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Eine Pionierin wird dreißig

01.06.2018

Das Solarboot Korona, 1988 von der FH Konstanz entwickelt, ist eine ingenieurwissenschaftliche Meisterleistung. Die Idee zu ihrem Bau hatten Studenten.

„Neptun und Thetis tauchten aus dem Wasser auf, nahmen mich mit, da war kein Entkommen. Ich konnte gerade noch jemandem Schlüssel und Portemonnaie in die Hand drücken und dann ging's ab in den Rhein. Das war der Anfang.“ Mit sichtlichem Vergnügen erinnert sich Dr. Christian Schaffrin, Emeritus der HTWG, auch nach dreißig Jahren noch an die Schiffstaufe zurück, bei der sich zwei seiner Studenten als Meeresgott und Nymphe ausstaffierten und ihren Professor voll bekleidet mit sich in den Seerhein zogen:

Eine studentische Initiative, die Geschichte schrieb

Die Solarzellen-Forschung steckte in den 1980er-Jahren noch in den Kinderschuhen, die universitäre Forschung dazu bezog sich vor allem auf die Raumfahrt. Fahrzeuge damit anzutreiben, gar Wasserfahrzeuge, war etwas, das kaum gedacht, geschweige denn erforscht wurde. Nur eine kleine Gruppe innovativer Vordenker setzte auf diese Idee. Und weil sich Erfindungen im Wettbewerb am besten weiterentwickeln und testen lassen, traf man sich seit 1985 einmal im Jahr zur „Tour de Sol“ in der Schweiz. Bei diesem Schaulauf der Solarmobile zeigten die Tüftler, was sie und ihre Fahrzeuge drauf hatten. Und das konnte sich sehen lassen: Die schnellsten Solarfahrzeuge ohne Zusatzantrieb erreichten Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 120 km/h. Der Wettbewerb fand auf der Straße statt, die Gefährte waren allesamt Straßenfahrzeuge. Sie muteten phantasievoll, ja abenteuerlich an, waren aber mit großem Sachverstand und fachkundig ausgeführt.

Der Funke, den die „Tour de Sol“ entzündet hatte, sprang über – auf eine Gruppe von Studenten der FH Konstanz. Und nachdem 1986 ein Team der Ingenieursschule Biehl das Rennen gewonnen hatte, traten sie mit dem Plan, beim nächsten Mal selbst ganz vorn mit dabei zu sein, an ihren Professor, Dr. Schaffrin, heran. „Im Sommersemester 1986 hat mich eine Gruppe Studenten angesprochen: Was die Biehler können, müssen die Konstanzer auch können, wollen Sie nicht mit uns ein Solarmobil bauen? Ich fand das toll und war sofort dabei. Die Studenten haben mich sozusagen engagiert. Es war für mich so etwas wie eine Initialzündung, damit habe ich eigentlich meine Lebensaufgabe gefunden“, erzählt Schaffrin. Wenn man ihm zuhört, wie er voller Begeisterung vom Engagement seiner Studenten bei der Konstruktion der Korona schwärmt, von den Schwierigkeiten, die sie mit Cleverness, Findigkeit und einer großen Portion Spaß bewältigt haben, dann entsteht das Bild eines Teams, das für die Sache brennt. Und man versteht, was Schaffrin meint, wenn er von der „Ingenieurskunst“ spricht.

Dass die Konstanzer beim nächsten Rennen mit einem Boot und nicht mit einem Landfahrzeug antreten wollten, ergab sich in doppelter Hinsicht aus der Lage der Hochschule. Zum einen hatte man den Bodensee vor der Haustür. Zum anderen war für die Antriebs- und die Elektrotechnik das ingenieurwissenschaftliche Knowhow in der Hochschule direkt vorhanden, nicht aber das für den Bau der Karosserie.

Video auf Youtube aus den Originalfotos aus den 80er-Jahren: www.youtube.com/watch?v=Pu0o7XrCSrI&feature=youtu.be

Die Taufe des Solarboots Korona am 16. Mai 1988 war ein Ereignis in Konstanz. Und wie selten ein Täufling war die an der Fachhochschule Konstanz entwickelte Korona bald darauf schon weltberühmt. Der SPIEGEL, „Bild der Wissenschaft“, Funk und Fernsehen, Zeitungen in Europa, in Japan und Russland berichteten über die 7,2 Meter lange, ingenieurwissenschaftliche Pionierleistung vom Bodensee: Ein Boot, das nur mit der Kraft der Sonne fährt, von der Leistung aber durchaus mit kleinen 6PS-Freizeitbooten mit Verbrennungsmotor mithalten kann.

Erfolgreiche Drittmittelakquise eines Enthusiasten

Mit einem guten Konzept und seinem ansteckenden Enthusiasmus überzeugte Schaffrin das Land Baden-Württemberg Gelder zur Verfügung zu stellen, über 100.000 DM, und im Oktober 1986 legte die Arbeitsgruppe los. Die Herausforderung bestand darin, dass es von den Komponenten, die für den Bau der Korona benötigt wurden, bis auf die Batterie nichts am Markt zu kaufen gab. Alles musste selbst entwickelt werden. Gefragt war bei diesem Projekt also eine gehörige Portion des interdisziplinären Verständnisses, das einen guten Ingenieur auszeichnet. Wie geht eine Propellerauslegung? Wie kann ich einen Rumpf möglichst strömungsarm gestalten? Derartige Aufgaben hatten die Studenten zu bewältigen.

Besonderen Wert legte man dabei auf die systemische Optimierung. Und die gelang so gut, dass sogar gestandene Ingenieure das Resultat erst nachprüften, bevor sie es glauben konnten. „Das war eine nette Episode“ erinnert sich Schaffrin. „Wir haben natürlich dafür gesorgt, dass wir den Wirkungsgrad der gesamten Energiekette optimieren. Die Komponente mit dem schlechtesten Wirkungsgrad ist der Propeller. Vor allem weil er so klein ist. Deswegen habe ich gesagt: da müssen wir was tun und habe mich an eine Firma gewandt, die in Ravensburg sitzt und weltbekannt ist für ihren Propellerbau. Ich habe meine Pläne vorgestellt und gefragt, ob sie uns helfen können. Bei der ersten Besprechung haben sie die Daten der Korona abgefragt. Und haben mir nicht geglaubt: Das geht gar nicht, ausgeschlossen, so schnell kann ein Schiff mit dem Gewicht, der Größe und der Antriebsleistung nicht sein. Ich glaube, insgeheim dachten die, der doofe Elektroingenieur verwechselt Knoten mit km/h.“ Die firmeneigenen Ingenieure bestanden folglich auf eine nochmalige Messung. Professor Schaffrin lacht und sagt: „Nun bin ich damals für das Fach elektrische Messtechnik an die Hochschule berufen worden. Selbstverständlich hatten wir die Geschwindigkeitsmessung der Korona exakt geeicht. Das haben dann auch die Ravensburger festgestellt: Bestens geeicht. Die haben einfach nicht geglaubt, dass man nur durch Systemoptimierung solche Leistungen erzielen kann.“

Der Name Korona wurde aus zwei Gründen ausgewählt: Korona bezeichnet die Zone der Sonne, von der die Strahlung ausgeht und in den Weltraum abgeht. Und der zweite Grund: Korona enthält die beiden Buchstaben KN  nicht nur bei Autos, sondern auch bei Schiffen das Kürzel für den Herkunftsort.

 

Reif für den Markt?

Aber auch im Rahmen wissenschaftlicher Forschung wurde die Korona weiterentwickelt und wird bis heute als schwimmendes Labor genutzt. Im Laufe der Jahre ersetzten Leistungselektroniker der HTWG den ursprünglichen asynchronen Antrieb durch einen Gleichstromantrieb. Radartechnik wurde installiert und die Regelungstechniker erforschten mit Hilfe der Korona das kollisionsfreie Fahren. Während der Arbeit am Solarboot entstanden bis dato über 30 Diplom- und Studienarbeiten. 

Die Forschungen und Verbesserungen zielten natürlich gleichermaßen darauf ab, das Solarboot als Prototyp zur Serienreife zu entwickeln. Zehntausende Vergnügungsboote (Amtsdeutsch für Segel- und Motorboote) befahren den Bodensee. Die Vorteile eines Solarbootes gegenüber einem Motorboot liegen klar auf der Hand: Es ist emissionsfrei, weitestgehend geräuschlos und mittelfristig auch preisgünstiger. Zwar eignet sich ein Boot, das nur auf eine einzige, dazu noch unzuverlässige Energiequelle wie die Sonne setzt, nicht für den professionellen Betrieb, wie z.B. für die Fischerei. Und auch eine Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h sowie eine maximale Reichweite von 70 Kilometern im Batteriebetrieb sind nicht für jeden attraktiv. Doch für den umweltbewussten Freizeitkapitän, dem die Naturverträglichkeit seines Bootsausflugs wichtiger ist als Höchstgeschwindigkeit und Leistung, kommt die Anschaffung eines kleinen Solarboots durchaus in Betracht: Unter der Woche aufgeladen, ist die Batterie am Wochenende voll und los geht’s. Warum also ist die Korona trotz dieser guten Ausgangsbedingungen und einer hochentwickelten Technik nie in Serie gegangen?

Mehrere Firmen interessierten sich, doch bis zur Serienreife hat es nie gereicht, stets verliefen die Pläne im Sande. Die immer noch vergleichsweise hohe Kosten für die Solarzellen und die Batterie spielten dabei eine entscheidende Rolle. „Es gab immer wieder mal Ansätze“, erklärt Prof. Schaffrin. „Aber die wurden nicht durchgezogen, das waren alles Kleinbetriebe. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Käuferschaft in dem Bereich sehr konservativ ist. Auf Bootsmessen bin ich oft gefragt worden, ab wann sich der Antrieb gegenüber einem Diesel- oder Benzinmotor rechnet. Ich hatte es ja ausgerechnet: 8-9 Jahre. Dann wurde mir klar, dass das die falsche Frage ist: Wann rentiert sich ein Hobby? Ein Hobby rentiert sich überhaupt niemals. Und zu fragen: "Wann rentiert sich eine Verbesserung des Hobbies?" ist absurd.“

Als Erste durchs Ziel

Die sorgfältige Arbeit an der Korona trug Früchte. Nach dem Stapellauf im Mai 1988 startete die Korona noch im selben Sommer zum ersten Solarboot-Rennen am Neuenburger See in der Schweiz. Zwei Dutzend Solarboote traten in den Kategorien „Rennboot“ oder – wie die Korona – „Hausboot“ an. Bei Windstärke 7-8, Hitze, Gewitterstimmung und hohen Wellen und nachdem es wegen Unwetterwarnung schon um vier Stunden verschoben worden war, startete das Rennen endlich am Nachmittag. Es war ein Rundkurs zu bewältigen und trotz der widrigen Umstände meisterte die Korona die Aufgabe tadellos. Während viele der Mitbewerber strandeten, ging das Konstanzer Solarboot souverän als erstes durchs Ziel. Die Korona fuhr noch sieben weitere Rennen in Deutschland, Italien und der Schweiz und nur ein einziges Mal musste sie sich einer Solar-Yacht geschlagen geben. Zuletzt nahm sie 2008 zu ihrem zwanzigjährigen Jubiläum an der „Frisian Solar Challenge“ teil, einem siebentägigen Rennen über 220 Kilometer. Rechtzeitig zum Jubiläum erhielt die Korona 2007 eine Frischzellenkur und die 9 m² Solarzellen, die auf dem Boot verbaut sind, wurden ausgetauscht.

„Ich bin der Meinung, dass das Thema Nachhaltigkeit mit besonderer Beachtung der Energieversorgung jedem Absolventen einer Hochschule vermittelt werden muss, egal was er studiert. Die Zukunft liegt nicht in der fossilen Energieversorgung sondern in der solaren. Deshalb habe ich jahrelang Forschung in diesem Forschungsschwerpunkt betrieben und zu dem Thema auch eine recht umfangreiche Vorlesung erarbeitet. Ich hab den Studierenden gezeigt, welche Wege möglich sind. Es ist ihre Aufgabe, die Zukunft zu gestalten. Es gab selten eine Generation von jungen Leuten, die so viel Verantwortung und gleichzeitig so viel Gestaltungsmöglichkeiten hatte, wie die heutige.“

Prof. Dr. Christian Schaffrin, Vater der Korona

 

Um das Problem zu lösen, bei der umweltfreundlichen Mobilität auf nur einen Energieträger angewiesen zu sein, entwickelte man in der zweiten Generation 2007 mit der Solgenia ein Schiff, das solar erzeugten Wasserstoff tankt. Auch dieses Boot war weltweit das erste, das mit einem Hybridantrieb ausgestattet ist, der Wasserstoff und Photovoltaik kombiniert einsetzt.

Doch die Korona ist nach wie vor bei den Studierenden beliebt. Wer einen Einführungskurs gemacht hat, mit den Besonderheiten und der Messtechnik vertraut ist, erhält die Genehmigung mit dem Solarboot zu fahren. Neben den wissenschaftlichen Untersuchungen lässt sich so auch schon mal ganz entspannt und umweltfreundlich zum Baden fahren.

Technische Daten der Korona:

Länge 7,2 Meter
Breite 2,2 Meter
Tiefgang 0,3 Meter
Gewicht 1,5 Tonnen
Verdrängung 1,4 m3
AS-Motor 2,2 kW
Batteriespannung 120 Volt
Nennladung der Batterie 105 Ah
Solarmodule 900 Wp
Maximale Geschwindigkeit 12 km/h
Passagierkapazität 6 Personen