinnen an der HTWG und der Universität Konstanz koordiniert. Daneben erhalten die Studentinnen Informationen zu Stipendien und Förderprogrammen sowie Unterstützung beim Aufbau eines Netzwerks zu erfolgreichen Frauen.

Unterstützung für Doktorandinnen

„Beim Weg in die (Ingenieur-)Wissenschaftskarriere teilen sich die Geschlechter noch stark“, so Prof. Dr. Kerstin Schaper-Lang. Für die gezielte Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen hat die HTWG daher ein Doktorandinnenprogramm aufgesetzt, das Frauen bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit an der HTWG mit der Finanzierung von Stellenanteilen unterstützt, um die wissenschaftliche Basis in Form der Promotion für die Berufung auf eine Professur zu erhalten. Gefördert werden insbesondere Doktorandinnen, die Familienverantwortung übernehmen oder in einem MINT-Gebiet promovieren, die kurz vor dem Abschluss stehen und darlegen können, dass sie sich für eine HAW-Professur interessieren.

In einigen Jahren als Professorin arbeiten - das kann sich Melanie Huber durchaus vorstellen. Derzeit arbeitet sie an ihrer Promotion zum Thema Schatten-IT, einem Bereich der Wirtschaftsinformatik. Dass sie diesen Weg einschlagen würde, hätte sie zum Ende ihrer Schulzeit nicht erwartet. Sie war zwar gut in Mathematik und hatte Spaß an logischem Denken, doch ein Informatikstudium stand gar nicht zur Diskussion. Während des BWL-Studiums in Mannheim reizten sie schließlich doch auch Informatik-Kurse und schließlich schrieb sie sogar ihre Bachelor-Arbeit zu einem Thema der Wirtschaftsinformatik. Um die Informatik zu vertiefen, schloss sie den Master Business Information Technology, der sich speziell an Nicht-Informatiker*innen richtet, an. Im Nachhinein ist sie über den Schwenk zur Informatik froh, bereut aber auch das BWL-Studium nicht. „Jede muss ihren Weg finden“, sagt die Doktorandin. Schülerinnen und Schülern empfiehlt sie, keine Scheu vor der Technik zu haben. „Man muss vor dem Studium noch nicht Programmieren können und auch nicht Computer auseinandergebaut haben“, sagt sie lachend. „Wer Spaß am Knobeln hat, schafft das, da spielt das Geschlecht keine Rolle.“ Gefährlicher, aber vielleicht typisch weiblich, findet sie die Frage: „Bin ich gut genug?“, die sich ihrer Erfahrung nach Frauen oft anders beantworten als Männer und sich damit Wege verbauen.

Eher zufällig hatte sich für Prof. Dr. Doris Bohnet der Weg zur Promotion geebnet: „Man hat mir nach meiner Diplomarbeit eine Doktorandenstelle angeboten, das Thema interessierte mich und die Arbeitsgruppe passte auch. Meine beiden Doktorväter haben mich bei all meinen Ideen wie DAAD-Stipendium, Konferenzbesuche u.Ä. unterstützt und auch akzeptiert, dass ich mit Säugling an der Tafel stand und über meine Arbeit diskutierte“, erinnert sie sich. Ähnlich sei die Entscheidung, sich auf eine Professur zu bewerben, verlaufen: „Eine befreundete FH-Professorin hat mich auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht und mir Tipps für die Bewerbung gegeben.“

Der Weg zur Professorin

Das Beispiel zeigt: Auch im Berufsleben sind Vorbilder und Austausch wichtig. Sie können helfen, Vorstellungen von Berufsbildern zu korrigieren und Hemmschwellen abzubauen. So auch vor dem Beruf Professorin. Deshalb engagiert sich die HTWG sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene dafür, Frauen für den Beruf der Professorin in technischen Fächern zu begeistern. Mit Förderprogrammen wie z.B. einer Gastprofessur soll Frauen der (Wieder-)Einstieg in die akademische Welt erleichtert werden. „Hier gibt es für die individuelle Situation angepasste Maßnahmen: Ein Programm ermöglicht zum Beispiel den Einstieg über Lehraufträge von vier Stunden pro Woche, ein anderes spricht gezielt Nachwuchswissenschaftlerinnen mit Kind an“, erläutert Vera Maier-Tragmann, Referentin für Gleichstellung und Diversity an der HTWG.
Frauen mit Berufserfahrung für eine Professur an einer Hochschule für angewandte Wissenschaft (HAW) zu gewinnen, ist das Ziel des Projekts "HAW-Mentoring – Traumberuf Professorin". Neben der HTWG engagieren sich in einem Pilotprojekt bisher sechs weitere Hochschulen aus Baden-Württemberg dafür, mehr Frauen für den Beruf der Professorin zu gewinnen. Gesucht werden Frauen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Kultur, die Interesse an einer Lehr- oder Forschungstätigkeit haben. „Sie erhalten als Mentees für ein Jahr die Begleitung von Mentorinnen und Mentoren einer HAW in Berufungsverfahren und eine gezielte Weiterbildung als Qualifizierung zur Professorin. Damit erhalten sie einen authentischen Einblick in das Tätigkeitsfeld einer Professur“, erläutert Prof. Dr. Kerstin Schaper-Lang. Das Projekt soll für alle HAWs in Baden-Württemberg ausgerollt werden.  

Alle Bemühungen sind aus dem Auftrag des Landeshochschulgesetzes abgeleitet, das die Gleichstellung forciert. Prof. Dr. Schaper-Lang sieht die HTWG dabei auf einem guten Weg, nicht zuletzt dadurch, dass Ende September mit Prof. Dr. Sabine Rein zum ersten Mal in der 114-jährigen Geschichte der Institution eine Frau die Leitung der Hochschule übernommen hat. „Wir haben schon viel erreicht, auf das wir stolz sein können. Doch wollen wir nicht nachlassen, Frauen die Vorbehalte zu nehmen, die viele immer noch vor den MINT-Fächern zurückschrecken lassen“, betont die Gleichstellungsbeauftragte.