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Schritt für Schritt zum Erfolg

31.03.2022

100.000 Euro Starthilfe: HTWG-Team erhält Mindelseestipendium des Konstanzer Vereins „Unternehmer:innen für Gründer:innen“. Warum? Und wie geht es weiter?

Wenn das keine Motivationsspritze ist: Das Team „Eversion Technologies“ hat den Zuschlag für das Mindelsee-Stipendium bekommen, das der Konstanzer Verein „Unternehmer:innen für Gründer:innen e.V.“ (UfG e.V.) zum ersten Mal vergeben hat. Die HTWG-Studierenden David Melzer, Studiengang Gesundheitsinformatik, Timon Sutter, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau, Julia Zimmermann, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Bau, Maximilian Starkmann, Studiengang Sportwissenschaften an der TU München sowie Orthopädieschuhtechniker Wolfgang Triebsteinder und der Mechatronik-Ingenieur Thomas Taube konnten die Jury in mehreren Runden von ihrer Idee und ihrem Konzept zur Umsetzung überzeugen.

100.000 Euro erhält das Team nun als Starthilfe. Ehrlich gesagt: Eine Motivationsspritze hatten die Studierenden eigentlich gar nicht nötig. Sie brennen für ihren Plan, mit Hilfe einer innovativen Ganganalyse und entsprechend individuell angepasster Sohlen Mitmenschen von Gelenk- und Muskelschmerzen zu befreien. Sie verknüpfen dabei auf beeindruckende Weise die Möglichkeiten der Digitalisierung mit der Gesundheitsvorsorge auf der Basis von Gemeinwohlorientierung. Die Finanzspritze hilft ihnen nun, die nächsten Schritte zu gehen. „Das Team von Eversion hat uns nicht nur mit seiner inhaltlichen Idee überzeugt, sondern auch mit seinem Engagement, der Lernorientierung und der ausgewogenen und zugleich diversen Teamzusammensetzung“, berichtet Antje Freyth vom Vorstand des UFG e.V.

 

Ihre Idee gründet vor allem auf drei innovativen Schritten. Ziel ist nicht die Korrektur der Fußstellung, wie dies herkömmliche Einlagen tun, sondern die Korrektur des Schuhs. Durch die Nutzung einer individuell angepassten Sohle sollen Gelenke entlastet und Muskulatur gestärkt werden. „Der Fuß soll nicht gestützt, sondern mobilisiert werden“, erläutert David Melzer.

So funktioniert’s:

Am Anfang steht die Analyse: Mit Hilfe einer mit Sensorik ausgestatteten Einlegesohle wird der Gang der*s Kund*in erfasst. „Dabei ist uns wichtig, dass wir umfassende Daten erhalten, also nicht nur einen kurzzeitigen Eindruck“, sagt Timon Sutter. Das heißt: Kund*innen von Eversion sollten im besten Fall vergessen, dass sie gerade auf einer Sensorsohle gehen, um einen möglichst realitätsnahen Eindruck zu hinterlassen. Das Handling ist ganz einfach: Eversion schickt die Sensorsohle, der*die Kund*in verbindet sie mit dem Handy und ergänzt Daten zum getragenen Schuhtyp, Schuhgröße und weiteren Informationen. Ein*e virtuelle*r Assistent*in begleitet die Nutzer*innen über den gesamten Prozess.

Die Daten, die von der Sensorsohle in rund acht Stunden gesammelt werden, machen möglich, Verformungen des Schuhs und Abweichungen des Gangs abzubilden. Die Auswirkungen auf die Muskeln und Gelenke des Körpers werden dank der Algorithmen über eine 3D-Körper-Simulation visuell dargestellt. Und zwar ganz anschaulich in einer App. Hier können die Kund*innen erkennen, wo ihre Schwachstelle ist bzw. sind. „Ich zum Beispiel hatte über Monate Hüftschmerzen, für die die Ursache nicht gefunden werden konnte“, erzählt Teammitglied Julia Zimmermann. Nach der Ganganalyse konnte sie in der 3D-Simulation sehen: Eine Überbelastung der Muskulatur im linken Hüftgelenk und dadurch provozierte Schmerzen.

Die Lösung: Eine Einlegesohle, die die Schwächen des jeweiligen Schuhes so ausgleicht, dass minimale Fußfehlstellungen und eine Überbelastung von Gelenken und Muskeln vermieden wird, um ein optimales gesundes Gangbild zu erreichen. Das Geschäftsmodell der Studierenden sieht dabei vor, den Kund*innen den Zugang so leicht wie möglich zu machen. Schon vor der Nutzung der Einlegesohle soll die App über Füße, Skelett und Schuhtypen aufklären. Erst wenn man sich für die Erstellung der individuellen Sohlen entscheidet, werden die Einnahmen für Eversion kostendeckend, „erst, wenn der Kunde wirklich von unserem Produkt überzeugt ist“, erläutert Timon Sutter.

Das Mindelsee-Stipendium

Das Mindelsee-Stipendium richtet sich an gründende Student*innen oder Hochschulabsolvent*innen aus der Region Konstanz und zeichnet sich durch seinen Fokus auf innovative Gründungsvorhaben aus. Mit dem Mindelsee-Stipendium wird je Ausschreibung ein Gründungsvorhaben für ein Jahr mit bis zu 100.000 € gefördert. Das Stipendium besteht aus einer monatlichen Zuwendung für den Zeitraum eines Jahres an die Gründer*innen, einer Sachmittelunterstützung sowie begleitendem Mentoring der Gründer*innen durch erfahrene Unternehmer*innen der UfG. Übergeordneter Zweck des Stipendiums ist es zu einem alternativen Berufsstart in eine innovative Unternehmensgründung zu motivieren und die Umsetzung unternehmerischer Ideen zu fördern.

Initiiert und gefördert wird das Stipendium von Sylvia Kalocsai und von der UfG ausgerichtet, einem Verein bestehend aus erfahrenen Unternehmer*innen, Führungspersönlichkeiten und Technologie-Expert*innen (siehe Info unten).

Als Startup-Initiative der HTWG und Universität Konstanz unterstützt Kilometer1 angehende Gründer*innen der beiden Hochschulen unter anderem auch durch Fördermittelberatung. Das Mindelsee-Stipendium ergänzt hier das Portfolio möglicher Fördermittel. Kilometer1 ist im Rahmen seiner Fördermittel-Beratung auch für Interessent*innen des Mindelsee-Stipendiums die erste Anlaufstelle.

Expertenkreis berät das Team

Ob und wann Krankenkassen die individuell erstellten Einlegesohlen zumindest teilweise finanzieren werden, kann das Team nicht voraussagen. In jedem Fall strebt es die Medizinproduktzertifizierung an. Dabei unterstützt sie unter anderem Prof. Dr. Renato Dambe, der – selbst Mediziner – im Studiengang Gesundheitsinformatik lehrt und das Team begleitet.

Außerdem haben sie im Laufe ihrer Konzeptentwicklung den Expertenkreis erweitert, selbstverständlich mit Orthopäde und Physiotherapeut. Maximilian Starkmann erstellt im Rahmen seiner Bachelorarbeit im Studiengang Sportwissenschaften an der TU München mit Proband*innen eine Studie, die das Schmerzverhalten vor und nach der Nutzung der Sohle untersucht. Er war übrigens wegen eines Praktikums beim IFBG in Konstanz, als sich das Team gerade zusammenfand. Ein Glücksfall, schließlich füllten seine Kompetenzen eine Lücke im Team. Mit im Team ist auch Mechatronik-Ingenieur Thomas Taube, den das Team bei einem Startup-BBQ von Kilometer1 kennengelernt hatte. „Er ist auch ein Startup-Enthusiast und zudem ein Experte im Bereich Sensorik“ sagt Julia Zimmermann. Taube war begeistert von der Idee der Studierenden und arbeitet nun neben seiner Teilzeitstelle im Team mit.

Teammitglieder fanden sich bei Startup-Veranstaltungen

Die HTWG-Studierenden hatten sich in verschiedenen Veranstaltungen von Kilometer1, der gemeinsamen Startup-Initiative der Universität Konstanz und der HTWG, kennengelernt. Gemeinsam griffen sie den fachlichen Input von Orthopädieschuhtechniker Wolfgang Triebstein auf und entwickelten Ideen für ein Geschäftsmodell, das auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit aufbaut und es den Kund*innen erstmals möglich macht, eine Ganganalyse von Zuhause durchzuführen.

Mit Unterstützung des Lehrbeauftragten Wolfgang Heisel klärten sie rechtliche Fragen wie zum Beispiel zum Patent-, Urheber- und Markenschutz. „Ich habe das Team gerne auf den ersten Schritten begleitet, damit es nun Produkt und Geschäftsidee auf einem guten Fundament weiterentwickeln kann“, sagt Heisel. Die Studierenden können auch weiterhin auf seine Expertise zählen.

Startup ist Thema der Abschlussarbeit

Timon Sutter schreibt gerade seine Abschlussarbeit über die Anwendung der Lean Startup Methode in etablierten Unternehmen am Institut für Strategische Innovation und Technologiemanagement IST der HTWG bei Prof. Dr. Guido Baltes (der übrigens 2018 die Gründung von UfG e.V. mitangestoßen hat) und Julia Zimmermann beginnt ab April ihre Bachelorarbeit über das Gründungsprojekt im Rahmen von „StartUp Your Thesis“ (Kilometer1) zu schreiben. Gesundheitsinformatiker David Melzer, ebenfalls im siebten Semester hat bereits seine Bachelorarbeit abgegeben, er ist der „Mann rund um die Software“.

Gemeinwohlorientierung und Nachhaltigkeit

Zu Beginn ihres Studiums hätten sie alle nicht gedacht, dass es mit einer solchen Perspektive für sie enden wird. Auf Jobsuche geht Julia Zimmermann, die während ihres Studiums bei der Gründerschiff UG arbeitete und dort Lust aufs Gründen bekam, nicht: „Ich glaube jetzt einfach an meine Träume“, sagt sie lachend. Dazu gehört auch die Haltung: „Uns ist wichtig, ein gemeinwohlorientiertes Startup zu sein“, betont Julia Zimmermann. Das heißt zum Beispiel: Die Sensorsohle wird nach der Nutzung von den Kund*innen wieder zurückgeschickt und immer wieder verwendet. Die Einlegesohlen werden ressourcenschonend hergestellt, das Material kann wiederverwertet werden, erläutert Timon Sutter.

Erfolg von Pitch zu Pitch

Mit ihrem Konzept haben die Gründer*innen übrigens schon eine erste kleine Karriere hinter sich: Nachdem sie den ersten Platz bei der Bodensee Startup School belegt hatten, sicherten sie sich auch bei den jährlichen Kilometer1 Awards den ersten Platz in der Kategorie Student Innovation. 1000 Euro war damals die Summe des Preisgelds. Noch viel schwerer wog für sie aber das Gefühl: „Das könnte wirklich eine Sache sein, die es lohnt weiterzumachen“, sagt Julia Zimmermann.

Nachdem auch das Team von Kilometer1 ihnen empfahl weiterzumachen und sie auf das Mindelsee-Stipendium aufmerksam machte, drehten sie auf Hochtouren auf und reichten innerhalb kurzer Zeit eine 80-seitige Bewerbung ein. Nach einem virtuellen Vorrundenpitch wussten sie: Das könnte was werden. Nach dem finalen Pitch haben sie nun den finanziellen und auch den ideelen Rückhalt von UfG e.V., um die nächsten Meilensteine zu setzen. Antje Freyth vom Vorstand der UfG sagt: „Wir bieten Eversion den kontinuierlichen Austausch mit den erfahrenen Unternehmern unseres Vereins, öffnen unser Netzwerk zur Klärung konkreter Fragestellungen und bieten den Teammitgliedern Coaching in herausfordernden Situationen an. Wir freuen uns sehr, dieses Team wo immer es möglich ist, auf seinem Weg zur Umsetzung zu unterstützen“.

Weitere Informationen auf der Website von Eversion Technologies.

Unternehmer*innen für Gründer*innen

Der gemeinnützige Verein hat die Unterstützung von Gründer*innen in der Region Konstanz zum Ziel. UfG unterstützt innovative Startups beim erfolgreichen Unternehmensaufbau und fördert dazu Forschung und Bildung in der Gründerszene, beispielsweise durch die Vergabe von Stipendien, durch das Angebot von kostenfreien Seminaren oder unentgeltlichem Mentoring. Ziel ist die Stärkung der regionalen Innovationskraft und die Schaffung von spannenden, zukunftsfähigen Arbeitsplätzen in der Region Konstanz.

UfG e.V. ist unabhängig und zugleich als Teil des Gründungsnetzwerkes Konstanz kooperierend mit den anderen Playern im Startup-Ökosystem Konstanz (z.B. Farm, Kilometer1, cyberLago). Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich und setzen sich aus erfolgreichen Unternehmer*innen und Führungspersönlichkeiten etablierter Unternehmen zusammen. Der Beirat stärkt den Bezug zu Forschung&Wissenschaft und die Verknüpfung mit anderen Institutionen des regionalen Gründer-Ökosystems.